Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Die iranische Gefahr

Von Noam Chomsky, 28.06.2010 - ZNet

Eine brandgefährliche Bedrohung durch den Iran sei die schwerwiegendste außenpolitische Krise der Obama-Administration. Davon gehen weite Kreise aus. Soeben hat der US-Kongress die Sanktionen gegen den Iran verschärft - sie beinhalten noch härtere Strafen gegen ausländische Unternehmen. Auf der afrikanischen Insel Diego Garcia baut die Obama-Administration ihre Offensivkapazitäten rapide aus. Die Insel wird von Großbritannien beansprucht. Die Bevölkerung wurde vertrieben, damit die USA eine immense Basis errichten konnten - um im Mittleren Osten und in Zentralasien anzugreifen. Wie die US-Navy berichtet, wurde ein U-Boot-Begleitschiff nach Diego Garcia entsandt, um die atombetriebenen Unterseeboote - geeignet für Fernlenkwaffen -, mit Tomahawk-Raketen auszustatten Tomahawks können zudem mit nuklearen Gefechtsköpfen ausgestattet werden. Jedes dieser U-Boote, so heißt es, besitze die Schlagkraft eines typischen Kampfverbandes mit Trägerschiff (carrier battle group). Die Zeitung ‘Sunday Herald’ (Glasgow) gelangte in den Besitz eines Frachtbriefes der US-Navy, aus dem hervorgeht, dass zu den wichtigsten militärischen Rüstungsgütern, die Obama verschickt hat, auch so genannte "Bunkerknacker" ("bunker busters") gehören, die eingesetzt werden, um harte, unterirdische Strukturen in die Luft zu jagen. Sie sind die stärksten Bomben im Arsenal - abgesehen von den Atomwaffen. Die Planungen für die "massiv schlagkräftigen Penetratoren" waren bereits von der Bush-Administration in die Wege geleitet worden. Allerdings hatte sich die Sache in die Länge gezogen. Kaum war Obama im Amt, beschleunigte er die Umsetzung. Diese Waffen sollen nun einige Jahre früher verlegt werden als geplant und sind speziell gegen den Iran gerichtet.

Dan Plesch, Direktor des ‘Center for International Studies and Diplomacy’ an der University of London, sagt: "Die Aufrüstung wird total beschleunigt, um den Iran zu zerstören". Und weiter: "Schon heute sind US-Bomber und -Langstreckenraketen in der Lage, 10.000 Ziele im Iran binnen weniger Stunden zu zerstören", so Plesch. "Die Feuerkraft der US-Streitkräfte hat sich seit 2003 vervierfacht". Unter Obama hat sich diese Entwicklung beschleunigt.

Die arabische Presse berichtet, dass eine amerikanische Flotte (inklusive eines israelischen Schiffes) durch den Suezkanal gekreuzt sei und sich nun auf dem Weg in den Persischen Golf befinde. Sie habe die Aufgabe, "die Sanktionen gegen den Iran umzusetzen und die Schiffe in den Iran und aus dem Iran zu kontrollieren". In britischen und israelischen Medien wird berichtet, dass Saudi-Arabien einen Luftkorridor für israelische Bombenflüge gegen den Iran zur Verfügung stellen will (was von Saudi-Arabien bestritten wird). Der Vorsitzende des US-Generalstabs ( ‘Joint Chiefs of Staff’ (JCS)), Admiral Michael Mullen, hat soeben Afghanistan besucht, um den Nato-Verbündeten zu versichern, dass die USA nicht von ihrem Kurs abrücken werden - nachdem General McChrystal durch seinen Vorgesetzten General Petraeus, ersetzt worden ist. Danach machte Mullen noch einen Abstecher nach Israel, um sich mit dem Generalstabschef der IDF, Gabi Ashkenazi und weiteren hochrangigen Militärs sowie mit Geheimdienst- und Planungseinheiten zu treffen. Dies fand im Rahmen des alljährlichen Strategiedialogs zwischen Israel und den USA, in Tel Aviv, statt. Im Mittelpunkt des Treffens standen, so die ‘Haaretz’, "Vorbereitungen, die sowohl Israel als auch die USA", treffen würden, "hinsichtlich eines Irans mit möglicherweise nuklearen Kapazitäten". Wie die ‘Haaretz’ berichtet, habe Mullen betont: "Ich versuche, Herausforderungen immer aus israelischer Sicht zu sehen". Mullen und Ashkenazi stehen in regelmäßigem Kontakt zueinander und verfügen über eine sichere Leitung.

