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Marwan Barghouti: Schluss mit Bitten und Betteln

Brutaler Terrorist und unbeirrbarer Widerstandskämpfer - wird Marwan Barghouti bald auch ein palästinensischer Mandela?

 

Von Johannes Zang

Am 22. Juli 1946 brachten sechs als arabische Arbeiter verkleidete jüdische Irgun-Kämpfer Milchkannen voller Sprengstoff ins King-David-Hotel von Jerusalem. Als ein britischer Offizier auf den Flur trat, wurde er ebenso wie ein herbeieilender Polizist niedergeschossen. Um 12.37 Uhr detonierten 350 Kilogramm Dynamit und zerstörten den Südflügel des Hauses. 91 Opfer waren zu beklagen - Briten, Araber, Juden.

Ein Anschlag von Freiheitskämpfern oder Terroristen? Gern erinnern israelische Friedensaktivisten mit Blick auf den Unabhängigkeitskampf der Palästinenser heute an diese Aktion gegen die britische Mandatsherrschaft, der nach offizieller Lesart im heutigen Israel kein Terrorakt war. Nur, wo genau wird aus Gewalt und Terror Freiheitskampf? Und wie ordnet sich da Marwan Barghouti ein, den die palästinensische Nachrichtenagentur Ma´an einen "inhaftierten Widerstandsführer" nennt?

Kein Terrorist, kein Pazifist

Der wiederholt als denkbarer Nachfolger von Präsident Mahmud Abbas gehandelte Fatah-Politiker wurde 1958 bei Ramallah geboren und Ende der siebziger Jahre von der israelischen Regierung nach Jordanien verbannt. Als sich 1993/94 mit den Verträgen von Oslo das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern leicht entspannte, konnte Barghouti zurückkehren. "Wir haben sieben Jahre der Intifada ohne Verhandlungen probiert und dann sieben Jahre Verhandlungen ohne Intifada; vielleicht ist es Zeit, beides gleichzeitig zu versuchen", resümierte er damals.

Als im Jahr 2000 wieder ein großer Palästinenser-Aufstand ausbricht, meint Barghouti in einem Interview, die Bewohner der besetzten Gebiete hätten es nicht länger ertragen können, Geisel am Verhandlungstisch zu sein. Sie ertragen es nicht mehr, die Israelis ständig anzuflehen, die vereinbarten Abkommen umzusetzen. Schluss mit Bitten und Betteln."

Barghouti ist damals Kommandeur der Fatah-Tanzim-Milizen und soll Selbstmordattentate der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden gebilligt haben, obwohl er nicht müde wird, von einer "friedlichen Intifada" zu sprechen. Im Januar 2002 schreibt er in einem Beitrag für die Washington Post: "Ich bin kein Terrorist, aber auch kein Pazifist. Ich bin ein gewöhnlicher Kerl von der palästinensischen Straße, der nur das gutheißt, wofür jeder andere Unterdrückte auch plädiert: das Recht, mir selbst zu helfen, wenn von nirgendwo sonst Hilfe kommt." Das schließe nicht aus, weiterhin ein friedliches Auskommen zwischen gleichberechtigten Israelis und Palästinensern zu suchen.

Drei Monate später, im April 2002, wird Barghouti während der Operation Schutzschild verhaftet und in Israel wegen Mordes, Beihilfe und Anstiftung zum Mord, krimineller Verschwörung und aktiver Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation angeklagt. Der Häftling bemüht sich verzweifelt, als Kriegsgefangener anerkannt und behandelt zu werden. Er sei nicht verhaftet, sondern gekidnappt worden, die Anklage ein politisches Manöver - die israelischen Richter bleiben unbeeindruckt und weisen jeden Antrag zurück.

Fünfmal lebenslänglich

An den Verhandlungen nehmen auch Angehörige von Terroropfern teil - das prägt die Atmosphäre. Nach drei Monaten Prozess spricht Richter Gurfinkel am 12. Dezember 2002 das Urteil: fünfmal lebenslänglich und 40 Jahre Haft. Es heißt unter anderem im Urteil: "Der Angeklagte, der in Ramallah lebt, ist der Anführer der terroristischen Organisationen im Gebiet von Judäa und SamariaIsraelische Bezeichung für die Westbank. Er ist ihr Führer, und war die zentrale Person bei ihren Entscheidungen. Der Angeklagte war Befehlsempfänger von Yassir Arafat … Der Angeklagte steuerte und führte Terrorakte gegen israelische Ziele aus." Auf Barghoutis Vorwurf, das Gericht sei weder für ein solches Verfahren noch für das Urteil legitimiert, entgegnet der Richter: "Letztlich hat der Staat Israel das Recht und die Befugnis, über den Angeklagten Recht zu sprechen, wie es aus dem israelischen Recht, den Oslo-Abkommen und den Regeln internationalen Rechts hervorgeht."

Keinen Tag länger

Seit sieben Jahren sitzt der charismatische Barghouti nun in Haft. Nach dem Hamas-Wahlsieg im Januar 2006 spielt er eine wichtige Rolle bei der Abfassung des so genannten "Gefangenenpapiers", in dem das Existenzrecht Israels anerkannt wird. Das Dokument ermöglicht letzten Endes den Vertrag von Mekka und damit ab Februar 2007 eine kurzlebige Regierung der Nationalen Einheit zwischen Hamas und Fatah. Beim Fatah-Kongress in Bethlehem wählen ihn die Delegierten vor wenigen Tagen erstmals ins höchste Gremium der Fatah - die 1.063 Stimmen für einen Sitz Barghoutis im Zentralkomitee lassen erahnen, wie viel Reputation und Respekt er genießt.

In Israel wird seither heftig debattiert. Immerhin haben die Minister Braverman und Benjamin Ben-Eliezer vorgeschlagen, den Gefangenen freizulassen, da es mit ihm einen Friedensschluss geben könne. Ex-Außenministerin Zipi Livni ist entschieden dagegen. Und der Kolumnist der Jerusalem Post fragt, wann genau Barghouti "von einem Mörder in einen Menschen, der Frieden liebt, verwandelt worden" sei. Israelische Friedensaktivisten - so klein ihr Lager derzeit auch sein mag - sind überzeugt: Sobald Israel begreift, dass es Frieden braucht, wird Marwan Barghouti keinen Tag länger im Gefängnis sitzen und für eine Versöhnung gebraucht. Ähnlich wie Nelson Mandela, der in Südafrika aus der Haft entlassen wurde, als die weiße Regierung zu dem Schluss kam, die Apartheid nicht länger aufrechterhalten zu können. Wenn das eintritt, könnte Barghouti eine ähnliche Karriere bevorstehen, wie sie der einstige Irgun-Kämpfer Menachem Begin auskosten konnte, der 1977 Premierminister wurde, Verträge mit Ägypten schloss und den Friedensnobelpreis erhielt.

Quelle: der FREITAG vom 20.08.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

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Fußnoten

Veröffentlicht am

25. August 2009

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