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Iran: Nichts gewonnen, nichts verloren

Auch wenn der klerikale Allmachtsanspruch des Revolutionsführers Ayatollah Chamene’i bedroht sein mag, gilt das Gleiche nicht für die Islamische Republik

 

Von Torsten Wöhlert

Wer die Ereignisse der vergangenen Tage in Iran verfolgt, bekommt den Eindruck vermittelt, dass die Proteste gewalttätiger werden. Aber ist die Opposition wirklich machtvoller als nach der umstrittenen Wahl Ahmadinedschads? Deutet sich hier tatsächlich - wie der Spiegel titelt - der "Anfang vom Ende" des Gottesstaates an? Das darf bezweifelt werden. Die Konfrontation in Iran hat viele Ebenen und Facetten. Eine davon ist die Deutungshoheit - in Iran selbst und im Ausland. Und diese Hoheit ist wichtig, denn sie hat durchaus reale Auswirkungen. Auf den Gang der Ereignisse selbst. Und die Entscheidungsfindung interner wie externer Akteure. Ermutigung kann eine Macht sein. Enttäuschung auch.

Anpassungsfähig und stabil

Dass Iran nicht zur Ruhe kommt, scheint offensichtlich. Protest und Widerstand werden Mahmud Ahmadinedschads Herrschaft weiter begleiten und vielleicht auch beenden. Die entscheidende Frage aber ist: Kämpft hier nur eine Regierungsfraktion um Macht und Pfründe oder steht tatsächlich ein ganzes Regime zur Disposition wie vor über 30 Jahren, als die Islamische Revolution mit der Schah-Autokratie kurzen Prozess machte? Das Ende der Mullah-Herrschaft ist seitdem immer wieder beschworen worden. Vergeblich. Die Islamische Republik hat sich auch nach dem Tod des einstigen Revolutionsführers, Ayatollah Chomeini, als erstaunlich anpassungsfähig und stabil erwiesen - trotz eines achtjährigen Krieges mit dem Irak, trotz Sanktionen und Boykotte, ungeachtet zweier Invasionen im Nachbarstaat, eines andauerndes Krieges in Afghanistan und aller inneren Machtkämpfe. Allein vor diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund spricht wenig dafür, dass Iran tatsächlich ein Regimewechsel bevor steht. Wer sollte den auch herbeiführen? Die Opposition ist radikalisiert, aber uneinig. Ihr fehlen politische Struktur, Programmatik und eine Führungspersönlichkeit, die einen solchen Sturz herbeiführen könnte - und vor allem auch wollte.

Der augenblickliche Hoffnungsträger, Mir Hossein Mussawi, ist sicher ein mutiger Mann. Sein Engagement für mehr Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, gegen Machtmissbrauch, Korruption und Klientelwirtschaft spiegelt die Erwartungen einer um ihre Zukunft besorgten Jugend. Sein sozialpolitisches Credo - gerechte Verteilung, ökonomische Kompetenz und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes - ist so alt wie die Islamische Republik selbst. Aber er bleibt ein Repräsentant des Systems, der einen wirklichen Regime-Wechsel und die zwingend folgende Aufarbeitung und Abrechnung der vergangenen 30 Jahre politisch kaum überleben würde. Allein die Frage nach der Verantwortung für Millionen sinnlos gestorbene Iraner auf den Schlachtfeldern des iranisch-irakischen Krieges, an dessen Verlängerung Mussawi als damaliger Ministerpräsident Mitschuld trägt, dürfte sein Schicksal besiegeln. Von anderen Potentaten der Mullah-Diktatur wie Hashemi Rafsanjani, dem Machiavelli der Islamischen Republik, der sich jetzt auf die Seite der Opposition schlägt, ganz zu schweigen.

Rückzug aufs "Kerngeschäft"

Und doch offenbaren die Proteste eine neue politische Qualität: Sie stellen nicht nur die Präsidentschaft Ahmadinedschads in Frage, sondern mit ihr auch den Revolutionsführer, Ayatollah Chamene’i, der sein Schicksal auf militante und selbstmörderische Art und Weise mit dem des Präsidenten verbunden hat. Dadurch aber gefährdet er einen der politischen Grundpfeiler der Islamischen Republik, demzufolge ein schiitischer Rechtsgelehrter als Stellvertreter des verborgenen Zwölften Imams die letztinstanzliche weltliche Macht ausübt. Dieses Herrschaftsprinzip (velayat-e faghi) ist eine Erfindung Chomeinis. Sie hat Iran eine duale Struktur weltlicher und geistlicher Institutionen beschert, die sich in der Vergangenheit als ebenso kostspielig wie systemstabilisierend erwies. Unumstritten war dieser weltliche Führungsanspruch auch innerhalb der Geistlichkeit nie. Chomeini hat diese Stimmen mit seiner geistlichen und weltlichen Autorität zum Schweigen gebracht. Für Chamene’i waren schon die theologischen Fußstapfen seines Vorgängers zu groß, was ihn jedoch für die rivalisierenden islamischen Eliten als idealen Nachfolger qualifizierte. Wenn er sich jetzt auch für die weltlichen als zu klein erweist, sind seine Tage gezählt. Mit Rafsanjani stünde dann ein nächster Erbe bereit, dem zwar auch die geistliche Autorität Chomeinis fehlt, der seinen sicheren Machtinstinkt jedoch mehrfach unter Beweis gestellt hat.

Selbst wenn der klerikale Allmachtsanspruch mit Chamene’i untergehen sollte: Die Islamische Republik wird darüber nicht mehr zerbrechen, sondern auch diese Zäsur überleben. Die iranische Gesellschaft ist zutiefst religiös, und ein Rückzug der Geistlichkeit auf ihr "Kerngeschäft" kann den Mullahs sogar zu neuer Autorität verhelfen. Etwa in Fragen sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit - den uneingelösten, weil zu machtpolitischer Klientelpolitik verkommenen Versprechen der Islamischen Revolution. Ob eine derartige Zäsur mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Prosperität bringt, bleibt offen. In jedem Fall aber wird Teheran seine nationalen Interessen noch deutlicher artikulieren. Bei einem Machtwechsel dürften der Ton auf der internationalen Bühne konzilianter und die Argumentation rationaler werden. Das kann auch die Verhandlungen um das iranische Atomprogramm erleichtern. Aber an der strategischen Tatsache, dass Iran mit Russland, Indien, Pakistan, China und Israel von fünf Atommächten umgeben ist und die USA als sechste vor seiner Haustür weiß, ändert sich nichts. Egal, wer in Teheran regiert.

Quelle: der FREITAG vom 05.01.2010. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

06. Januar 2010

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