Die zunehmenden Drohungen mit einer Militäraktion gegen den Iran stellen natürlich einen Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen dar. Insbesondere verstoßen sie gegen UN-Sicherheitsratsresolution 1887, die im September 2009 verabschiedet wurde. Sie bekräftigt jenen an alle Staaten gerichteten Appell, Atomstreitigkeiten friedlich beizulegen - gemäß der Charta der Vereinten Nationen, die den Einsatz von Gewalt, aber auch DIE DROHUNG mit Gewalt, verbietet.

Mehrere renommierte Analysten schildern die angebliche iranische Bedrohung in einer geradezu apokalyptischen Begrifflichkeit. So warnt Amitai Etzioni: "Die USA müssen den Iran konfrontieren oder den Mittleren Osten aufgeben" - darunter geht es nicht. Falls das Atomprogramm des Iran Fortschritte mache, so betont Etzioni, würden sich die Türkei, Saudi-Arabien und weitere Staaten auf die neue iranische "Supermacht zubewegen". Etwas weniger aufgeregt könnte man es auch so formulieren: Vielleicht würde sich ein regionales Bündnis herausformen, das unabhängig wäre von den USA. Im amerikanischen Armeejournal ‘Military Review’ drängt Etzioni auf einen Angriff der USA - nicht nur gegen iranische Nuklearanlagen, sondern auch gegen die nicht nuklearen Militäranlagen und gegen die Infrastruktur (sprich: gegen die Zivilgesellschaft). "Eine Militäraktion dieser Art wäre das Gleiche wie Sanktionen - (sie würde) ‘Schmerzen’, mit dem Ziel einer Verhaltensänderung, verursachen - allerdings durch sehr viel mächtigere Mittel", so Etzioni.

Lassen wir die grauenhafte Sprache einmal beiseite und fragen uns: Worin besteht die Bedrohung durch den Iran eigentlich? Eine maßgebliche Antwort liefert eine Studie des ‘International Institute of Strategic Studies’ vom April 2010. Sie trägt den Titel: ”Military Balance 2010’. Zweifellos stellt das brutale klerikale Regime des Iran eine Gefahr für seine eigene Bevölkerung dar. Allerdings rangiert es in dieser Hinsicht nicht sonderlich weit oben auf der Skala, verglichen mit anderen (Regimen) in der Region, die Verbündete der USA sind. Doch darum geht es dem oben erwähnten Institut nicht. Vielmehr macht es sich Sorgen, ob der Iran der Region und der Welt gefährlich werden könnte.

Die Studie stellt klar, dass vom Iran keine militärische Gefahr ausgeht. Die iranischen Militärausgaben seien "relativ niedrig - im Vergleich zu denen der restlichen Region" - und betragen nur 2 Prozent dessen, was Amerika in dieser Hinsicht ausgibt. Die iranische Militärdoktrin sei strikt "defensiv…. darauf abzielend, eine Invasion abzubremsen und bei Hostilitäten diplomatische Lösungen durchzusetzen". Der Iran sei "nur eingeschränkt fähig, jenseits seiner Grenzen Gewalt einzusetzen". Was die nuklearen Möglichkeiten des Iran angeht, heißt es in der oben erwähnten Studie: "Das iranische Atomprogramm und der Wille (des Iran), sich die Möglichkeit offen zu halten, Atomwaffen zu entwickeln, sind ein zentraler Bestandteil seiner Abschreckungsstrategie".

Der Iran stellt also keine militärische Gefahr dar. Das heißt jedoch noch lange nicht, dass Washington ihn tolerieren kann. Mit seinem Abschreckungspotential übt der Iran eine illegitime Souveränität aus, die den globalen Zielen der USA in die Quere kommt. Vor allem gefährdet es die Kontrolle der USA über die Energieressourcen des Mittleren Ostens - denen (US-)Planer schon seit dem Zweiten Weltkrieg hohe Priorität einräumen, da sie die "substantielle Kontrolle über die Welt" garantieren, wie A. A. Berle, eine dieser einflussreichen Figuren, einmal als Ratschlag angeführt hat.

