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Iran: Symptom und Krankheit

Teheran sollte im Atomstreit nur einlenken, wenn auch seine Sicherheitsinteressen garantiert werden und alle Nuklearmächte den Kernwaffensperrvertrag einhalten

 

Von Lutz Herden

Irans Außenminister Mottaki ist auf der Sicherheitskonferenz in München mit seinem Angebot, Uran im Ausland anreichern zu lassen, zwar angehört, aber nicht erhört worden. Umgehend wurde als Finte abgetan, was - wenn schon kein Wohlwollen - so doch wenigstens genauere Prüfung verdient hätte. Dass keine 48 Stunden später der iranische Präsident die Urananreicherung wieder in eigene Regie nimmt, wirkt wenig seriös, sollte aber als Ausfluss jener Doppelstrategie verstanden werden, wie sie Teheran nach dem Prinzip Verhandeln und Handeln seit Jahren verfolgt. Sie gilt, seit Präsident Khatami im Februar 2003 der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) mitteilte, sein Land wolle einen eigenen nuklearen Brennstoffkreislauf aufbauen.

Andererseits - woher wissen wir eigentlich, dass Ahmadinedjads Erklärung keine Reaktion auf den frostigen Umgang mit seinem Chefdiplomaten in München war? Was erwarten Amerikaner, Briten oder Deutsche? Dass ein Staat wie die Islamische Republik Iran seiner Souveränität abschwört, am besten öffentlich und auf einem Forum des Westens in München? In Kenntnis der Reden, die dort gehalten wurden?

Freiheit zum Totschlag

Wenn etwa der deutsche Außenminister ankündigt, man wolle eine atomare Bewaffnung Irans niemals hinnehmen, wird nicht nur mit der militärischen Option herum gefuchtelt, sondern dieselbe zur letzten Reißleine erklärt, die man zu ziehen gedenke, wenn Iran von seinem legitimen Anspruch auf zivilen Gebrauch von Kernenergie nicht lassen will. Die von Guido Westerwelle ausgerufene Eskalationsdynamik ist nicht neu und läuft Gefahr, irgendwann ohne Alternative zu sein. Es sei nicht vergessen, der alliierte Truppenaufmarsch am Golf hatte im März 2003 ein Stadium erreicht und wohl erreichen sollen, dass die Aggression gegen den Irak wie ein Befreiungsschlag wirkte.

Jeder Verweis darauf, es gäbe verschärfte Sanktionen, die Teheran schon zum Kniefall zwingen würden, gerät derzeit zu reiner Beschwichtigung. Zunächst einmal gibt es kein Waffenembargo, so dass vom Panzer bis zur Gewehrpatrone weiterhin alles an die iranische Armee verkauft werden kann. Warum? Wenn es doch um einen Staat geht, der als potenzieller Amokläufer die "Achse des Bösen" bevölkert? Zur Begründung heißt es, ohne diese Freiheiten gäbe es keinen Konsens der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und Deutschland (P5 + 1) in der Sanktionsfrage. Nur, was ist dieser Konsens wert, wenn die USA und Russland in der Iran-Politik doch nach wie vor eigene Wege gehen? Ohnehin scheint die Wirkung von Sanktionen ebenso begrenzt wie der Verifikationsbedarf des Westens gegenüber der "iranischen Bedrohung". Zu beweisen, was behauptet wird, gilt nicht unbedingt als zwingend.

Die irakischen Massenvernichtungswaffen, von denen es Anfang 2003 gleichfalls hieß, mit einem solchen Arsenal ließe sich die strategische Balance einer ganzen Region aushebeln und den irrationalen Wünschen eines Diktators unterwerfen - also müsse man das Übel durch Krieg aus der Welt räumen -, waren schlichtweg erfunden. Die gerade stattfindenden Anhörungen vor dem Chilcot-Untersuchungsausschuss in London enthüllen, zu welch krimineller Energie westliche Politik fähig und wie dünn die Glasur der Zivilisation sein kann, wenn es gilt, im Namen höherer sittlicher Standards eigenen Interessen Geltung zu verschaffen. Egal, ob aus Verblendung oder Kalkül. Erstaunlich, wie westliche Gesellschaften - getrieben vom Drang, Vergewisserung gegen Verwundbarkeit zu setzen - kriegswillig gestimmt werden, sobald ihnen Politiker wie Tony Blair Argumentationsmuster reichen, die dem Anschein nach schlüssig sind. Verlangt wird nicht mehr, als zu glauben, was man glauben will. Die mutmaßlich hohe Informationsfreiheit des Westens wird zum Pressverband gegen das Nachdenken. Sie schrumpft auf die Freiheit zum Totschlag an Hunderttausenden Irakern. Demnächst eben so vielen Iranern?

