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Ölkatastrophe: Schöne Bescherung

Die Katastrophe zeigt: Wir müssen weg vom Öl. Aber können wir das auch?

Von Michael Jäger

Sollte man nicht annehmen, dass die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko zum Umdenken führt, weltweit und besonders in den USA? Es entspräche dem wissenschaftstheoretischen Modell: Eine Hypothese wird eindeutig widerlegt, also lässt man sie fallen.

Von eindeutiger Widerlegung kann wahrlich die Rede sein. Derselbe way of life, der Plastiktüten aus Öl braucht, weil es als Zumutung erscheint sich dauerhafter Einkaufstaschen zu bedienen, wird durch die Vernichtung riesiger Fischbestände und die Verschmutzung von Stränden vielleicht bis Washington hinauf zum Albtraum. Manche Forscher sagen voraus, es könne sieben Jahre dauern, bis das Öllager unter dem Meer ganz ausgelaufen ist. Zwar haben uns Wissenschaftstheoretiker auch gelehrt, dass die bloße "Falsifikation" nicht automatisch zum Theoriewandel führt; es muss schon auch eine brauchbare Alternative geben, zu der man wechseln kann. Aber sie ist längst da. Forschungen und Projekte zur Gewinnung erneuerbarer Energien hätten seit Jahrzehnten forciert werden können.

Sie werden auch jetzt nicht forciert. Im Grunde geht alles weiter, als wäre nichts gewesen. Als sich Präsident Obama am vorigen Mittwoch an seine Nation wandte, sprach er zwar von der "Notwendigkeit, Amerikas jahrhundertealte Sucht nach fossilen Brennstoffen zu beenden", doch irgendeinen konkreten Hinweis, wie das geschehen solle, gab er nicht. Er warte auf Vorschläge, sagte er nur. In den Tagen danach wurden durchaus keine Vorschläge präsentiert. Vielmehr stritt man weiter über die Schuld und Sühne von BP, urteilte über Obamas schwindende Popularität, als stünde ein mäßig amüsantes Theaterstück auf dem Programm, und interessierte sich etwa für die Frage, ob die "größte Umweltkatastrophe" begonnen habe, wie der Präsident gesagt hatte. Nein, einige Katastrophen der letzten Jahrhunderte seien doch auch recht groß gewesen.

Sieben Kilometer tiefes Öllager

Dass sein zahmes Jammern nichts, aber auch gar nichts bewirken würde, muss Obama selbst gewusst haben. Gerade war gemeldet worden, was sich vor Brasiliens Küsten anbahnt. Die dortige staatlich kontrollierte Ölgesellschaft Petrobras will 220 Milliarden Dollar in den Erwerb von Bohrplattformen, Schiffen und anderen Ausrüstungen investieren, um den Ölschatz vor der Küste zu heben und Brasilien zu einem der führenden Ölförderländer der Welt zu machen. Sie scheut sich nicht vor einem noch wilderen Abenteuer, als BP es im Golf von Mexiko zu verantworten hat. Bohrte man dort in anderthalb Kilometer Tiefe, werden es vor Brasilien zwei Kilometer sein. Liegt das Öl dort fünfeinhalb Kilometer unter dem Meeresspiegel, sind es vor Brasilien sieben Kilometer. Der Druck, dem die technischen Leitungen ausgesetzt sein werden, die Gewalt des aufsteigenden Öls und damit die Wahrscheinlichkeit einer Havarie sind also noch größer. Das Unternehmen wurde gefragt, ob die geplanten Bohrungen nicht etwas riskant seien - war doch schon 2001 eine Petrobras-Plattform untergegangen. Antwort: Man folge im Betrieb der Bohrungen "den besten internationalen Richtlinien, Normen und Praktiken". Weiter nichts. Präsident Obama wird es am Tag seiner Rede in der Zeitung gelesen haben und brachte dennoch nur einen unverbindlichen Appell zustande.