Aber die Bedrohung durch den Iran geht nicht allein von dessen Abschreckungspotential aus. Der Iran versucht, seinen Einfluss auszuweiten. In der oben genannten Studie wird dies so formuliert: Der Iran "destabilisiert" die Region. Wenn die USA in Nachbarstaaten des Iran einmarschieren und sie militärisch besetzen, nennt man das "Stabilisierung". Wenn der Iran seinen Einfluss auf Nachbarländer auszudehnen versucht, ist das "Destabilisierung" und schlichtweg illegal. An dieser Stelle ist anzumerken, dass diese vielsagende Wahl der Begriffe bereits Routine ist. So gebrauchte der prominente außenpolitische Analyst James Chace (ein ehemaliger Redakteur des wichtigsten Journals des Establisments: ”Foreign Affairs’), den Begriff ‘Stabilität’ technisch durchaus korrekt, als er erläuterte, man müsse Chile "destabilisieren" (indem man die gewählte Regierung Allende stürzt und die Pinochet-Diktatur installiert), um für das Land "Stabilität" zu erreichen.

Was die Verbrechen des Iran angeht, so heißt es in der oben genannten Studie weiter, der Iran unterstütze den Terrorismus, indem er den wichtigsten politischen Kräften (falls Wahlen überhaupt zählen) im Libanon und in Palästina - nämlich Hisbollah und Hamas - den Rücken stärke. Bei den letzten allgemeinen Wahlen im Libanon (2009) konnte das Bündnis rund um die Hisbollah einen bequemen Sieg heimfahren. Die Hamas gewann 2006 die Wahlen in Palästina. Die USA und Israel sahen sich daraufhin gezwungen, eine harsche und brutale Belagerung über Gaza zu verhängen - um jene ‘Kretins’ zu bestrafen, weil sie bei einer freien Wahl falsch gewählt hatten. Es war die einzige relativ freie Wahl in der arabischen Welt. Wenn die Eliten durch Meinungsäußerungen zum Ausdruck bringen, dass sie sich durch Demokratie bedroht fühlen und etwas dagegen unternehmen, ist das normal. Doch dies (Gaza) ist ein reichlich krasser Fall - vor allem angesichts der massiven Unterstützung der USA für die Diktaturen in der Region und angesichts Obamas Lobhudelei für den brutalen ägyptischen Diktator Mubarak, während Obamas Reise nach Kairo, um seine berühmte Rede an die muslimische Welt zu halten.

Die terroristischen Aktivitäten, die der Hamas bzw. der Hisbollah zugeschrieben werden, verblassen im Vergleich mit dem amerikanisch-israelischen Terror in der Region. Dennoch sollte man einen Blick darauf werfen.

Am 25. Mai feiert der Libanon seinen Nationalfeiertag - den ‘Tag der Befreiung’. Man gedenkt des israelischen Rückzugs aus dem Südlibanon, der nach 22 Jahren erfolgt war. Dieser Rückzug war das Resultat des Hisbollah-Widerstands. Israelische Autoritäten (wie Ephraim Sneh) sprechen in diesem Zusammenhang von "iranischer Aggression" gegen Israel - im israelisch besetzten Libanon. Auch das entspricht dem normalen imperialen Sprachgebrauch. Präsident John F. Kennedy verurteilte den "Angriff von Innen - (und) der wird vom Norden manipuliert". Damit war der Angriff des südvietnamesischen Widerstands gegen Kennedys Bomber, gegen die chemische Kriegsführung, gegen die Vertreibung vietnamesischer Bauern (in Lager, die praktisch Konzentrationslager waren) und andere gutartige Maßnahmen dieser Art gemeint. Selbst Kennedys damaliger UN-Botschafter Adlai Stevenson, ein Held der Liberalen, kritisierte die "interne Aggression". Wenn also Nordvietnamesen ihre Landsleute im von den USA besetzten Süden unterstützten, war das "Aggression" und daher eine nicht zu tolerierende Einmischung in Washingtons gerechte Mission. Auch die Kennedy-Berater Arthur Schlesinger und Theodore Sorenson, die als Tauben galten, priesen Washingtons Intervention, um die "Aggression" in Südvietnam zurückzuwerfen. Diese so genannte "Aggression" wurde vom indigenen Widerstand durchgeführt (was die beiden Berater wissen mussten - zumindest, wenn sie die Berichte des amerikanischen Geheimdienstes lasen). 1955 gab der amerikanische Generalstab (JCS) mehrere Definitionen von "Aggression" heraus, darunter die Definition für "Aggression ohne Waffen, wie zum Beispiel politische Kriegsführung oder Subversion". Wenn es im Innern eines Landes zum Aufstand gegen einen von den USA verordneten Polizeistaat kommt, ist das so ein Beispiel - oder eben jene Wahlen mit dem falschen Ergebnis. Auch in Akademikerkreisen und in politischen Kommentaren ist dieser Sprachgebrauch normal. Er macht auch Sinn - unter der vorherrschenden Annahme, dass Wir Die Welt Besitzen.

