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Streuverbot - Ächtung heimtückischer Streumunition rechtswirksam

Von Wolfgang Kötter

Es waren keine verspäteten Vuvuzelas, die weltweit die sonntägliche Ruhe störten, sondern Trommeln. Sie verkündeten, dass die Konvention zum Verbot von Streumunition am 1. August in Kraft trat und erinnerten die Regierungen gleichzeitig an ihre Verpflichtung zur Opferhilfe. Der Vertrag ächtet eines der hinterhältigsten Tötungsmittel, das immer wieder Zivilisten auch noch lange nach Beendigung der Kämpfe tötet oder verstümmelt. Studienergebnissen der Hilfsorganisation Handicap International zufolge hat Streumunition etwa 100.000 Opfer gefordert. 98 Prozent der registrierten Opfer sind Zivilisten, fast ein Drittel davon Kinder.

Weitgehende Vertragsverpflichtungen

Der Vertrag verbietet die Anwendung und den Transfer von Streumunition, verpflichtet zur Vernichtung bestehender Arsenale und schließt die Räumung minenverseuchter Gebiete ebenso ein wie die Hilfe für betroffene Opfer. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, Streumunition nicht einzusetzen, zu entwickeln, zu produzieren, anzuschaffen, weiterzugeben oder zu lagern. Sämtliche vorhandenen Bestände müssen innerhalb von 8 Jahren zerstört werden und zwar so, dass keine gesundheitlichen Schäden auftreten und auch der Umweltschutz beachtet wird. Notfalls kann die Frist aber auch verlängert werden.

Die Bestimmungen über Räumpflichten, Unterstützung der betroffenen Länder und zur Opferhilfe werden weithin als bahnbrechend gelobt. So enthält der Vertragstext eine sehr weite Definition, die sowohl die betroffenen Einzelpersonen als auch ihre Familien mit erfasst. Die Vertragsstaaten müssen medizinische Versorgung, physische Rehabilitation, finanzielle, soziale und psychologische Unterstützung der Leidtragenden gewähren. Darüber hinaus enthält der Text eine detaillierte Liste mit konkreten Aktionen, die die Staaten leisten sollen, um den Opfern zu helfen.

Gleichzeitig warnen die Abrüstungsaktivisten davor, angesichts der gegenwärtigen Finanzkrise die Mittel für Opferhilfe und Minenaktionsprogramme zu kürzen. "Opferhilfe ist seit Jahren unterfinanziert und es wäre nicht vermittelbar, wenn ausgerechnet jetzt Minenaktionsprogramme und Opferhilfe den milliardenschweren Rettungsaktionen für bankrotte Banken und Konzerne zum Opfer fielen", betont François De Keersmaeker, Geschäftsführer von Handicap International.

Heimtückische Massenmörder

Streumunition besteht aus bis zu Tausenden kleinen Sprengkörpern. Sie wird von Flugzeugen abgeworfen, kann aber auch mit Raketen oder Geschützen verschossen werden. Die mit Submunition gefüllten Mantelprojektile öffnen sich noch in der Luft und verbreiten bis zu 200 "Bomblets", deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen bestehen kann. Streumunition, verteilt innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen an Munition über Flächen von der Größe mehrerer Fußballfelder. Manche explodieren beim Aufprall auf gegnerische Panzer, Fahrzeuge oder auf den Erdboden, oft jedoch bleibt dies durch eine dichte Vegetation oder weichen Untergrund zunächst aus. Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent verwandelt sich Cluster-Munition dann zu Landminen, die ganze Landstriche verseuchen. Zuletzt wurden Streubomben im Libanonkrieg Israels vom Sommer 2006, im Kaukasuskonflikt 2008 und im vergangenen Dezember in Jemen eingesetzt. Vor allem durch das Bekanntwerden der großen Opferzahlen wuchs der weltweite Druck für ein Verbot von Streumunition.