Noch verhindert die irakische Erfahrung der USA, Iran eine "Lektion" zu erteilen. Aber die Islamische Republik wird heute kaum weniger stigmatisiert als einst der Irak Saddam Husseins. Vor allem soll sie sich damit abfinden, dass ihre Sicherheitsbedürfnisse zweitrangig sind und von atomarer Bedrohung keine Rede sein kann.

Dabei hat Iran wie jeder andere Nicht-Nuklearstaat zumindest das Recht, jede Nuklearmacht, die 1968 oder danach den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NPT) unterzeichnet hat, daran zu erinnern: Es existiert laut Artikel 6 dieses Abkommens seit Jahrzehnten die Pflicht, Kernwaffen zu verschrotten. Dieses Gebot war seinerzeit für alle Nichtatomstaaten Conditio sine qua non, um ihrerseits in Artikel 2 des NPT zu erklären: Wir werden auf eigene nukleare Rüstung verzichten.

Doppelte Standards

Unter anderem mit dem Verweis darauf, dass die etablierten Nuklearmächte ihrer Abrüstungspflicht niemals nachgekommen seien, haben sich neue Nuklearmächte wie Pakistan, Indien und Israel inzwischen auskömmlich mit Kernwaffen versorgt. Ist etwas darüber bekannt, dass sie mit Sanktionen oder militärischen Strafgerichten zu rechnen haben? Pakistan ist unverzichtbarer Alliierter des Abendlandes, um Afghanistan soweit zu befrieden, dass US- und NATO-Truppen dort nicht eines Tages verbluten. Mit Delhi haben die USA 2008 einen Atomvertrag vereinbart, der Technologietransfer in beide Richtungen gestattet. Israel hält das Nuklearmonopol im Nahen Osten und mit seinen Kernwaffen eine ganze Region in Schach.

Die von dieser illustren Gemeinde alter und neuer Atommächte gegenüber Staaten wie Iran zu erbringenden Vorleistungen sind mindestens ebenso dringlich wie ein verifizierbarer Verzicht Teherans auf die atomare Selbstermächtigung. Anders formuliert: Wer wie die Europäische Union Abrüstung und Entspannung für die nahöstliche Konfliktzone befördern will, muss sich auch zu Sicherheitsgarantien für Iran durchringen und kann dabei israelische Atomwaffen nicht ausklammern. Ein solches Vorgehen hätte es verdient, revolutionär genannt zu werden. Es würde mit der Praxis doppelter Standards brechen, die in der so genannten Staatengemeinschaft zusehends als Gewohnheitsrecht firmieren und Mahmud Admadinedjad erst ermöglichen. Dieser Präsident ist nur ein Symptom - die Krankheit, das ist der demütigende Umgang mit Staaten und Gesellschaften, in denen Menschen wie Admadinedjad zu Politikern werden.

Der Vollständigkeit halber sei daran erinnert - das Angebot, Irans Urananreicherung ins Ausland zu verlagern, ist schon einmal lanciert worden. Anfang 2006 kam die Offerte aus Moskau, um einen Militärschlag zu verhindern, den damals die Bush-Administration nicht ausschließen wollte. Russland handelte, obwohl die Führung in Teheran den gesamten Brennstoffkreislauf auf ihrem Staatsgebiet betreiben wollte. Es gab daher das Angebot, iranische Wissenschaftler über eine Art Joint Venture an der Urananreicherung in Russland zu beteiligen. Zugleich sollte Iran zu Forschungszwecken erlaubt bleiben, Uran in einem geringen und kontrollierten Umfang selbst anzureichern. Russland baute eine Brücke, auf der sich die Iraner und die internationale Gemeinschaft treffen konnten.

Lawrows Offerte

Am 7. März 2006 wurde Außenminister Sergej Lawrow - die Zustimmung Irans und des damaligen IAEA-Generaldirektors Al Baradei im Gepäck - in Washington vorstellig, um den Amerikanern seine Lösungsvariante schmackhaft zu machen. Er stieß auf Unverständnis und resolute Absagen. Noch am gleichen Tag und noch in den USA erklärte Lawrow verblüffend schnell, sein Vorschlag sei nicht mehr existent. Danach besaßen die EU-Außenminister die Stirn, ihrerseits mitzuteilen: Iran sei am Scheitern der russischen Vermittlung schuld, was danach klang, als hätten sie mit Lawrow auf einen Durchbruch gehofft und ihn nicht von vornherein mit der gleichen herablassenden Skepsis bedacht, wie sie Manutschehr Mottaki vier Jahre später in München zuteil wurde.

Quelle: der FREITAG vom 10.02.2010. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

10. Februar 2010

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