Die Hamas widersetzt sich der israelischen Militärbesatzung und den illegalen, brutalen Aktionen der Israelis in den besetzten Gebieten. Man wirft der Hamas vor, sie anerkenne Israel nicht (politische Parteien pflegen keine Staaten anzuerkennen). Dagegen verweigern die USA und Israel nicht nur die Anerkennung Palästinas, sondern sorgen seit Jahrzehnten dafür, dass Palästina nicht wirklich Gestalt annehmen und somit existieren kann; das Wahlprogramm der israelischen Regierungspartei von 1999 schließt die Existenz eines Palästinenserstaates aus.

Man wirft der Hamas vor, Raketen auf israelische Grenzsiedlungen abzufeuern. Das sind zweifellos kriminelle Akte. Allerdings entsprechen sie nur einem Bruchteil dessen, was Israel Gaza an Gewalt antut (von anderen Orten ganz zu schweigen). An dieser Stelle ist es wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass die USA und Israel sehr genau wissen, wie sie jenen Terror stoppen könnten, den sie so leidenschaftlich bejammern. So gibt Israel offiziell zu, dass 2008 keine Hamas-Raketen gegen Israel abgefeuert wurden, solange Israel den Waffenstillstand mit der Hamas, zumindest teilweise, einhielt. Israel lehnte das Angebot der Hamas ab, diesen Waffenstillstand zu erneuern und zog es vor, die mörderische, zerstörerische ‘Operation Bleigießen’ (Operation Cast Lead) gegen Gaza durchzuführen. Das war im Dezember 2008. Die USA standen ohne Wenn und Aber hinter dieser überschäumend mörderischen Aggression - für die es nicht die geringste glaubwürdige rechtliche oder moralische Rechtfertigung gab.

Innerhalb der muslimischen Welt stellt die Türkei das Demokratiemodell dar - wenngleich mit ernsthaften Mängeln behaftet. Die Wahlen in der Türkei sind relativ frei. Die Türkei wurde/wird von den USA harsch kritisiert. Der extremste Fall war wohl, als die türkische Regierung sich weigerte, beim Einmarsch in den Irak mitzumachen und damit der Haltung von 95% ihrer Bevölkerung Rechnung trug. Die Türkei erntete harsche Kritik aus Washington: Sie habe nicht begriffen, wie eine demokratische Regierung sich verhalten soll, hieß es. Schließlich verstehen wir unter Demokratie, dass der Meister die Politik bestimmt und nicht die (fast einstimmige) Meinung des Volkes.

Erneut zog sich die Türkei den Zorn der US-Regierung zu - diesmal unter Obama - als sie, gemeinsam mit Brasilien, einen Deal mit dem Iran arrangierte, mit dem Ziel, die iranische Urananreicherung einzuschränken. Obama hatte diese Initiative in einem Brief an den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva gelobt - offensichtlich in der Annahme, sie würde scheitern und dieses Scheitern wäre eine Propagandawaffe gegen den Iran. Als die Initiative allerdings erfolgreich war, rasten die USA vor Zorn und beeilten sich, die Initiative zu untergraben, indem sie im UN-Sicherheitsrat eine Resolution durchdrückten, die neue Sanktionen gegen den Iran enthielt und so bedeutungslos war, dass China fröhlich mitmachte (unter der berechtigten Annahme, dass die Sanktionen allenfalls den westlichen Interessen schaden würden (im Wettbewerb mit China um iranische Ressourcen). Wieder einmal hatte Washington frontal agiert - um sicherzustellen, dass niemand sich in die Kontrolle der USA über diese Region einmischt.