Erfolg der Zivilgesellschaft

Das Abkommen ist der jüngste multilaterale Abrüstungsvertrag und einer der größten Erfolge für die Internationale Kampagne gegen Streumunition ( Cluster Munition Coalition - CMC ), die nicht nur die heutige globale Trommelaktion inszenierte. Angesichts der durch die Lobby von Bombenproduzenten, Waffenhändlern und Militärs betriebenen Verschleppungstaktik in den traditionellen Verhandlungsgremien verbündete sich die Koalition mit abrüstungswilligen Staaten. Gemeinsam mit Norwegen, Neuseeland, Österreich, Peru und Mexiko begannen sie im Februar 2007 den "Oslo-Prozess". Nach der norwegischen Hauptstadt folgten weitere Treffen in Lima, Wien, Wellington und schließlich die abschließenden Vertragsverhandlungen in Dublin. Am 3. Dezember 2008 wurde der Vertrag dann in Oslo unterzeichnet.

Ebenso wie der Ottawa-Vertrag zum Verbot von Anti-Personen-Minen von 1997 ist das Verbot von Streumunition nicht zuletzt den engagierten Aktivitäten der Zivilgesellschaft in der ganzen Welt zu verdanken. Besonders durch die Hilfsorganisationen, die seit jeher argumentieren, dass die überwiegende Mehrheit der Opfer Zivilisten sind und über deren Leiden informieren, kam dieses Abkommen so schnell zustande.

Nachdem Moldawien als 30. Staat den Vertrag im Februar ratifiziert hatte, sind nun seit Unterzeichnung nur 19 Monate vergangen bis das Verbot nun rechtswirksam ist. 106 Staaten haben mittlerweile unterzeichnet, darunter alle NATO-Staaten außer den USA. Auch Russland, Brasilien, China, Israel, Indien, Pakistan und Südkorea verweigern bisher die Unterschrift. Deutschland ratifizierte als 11. Staat den Vertrag im vergangenen Sommer. Das erste Treffen der Vertragsstaaten wird im kommenden November in Laos stattfinden. Dabei kann erstmals überprüft werden, ob alle Staaten die nötigen Schritte zur Umsetzung ihrer Vertragsverpflichtungen eingeleitet haben. Bei dieser Konferenz in einem der am stärksten betroffenen Länder soll das Thema Opferhilfe eine zentrale Rolle spielen.

Die Waffenlobby gibt nicht auf

Die Waffenproduzenten fürchten seit dem Verbot um Ihre Profite und versuchen, Schwachstellen des Verbots auszunutzen. Auch deutsche Unternehmen wie Diehl oder Rheinmetall machen mit Waffenverkauf und -export große Profite. Gemeinsam mit der Firma Heckler & Koch produzieren sie beispielsweise das millionenfach in alle Welt exportierte G-3-Gewehr. Und wenn es ums Geld geht, sind die Rüstungsprofiteure nicht zimperlich. So ging Waffenproduzent Werner Diehl gerichtlich gegen den Regensburger Journalisten Stefan Aigner vor, weil dieser die von der Firma Diehl hergestellte Munition "Smart 155" als "Streumunition" bezeichnete. Das Rüstungsunternehmen berief sich in seiner Klage auf die im Oslo-Abkommen genannten Ausnahmen. Das Landgericht München entschied in Form eines Vergleichs: Der Journalist darf die Behauptung, es handle sich um Streumunition, nicht mehr wiederholen, dafür zog Diehl seine Klage zurück.

Recherchen von Nichtregierungsorganisationen belegen, dass Banken in Deutschland wie z.B. die Bayerische Landesbank, die Commerzbank und die Deutsche Bank in Produzenten von Streumunition investieren, an diese Kredite vergeben bzw. deren Vermögensmanagement betreiben. Laut einer Studie der belgischen Organisation "Netwerk Vlaanderen" unterhält die Deutsche Bank Geschäftsbeziehungen zu führenden Anbietern und Herstellern von Streumunition wie z.B. Alliant Techsystems, L3-Communications, Lockheed Martin, Textron, Singapore Technologies Engineering und Raytheon. Weitere Recherchen von Landmine.de und der Nichtregierungsorganisation "urgewald" haben ergeben, dass viele Investmentfonds der Deutschen Bank Tochter DWS an Streumunitionsproduzenten beteiligt sind. Der Oslo-Vertrag verbietet derartige Investments in Hersteller von Streumunition und fordert nationale Gesetze, die ein solches Verbot festschreiben.

