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Wehrpflicht: Schule der Männlichkeit

Die FDP drängt auf Abschaffung, Sozialverbände fürchten um die Zivis. Und was ist mit den jungen Soldaten in einem Berufsheer?

 

Von Ulrike Baureithel

Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin, pflegte die friedensbewegt gestimmte männliche Jugend einstmals auf ihre Autos zu kleben. So naiv der Spruch auch daherkam, steckte in ihm auch ein Stück Selbstermächtigung. Wenn man den Bürger schon gegen seinen Willen in die Uniform steckte, so die Logik der Verweigerer, dann konnte er sich durch zivilen Ungehorsam dem Dienst an der Waffe auch entziehen und den Krieg mithin unmöglich machen.

Nun stellt der Koalitionsvertrag die allgemeine Wehrpflicht, einst untrennbar mit den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts verbunden und als "Schule der Männlichkeit" eine der drei zentralen bürgerlichen Integrationssysteme, grundsätzlich zur Disposition. Ginge es nach der FDP, würde sie sogar sofort abgeschafft: Die Verkürzung der Dienstpflicht von neun auf sechs Monate ist ein Zugeständnis an den konservativen Partner und wird als "Einstieg in den Ausstieg" verstanden, wie der neu gekürte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) dieser Tage in der Boulevardpresse bekräftigte.

Dass sich die Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee aus wehrhaften Bürgern (und seit einigen Jahren auch Bürgerinnen) in ein Berufsheer entwickelt hat, das im Rahmen internationaler Einsätze in "kriegsähnliche Handlungen", wie Verteidigungsminister zu Guttenberg konzidiert, verwickelt wird, ist keine Neuigkeit. Auch dass die meisten der Rekruten für den Ernstfall kaum mehr trainiert sind und am Hindukusch nicht einsatzfähig wären, hält der Bundeswehrverband nicht geheim. Von einem Jahrgang werden rund zehn Prozent gar nicht gemustert, 30 Prozent fallen durch ein Tauglichkeitsraster, von dem ihre Generationsvorgänger nur geträumt haben. Und vom Rest wird noch nicht einmal die Hälfte zum Grundwehr- oder Ersatzdienst herangezogen.

Doch was nun politisch als größere "Wehrgerechtigkeit" verkauft wird, macht an anderer Stelle Probleme. Denn mit der Verkürzung der Dienstzeit werden Zivildienstleistende für die Wohlfahrtsverbände als Einsatzkräfte unattraktiv. Rund 88.000 junge Männer leisteten im Jahr 2008 Ersatzdienst, mindestens zwei Drittel davon im Sozialbereich: in der Pflege vor allem, in den Krankenhäusern und bei der Unterstützung von Behinderten. Was früher, als der Zivildienst noch 20 Monate dauerte und damit länger als der Dienst an der Waffe, noch als "Strafe" galt, hat heute eher den Charakter einer Vorausbildung, um in einen Sozialberuf einzusteigen.

Verbände drohen mit Ausstieg

Allerdings bleiben mittlerweile aufgrund der geringen Aushebung viele Zivi-Stellen unbesetzt, und die Verbände haben angekündigt, ganz aus dem Ersatzdienst auszusteigen, weil das Anlernen für sechs Monate in vielen Bereichen nicht mehr lohne und der ständige Betreuerwechsel den Betroffenen nicht zugemutet werden könne. Schon im Jahr 2004, als der Wehrdienst auf neun Monate reduziert worden war, schlugen viele Träger Alarm, dass die Rund-um-die-Uhr-Versorgung beispielsweise von Schwerstbehinderten künftig nicht mehr gewährleistet werden könne.

Streng genommen darf das gar nicht der Fall sein: Denn für Arbeitsgelegenheiten nach Hartz IV, für freiwillige soziale Dienste und für ehrenamtliche Hilfen gilt das Gleiche wie für Zivis: Sie dürfen nicht auf reguläre Stellen gesetzt werden. Faktisch ist es aber so, dass die Mitarbeiter aus nachvollziehbaren Gründen danach drängen, qualifiziert zu arbeiten und die Träger darauf angewiesen sind, weil der Betrieb sonst zusammenbrechen würde. Im Klartext: Wenn der Zivildienst verschwindet, könnte auch das ganze Desaster in der Daseinsfürsorge zutage treten, statt es wie bisher zu vertuschen.

Das wäre sogar wünschenswert, wenn daraus die Konsequenz gezogen werden würde, neue, qualifizierte Stellen zu schaffen. Der FDP geht es bei der Abschaffung des Wehr- und damit auch des Zivildienstes aber eher um das verfügbare Arbeitskräftereservoir: Die wenigen jungen und kampfmotivierten Männer werden in die staatlich alimentierte Bundeswehr und ins Ausland abkommandiert; die gebildete Oberschicht wandert ohne Reibungsverluste an die Uni, die nicht ganz so Privilegierten gehen in die berufliche Qualifikation. Der große Rest verteilt sich auf den Niedriglohnsektor oder die Sozialdienste. Man darf sogar prophezeien, dass die Liberalen dafür eintreten werden, dass letztere freiwillig bleiben.

Pazifizierte Männergeneration

Immerhin gibt es heute schon drei Mal so viel junge Männer und Frauen, die nach der Schule ein soziales oder ökologisches freiwilliges Jahr absolvieren möchten, gerne im Ausland. Das ist zu begrüßen. Auch der Zivildienst hat die jüngeren Männergenerationen auf eine Weise pazifiziert, dass sie heute statt nach der Knarre lieber nach dem Fläschchen für den Nachwuchs greifen, staatlich subventioniert, versteht sich.

Angesichts der langen militaristischen Tradition in Deutschland ist das ein kaum zu überschätzender Zivilisationsgewinn. Ein Berufsheer aber, das in deutschem Auftrag die Welt retten soll? Eine Einrichtung, die sich nicht mit mehr mit "Vorwärtsverteidigung" rechtfertigt, sondern das Kriegsspiel offen betreibt? Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin: Diese Selbstermächtigung wehrhafter Bürger würde dann auch obsolet.

Quelle: der FREITAG vom 12.11.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

20. November 2009

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