Es war nicht überraschend, dass die Türkei (und Brasilien) im Sicherheitsrat gegen die US-Sanktionen stimmte. Der Libanon, das zweite Land aus der Region mit einem Sitz im Sicherheitsrat, enthielt sich der Stimme. Diese Aktionen konsternierten Washington zusätzlich. Philip Gordon, Top-Diplomat der Obama-Regierung für europäische Angelegenheiten, warnte die Türkei, ihre Handlungsweise würde in Amerika nicht verstanden werden. Die Türkei müsse nun "demonstrieren, dass sie zu einer Partnerschaft mit dem Westen" stehe, so Associated Press (AP). Dies sei eine "selten harte Rüge gegen einen entscheidenden Nato-Bündnispartner" gewesen, so AP.

Auch bei der politischen Klasse ist der Groschen gefallen. Für Steven A. Cook - Akademiker, des ‘Council on Foreign Relations -‘, lautet die kritische Frage: "Wie können wir die Türken im Zaum halten?" Damit sie - wie gute Demokraten - Befehle befolgen. Eine Schlagzeile der ‘New York Times’ brachte die weit verbreitete Stimmung auf den Punkt: ‘Iran Deal Seen As Spot on Brazilian Leader’s Legacy’ (Iran-Deal wird als Makel im Vermächtnis des brasilianischen Regierungschefs betrachtet). Oder anders gesagt: Tu’, was wir dir sagen, oder…

Nichts weist darauf hin, dass andere Länder in der Region die US-Sanktionen mehr begrüßen würden als die Türkei. Vor kurzem trafen sich Vertreter des Iran und des gegenüberliegenden Nachbarn Pakistan in der Türkei und unterzeichneten ein Abkommen über eine neue Pipeline. Noch mehr beunruhigen dürfte Amerika allerdings die Tatsache, dass diese Pipeline bis nach Indien führen könnte. 2008 unterzeichneten die USA mit Indien einen Vertrag, in dem die USA eine Förderung des indischen Atomprogramms - und indirekt auch des indischen Atomwaffenprogramms - zusagen. Damit wollte Amerika erreichen, dass Indien sich nicht an eben dieser Pipeline beteiligt - meint Südostasien-Berater Moeed Yusuf, der für das ‘United States Institute of Peace’ tätig ist. Diese Sicht ist weit verbreitet. Indien und Pakistan sind zwei von drei Atommächten (der dritte ist Israel), die sich weigern, dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) beizutreten. Alle Drei haben ihre Atomwaffen mit amerikanischer Unterstützung entwickelt - und diese Unterstützung dauert weiter an.

Kein Mensch mit gesundem Menschenverstand wünscht sich, dass der Iran Atomwaffen entwickelt - oder irgendein anderes Land. Ein offensichtlich möglicher Weg, um diese Gefahr zu reduzieren oder gar zu eliminieren, wäre die Einrichtung einer Atomwaffenfreien Zone (Nuclear Weapons Free Zone (NWFZ) im Nahen/Mittleren Osten. Auf der Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag Anfang Mai 2010, die im Hauptsitz der Vereinten Nationen stattfand, kam das Thema (erneut) zur Sprache. Ägypten hat derzeit den Vorsitz der 118 Blockfreien Staaten und schlug in dieser Funktion vor, die Konferenz solle einen Plan unterstützen, der zur Aufnahme von Verhandlungen über eine NWFZ im Nahen/Mittleren Osten im Jahr 2011 aufrufen würde. Der Westen - einschließlich der USA - hatte einer solchen Zone bereits 1995, auf der damaligen Review-Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag, zugestimmt.