In Deutschland ist jeglicher Umgang mit Streumunition per Gesetz seit Juni 2009 verboten. "Paragraf 18a des Kriegswaffenkontrollgesetzes untersagt die Förderung der Produktion von Streumunition und dazu gehört eindeutig auch jede Art der finanziellen Unterstützung bzw. Beteiligung an der Produktion", betont Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de . Belgien, Irland, Luxemburg und Neuseeland haben bereits per Gesetz das Investment in die Produktion von Streumunition untersagt. Dänemark, Holland, Norwegen und die Schweiz bereiten derzeit parlamentarische Initiativen für ein solches Investmentverbot vor.

Die Anzahl der zu zerstörenden Streumunitionen der Bundeswehr wird auf 50 Millionen geschätzt, die innerhalb von 4 Jahren und damit vorfristig vernichtet werden sollen. "Die Zerstörung der deutschen Streumunition wird schätzungsweise 60 Millionen Euro kosten, während Neubeschaffungen für alternative Flächenmunition den Steuerzahler vermutlich mehrere hunderte Millionen Euro kosten werden", schätzt Küchenmeister. Hinter dem Beharren auf den "klugen Bomben" stecken nach Ansicht der Kritiker handfeste wirtschaftliche Interessen. Die Bundeswehr habe sich bereits mit den Rüstungsunternehmen Diehl und Rheinmetall auf die Herstellung von so genannter intelligenter Streumunition im Wert von über 500 Millionen Euro geeinigt. Dass dies weiterhin erlaubt bleibt, trifft wie auch einige andere inkonsequente Regelungen zu Recht auf Kritik. So sind bestimmte Arten von High-Tech-Munition vom Verbot ausgenommen, z.B. sensorengesteuerte Punktzielmunition, mit elektronischen Selbstzerstörungs- und Deaktivierungseinrichtungen ausgerüstete Streuminen wie auch Dispenserwaffen, mit denen Streumunition verschossen werden kann. Ebenso ist die Entwicklung und Produktion neuer Bombentypen nicht ausgeschlossen.

Wende in Washington?

Die größte Schwachstelle des Vertrages aber verbirgt sich im Artikel 21. Er erlaubt den Mitgliedsstaaten, an gemeinsamen Militäraktionen mit Nicht-Vertragsstaaten teilzunehmen, also beispielsweise an NATO-Einsätzen mit den USA, selbst wenn diese Streumunition einsetzen. Um sich von der strikten Verweigerungshaltung seines Vorgängers zumindest partiell zu distanzieren, unterzeichnete Präsident Obama inzwischen ein Gesetz, das die Ausfuhr von Streubomben nur noch bei einer Fehlerrate von weniger als einem Prozent gestattet. Diese Quote erfüllt kaum eine in den USA hergestellte Streubombe. Verboten wird der Export auch, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass sie bei einem Einsatz Zivilisten treffen könnten. Das bedeutet nahezu ein völliges Ausfuhrverbot, denn wenn Streumunition verschossen wird, ist es praktisch unmöglich, am Einsatzort zwischen Soldaten und Zivilisten zu unterscheiden. Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch (HRW) und die Anti-Landminen-Kampagne begrüßten Obamas Entscheidung, fordern aber weiterhin ein generelles Verbot.

37 Staaten haben den Vertrag bereits ratifiziert:

Albanien, Belgien, Burkina Faso, Ecuador, Fidschi, Burundi, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Japan, Kroatien, Lesotho, Laos, Luxemburg, Malawi, Mali, Malta, Mazedonien, Mexiko, Moldawien, Montenegro, Neuseeland, Nicaragua, Niger, Norwegen, Österreich, Sambia, Samoa, San Marino, Seychellen, Sierra Leone, Slowenien, Spanien, Uruguay, Vatikanstadt.

Einsätze von Streumunition im 21. Jahrhundert

Ort / Zeit Einsatz

Afghanistan

2001-2002

Die US-Luftwaffe warf 1 228 Streubomben (cluster bombs) mit 248.000 Bomblets ab. Die Angriffe auf dünn besiedelte Landschaft zeigen, dass selbst Schläge gegen kleine Dörfer oder ihre Umgebung Zivilisten gefährden. Vor allem afghanische Kinder, Bauern und Schafhirten litten auch unter den Spätfolgen der Restmunition, die seither über 120 Tote und Verletzte forderte.