Man muss sich, wenn man solche Nachrichten hört, klarmachen, dass die Risiken sich nicht hauptsächlich aus mangelnder Sorgfalt der Unternehmen ergeben. Gewiss werden Manager durch Konkurrenz und profitorientiertes Kalkül genötigt, es mit den Sicherheitskosten nicht zu übertreiben. Aber das Hauptproblem ist, dass eine Garantie für Leitungen unter solchem Wasserhochdruck gar nicht möglich ist. Deshalb hat BP keine Rückversicherungen abgeschlossen: Die Versicherungsprämien hätten den Aufwand überstiegen. Es ist ähnlich wie bei den Atomkraftwerken, die sich einer zu komplexen Technik bedienen müssen, als dass ein Unfall mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden könnte. Sie dürfte es wegen der Komplexität nicht geben, die Tiefbohrungen nicht wegen des Drucks. Und doch gibt es beide, weil man an ihnen verdienen kann. Aber auch weil Verbraucher gedankenlos sein wollen. Sie wollen glauben, der Strom komme aus der Steckdose.

Eine Umkehr findet nicht statt

Wie könnte ein Umdenken möglich werden, wenn nicht einmal schlimmste Unglücke es befördern? Aber in dieser Vorstellung: Je katastrophischer die Erfahrung, desto größer die Betroffenheit und Bereitschaft zur Umkehr, liegt gerade der Fehler. Die Betroffenheit wird freilich größer, eine Umkehr findet aber trotzdem nicht statt, weil es Barrieren gibt. Es reicht nicht, wenn sich Denken und Umdenken nur auf die Katastrophen bezieht, statt auch auf die Barrieren. Hat Tschernobyl zum Umdenken geführt? Nein, sondern kurz darauf gewann Helmut Kohl, der am Atomstrom nicht rütteln ließ, die nächste Wahl. Daraus zogen viele Grüne den Schluss, dass man sich zu sehr von der Gesellschaft entfernt habe. Sie begannen zu streiten, ob ihr Programm nicht verharmlost werden müsse. Ein paar Jahre später hatten "Realos" eine neue Programmidee durchgesetzt: den Handel mit Schadstoffzertifikaten als ökologische Wunderwaffe.

In dieser Geschichte liegt schon alles, was sich heute am Öl wiederholt. Präsident Obama ist Helmut Kohl und grüner "Realo" zugleich. Wie Kohl glaubte, nur russische AKWs seien unsicher und gefährdet, deutsche aber nicht, so wettert Obama gegen das britische Unternehmen BP, als wäre ein ordentliches amerikanisches Krisenmanagement mit den Problemen fertig geworden. Hollywoodfilme haben es ja oft genug vorgeführt, etwa Verschollen im Bermuda-Dreieck. Da sinkt ein Flugzeug auf den Meeresgrund, aber US-Techniker ziehen es wieder herauf, ohne dass jemand zu Schaden kommt. Vor dem Hintergrund von Deepwater Horizon wird erkennbar, dass in Obamas Slogan "Yes we can" immer auch ein "Wir haben alles im Griff" steckte, für das so etwas wie eine Grenze nicht existiert. Ob new frontiers im Weltall oder unter dem Meeresgrund: Grenzen sind dazu da überstiegen zu werden. Wer nicht glaubt, dass der Mensch Gott sei, muss zu dem Schluss kommen, dass dieser Weg in die Unendlichkeit den Menschen überfordert. Deshalb, und nicht wegen einer besonderen Unvorsichtigkeit von BP, platzt an irgendeinem Tag das erste Sicherheitsventil.

Der Weg ins Unendliche ist aber nicht nur eine Überheblichkeit der Politiker, Manager und Konsumenten von Hollywoodfilmen, sondern liegt auch im Charakter unserer Produktionsweise. Die Katastrophe im Golf von Mexiko lässt sich deshalb etwa mit Börsenkatastrophen vergleichen, die durch zu geschwinde Rechner ausgelöst werden. Ökonomische new frontiers werden jeden Tag überschritten, weil die Wirtschaft dem Wachstumszwang unterliegt. Das ist es, was Obama mit den Grünen verbindet: Die Produktionsweise, die sich ihrem Denken nur harmlos als Markt darstellt, glauben sie nicht antasten zu müssen. Solange wir nicht sehen, dass nicht bloß die Tiefbohrung, sondern die Produktionsweise falsifiziert worden ist, wird es kein Umdenken geben.

Quelle: der FREITAG vom 24.06.2010. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und des Verlags.

Veröffentlicht am

28. Juni 2010

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