Formal hält sich Washington an seine Zusage, verlangt allerdings, dass Israel ausgeklammert wird - und deutete nicht an, dass es sich selbst angesprochen fühlt. Auf der Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag sagte Außenministerin Hillary Clinton, die Zeit für eine solche Zone sei noch nicht reif. Gleichzeitig bestand Washington darauf, dass kein Antrag, der von Israel verlangt, sein Atomwaffenprogramm unter die Aufsicht der Internationalen Atomenergieaufsichtsbehörde (IAEA) zu stellen, zu akzeptieren sei. Ebenso wenig akzeptabel sei ein solcher Antrag, wenn er an die Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages (vor allem aber an die USA) appelliere, Informationen über "Israels Atomanlagen und -Aktivitäten, einschließlich Informationen über Atomlieferungen an Israel, die in jüngster Zeit erfolgten", preiszugeben. Obamas Taktik, solchen Dingen aus dem Weg zu gehen, besteht darin, die Position Israels zu übernehmen. Und die sieht so aus: All diese Vorschläge sind davon abhängig, ob ein umfassendes Friedensabkommen zustande kommt - etwas, das Amerika bis in alle Ewigkeit hinauszögern kann (wie es das in den letzten 35 Jahre getan hat (mit einigen wenigen, zeitlich begrenzten Ausnahmen).

Zur gleichen Zeit, so berichtete AP, rief Yukiya Amano, der Chef der Internationalen Atomenergieaufsichtsbehörde (IAEA), die Außenminister der 151 Mitgliedsstaaten dazu auf, ihre Meinung zu sagen, wie man eine Resolution zustande bringen könnte, die Israel dazu auffordert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten und seine Nuklearanlagen für die Inspektionen der IAEA zu öffnen.

Wenig berichtet wird allerdings darüber, dass die USA und Großbritannien bereits die Sonderverpflichtung eingegangen sind, sich für die Einrichtung einer Atomwaffenfreien Zone im Nahen/Mittleren Osten einzusetzen. Es war vor dem Irak-Einmarsch 2003. Beim Versuch, den Einmarsch - notdürftig - legal abzusichern, beriefen sie sich auf die Sicherheitsratsresolution 687 aus dem Jahr 1991, mit der der Irak zur Beendigung der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen aufgefordert wurde. Später behaupteten die USA und Großbritannien, dies nicht getan zu haben. Wir brauchen uns hier nicht mit ihren Ausflüchten abzugeben. Jedenfalls verpflichtet die Resolution alle Unterzeichner dazu, sich für eine Atomwaffenfreie Zone (NFWZ) im Nahen/Mittleren Osten einzusetzen.

Nebenbei sei noch erwähnt, dass die Atomwaffenfreie Zone (NFWZ), die von der Afrikanischen Union eingerichtet wurde, untergraben wird, indem die USA trotzig auf die Stationierung von Atomwaffen auf der Insel Diego Garcia beharren. Ebenso blockiert Amerika eine NFWZ im Pazifik, weil es seinen "Dependance"-Inseln nicht gestattet, bei einer solchen Zone mitzumachen. Obamas rhetorische Verpflichtung zu atomaren Abrüstung wurde sehr gelobt - er bekam sogar den Friedensnobelpreis. Ein praktischer Schritt in diese Richtung wäre die Einrichtung von Atomwaffenfreien Zonen. Eine weitere Option wäre die Streichung der Unterstützung für die Atomprogramme jener drei Staaten, die den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben (Israel, Pakistan, Indien). Doch wie so oft, sind Worte und Taten zwei Paar Stiefel. In diesem Fall handelt es sich sogar um ein gegensätzliches Paar Schuhe. Doch diese Tatsachen finden wenig Gehör.

Anstatt die eigentliche, große Gefahr (Weiterverbreitung von Atomwaffen) mit praktischen Schritten zu verringern, unternehmen die USA große Schritte, um ihre Kontrolle über die vitalen, Öl produzierenden Regionen im Mittleren Osten zu verstärken. Und wenn kein anderes Mittel hilft, werden sie es mit Gewalt tun. Sie müssen es tun. Das ist verständlich und sogar sinnvoll - vorausgesetzt, man glaubt an die vorherrschende Imperialdoktrin.

Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technologie (MIT) und hat in den 60er Jahren die Vorstellungen über Sprache und Denken revolutioniert. Zugleich ist er einer der prominentesten und schärfsten Kritiker der gegenwärtigen Weltordnung und des US-Imperialismus.

 

Quelle: ZNet Deutschland vom 02.07.2010. Originalartikel: The Iranian Threat . Übersetzt von: Andrea Noll.

Veröffentlicht am

02. Juli 2010

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von