Irak

2003

Britische und US-amerikanische Truppen setzen 13.000 Streumunitionen mit 2 Millionen Submunitionen ein. In diesem Krieg dominierten bodengestützte Typen. Die Clustermunitionen, die weitgehend in bevölkerten Gebieten angewendet wurden, töteten oder verletzten Hunderte von Zivilisten während und nach dem Konflikt. Aufgebracht darüber, dass Blindgänger sowohl Zivilisten als auch Soldaten gefährdeten, kritisierten sogar Militärs deren Einsatz.
 

Israel

2006

 In den Angriffen der Hisbollah-Milizen auf Israel kam, obwohl nur in geringer Anzahl, erstmals die chinesische Submunition vom Typ MZD-2 in einem Konflikt zum Einsatz.
 

Libanon

2006

Im selben Krieg verschoss Israel schätzungsweise 4 Millionen Streumunitionen, die den Süden Libanons einschließlich vieler besiedelter Gebiete mit etwa 500.000 Blindgängern bedeckten. Obwohl während der Angriffe relativ wenige Opfer festgestellt wurden, haben die Blindgänger seither etwa 200 Tote und Verletzte vor allem unter Kindern und Bauern gefordert. Schwerwiegende Auswirkungen ergaben sich für die Landwirtschaft Süd-Libanons. Außer der Anwendung großer Mengen veralteter, unzuverlässiger Submunitionen mit durchschnittlich 25 Prozent Blindgängerquoten, setzte Israel ebenfalls Streumunition vom Typ M85 mit Selbstzerstörungsmechanismen ein. Obwohl als Lösung des Blindgängerproblems angepriesen, wiesen sie eine Blindgängerrate von etwa 10 Prozent auf.

 Georgien

12. August 2008

Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat Russland im Kaukasus-Konflikt 2008 Streubomben eingesetzt. Am 12. August sollen Bomben des Typs RBK-250 auf die georgische Stadt Gori und deren Umland abgeworfen worden sein. Durch die Bomben sollen mindestens elf Menschen getötet und zahlreiche andere verletzt worden sein. Russland hat einen Einsatz von Streumunition durch seine Truppen in Georgien dementiert.

Jemen

17. Dezember 2009

Bei einem Angriff der USA mit Streumunition auf ein mutmaßliches Ausbildungslager von Al Kaida in der Gemeinde El Maadschala in der südlichen Provinz Abjan wurden 41 Zivilisten getötet, darunter 14 Frauen und 21 Kinder. Bei 14 weiteren Toten konnte nicht ermittelt werden, ob sie Zivilisten oder Kämpfer waren. Fotoaufnahmen zufolge handelte es sich um eine US-Flügelrakete BGM-109 Tomahawk sowie Streubomben des Typs BLU 97 A/B. Eine Rakete kann 166 Streubomben transportieren, von denen jede mehr als 200 Stahlsplitter enthält, die im Umkreis von 150 Metern zu schwersten Verletzungen führen. Eine ebenfalls in den Bomben vorhandene brennbare Flüssigkeit löst bei Explosion schwere Brände aus.

 Quellen: Human Rights Watch, Amnesty International

Was lässt Streumunition zu Blindgängern werden?

  1. Die Verwendung beschädigter oder qualitativ minderwertiger Bauteile;
  2. Eine fehlerhafte Lagerung bzw. fehlerhafter Transport;
  3. Hohe Temperaturen wirken sich negativ auf die Funktionalität mechanischer Bauteile aus;
  4. Die Stabilisierungsbänder bzw. Fallschirme der Streumunition verfangen sich leicht in der Vegetation;
  5. Die Detonationswelle der zuerst explodierenden Munitionen verwirbelt nachfolgende Geschosse, sodass diese dann nicht mehr in einem für die Zündung vorgeschriebenen Winkel aufschlagen;
  6. Weicher Untergrund verursacht häufig Fehlfunktion der Zünder.

Quelle: www.landmine.de

Weblinks:

Veröffentlicht am

08. August 2010

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