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Im Kasino von Kopenhagen

Das Klima ist keine Bank - sonst wäre es längst gerettet worden

 

Von Mohssen Massarrat

Der Klimagipfel wird nicht scheitern, dafür werden Merkel & Co schon sorgen. Sie werden die größte UN-Umweltkonferenz nutzen, um sich selbst als Klimaschützer zu feiern. Das Problem von Kopenhagen ist, dass es auf dem Kioto-Protokoll aufbaut - und das ist durch und durch beseelt vom Geist des Neoliberalismus, auf dessen Höhepunkt es 1997 als Grundlage der UN-Klimaschutzpolitik entstand. Darum wird "Hopenhagen" die Hoffnungen vieler Klimaschützer nicht erfüllen.

Der Kioto-Vertrag orientierte sich an dem marktwirtschaftlichen Lehrsatz: "Auf den Märkten entscheiden letztlich die Verbraucher, ob ein Produkt nützlich ist." In ihrer Eigenschaft als "Verbraucher" sollen die Vertragsstaaten zur Senkung ihrer CO2-Emissionen verpflichtet werden. Entsprechend soll auch in jedem Land das Verbraucherverhalten durch Anreize beeinflusst werden. Im kapitalistischen Alltag mag die Verbraucherorientierung Sinn haben. Ist es aber sinnvoll, die Lösung eines existenziellen Menschheitsproblems dem Marktverhalten der Verbraucher anzuvertrauen? Und lehrt uns die gegenwärtige Finanzkrise nicht, dass die Sicherstellung existenzieller Güter unter der Kontrolle des Staates stehen muss?

Das Klima ist ungleich wichtiger als das Finanzsystem: Letzteres ist für den Fortbestand des Kapitalismus entscheidend, Ersteres für die Menschheit als Ganzes. Die internationale Finanzkrise konnte mit staatlichen Rettungspaketen gerade noch abgewendet werden. Bei einer Klimakrise käme, wenn bei der Erderwärmung die kritische Grenze von 2 Grad Celsius überschritten wird, jedes Rettungspaket zu spät. Das Klima ist eben keine Bank - sonst wäre es längst gerettet worden.

Es ist an der Zeit, den Marktradikalismus beim Klimaschutz beiseitezulassen und den Ausstoß von CO2-Emissionen durch konsequente Regulierung zu senken. Dies erfordert, den Blick nicht auf die Verbraucher, sondern auf die Produzenten von fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdgas und Erdöl zu lenken. 70 Prozent davon werden in 20 Staaten produziert: in den USA, Russland, China, Indien, Australien, Kanada, den Opec-Staaten und einigen weiteren Ländern. Um sicherzustellen, dass der CO2-Ausstoß im Jahr 2050 um 50 Prozent sinkt, gibt es nur einen einzigen, höchst effizienten Weg: Die gerade noch zulässige Menge fossiler Energieträger muss unter diesen 20 Staaten völkerrechtlich verbindlich und flexibel aufgeteilt und jährlich gesenkt werden.

Zweitens stammt auch der Emissionshandel, das Hauptinstrument des Kioto-Protokolls, aus der neoliberalen Mottenkiste. Die noch zulässigen 750 Milliarden Tonnen CO2 sollen auf jeden Weltbürger "gerecht" verteilt werden. Staaten wie Mali, Burkina Faso und andere arme Entwicklungsländer erhalten nach diesem Modell deutlich mehr Emissionsrechte, als sie aufgrund ihres niedrigen Lebensstandards bis 2050 nutzen könnten, während die USA, Deutschland, Japan und andere reiche Länder nur noch für wenige Jahre Emissionsrechte erhielten. Bei diesem System kaufen reiche Staaten die überschüssigen Emissionsrechte armer Staaten an internationalen Börsen auf. So werden CO2-Emissionsrechte Inhalt eines neuartigen Finanzprodukts, der Handel damit wird eine neue, gigantische Anlagesphäre fürs internationale Finanzkapital.

Von deutschen Wissenschaftlern aus dem Umfeld des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung "Globale Umweltveränderung" stammt die Idee einer "Weltklimabank", die nach dem Modell der WTO das System Emissionshandel als Aufsichtsbehörde kontrollieren soll (s. taz vom 5./6. 12. 2009). Die Erfinder des Emissionshandels und die Befürworter einer Weltklimabank unterschlagen aber große Probleme: So werden die reichen Länder die Emissionsrechte armer Länder aufkaufen, um weiter CO2 in die Umwelt pusten zu können, während die Erlöse der Entwicklungsländer bei den reichen Eliten dieser Länder versickern. Bei einem Ausverkauf ihrer Rechte würde diesen Ländern sogar in alle Ewigkeit das Recht auf Industrialisierung genommen.

Finanzblasen und Sphären

Um sicherzustellen, dass die Menge der Emissionsrechte mit der Menge der tatsächlichen Emissionen übereinstimmt, Staaten und Verbraucher also nicht schummeln, bedarf es eines gigantischen Kontrollapparats - und zwar weltweit, in jedem Industriebetrieb und jedem Haushalt, der die Emissionsrechte erworben hat. Entweder gehen die Kosten dieses "Marktinstruments" ins Unermessliche - oder das System wird nicht funktionieren. Was aber ganz sicher funktionieren dürfte, ist die Spekulation, wenn Finanzjongleure mit Milliardeneinsätzen um virtuelle CO2-Rechte wetten und neue Finanzblasen schaffen.

Dabei ist es sinnvoll und möglich, durch systematische Reduktion der fossilen Energieträger in den Produzentenstaaten die Verteilung von Restemissionen dem Weltmarkt zu überlassen. Preiserhöhungen für Öl, Erdgas und Kohle als Folge der gewollten Verknappung eignen sich bestens dazu, den Übergang zu regenerativen Energien weltweit durchzusetzen. Obendrein machen sie alle bürokratischen und aufwendigen Anreizsysteme sowie Festlegungen auf bestimmte Technologien oder Vorschriften zur Bau- und Wärmedämmung überflüssig.

Leider hat die 12-jährige Debatte über das Kioto-Protokoll bisher keinen Weg gezeigt, bei dem die Lasten des Ausstiegs aus der fossilen Energie gerecht verteilt würden, da die reichen Staaten sich weigerten, ihrer historischen Verantwortung gerecht zu werden. Dabei liegt es auf der Hand, dass nur ein moralisch plausibles und auch von armen Staaten akzeptiertes Kriterium dieses Dilemma lösen kann: Entschädigung armer Länder durch Klimaschulden reicher Staaten, um in armen Ländern regenerative Energieversorgung zu finanzieren. Die Klimaschulden sind bis auf Heller und Pfennig ermittelbar, weil die bisher ausgestoßene CO2-Menge für jeden einzelnen Staat ziemlich genau bekannt ist. Emissionshandel und Weltklimabank gehören zum Kasinokapitalismus. Der Klimaschutz aber braucht eine UN-Klima-Agentur, die ein alternatives Modell der Verknappung an der Quelle koordiniert.

Mohssen Massarrat ist emeritierter Professor für Politik und Wirtschaft der Universität Osnabrück. Mit Stephan Krull und Margareta Steinrücke publizierte er zuletzt den Attac-Reader "Schritte aus der Krise: Arbeitszeitverkürzung, Mindestlohn, Grundeinkommen."

 

Quelle:  taz vom 16.12 2009. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat.

Veröffentlicht am

18. Dezember 2009

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