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Iran vs. Israel: Netanjahu steht mit dem Rücken zur Wand

Die israelische Regierung versucht, mit militärischen Vorkehrungen für einen Angriff auf Irans Nuklearanlagen Barack Obamas neue US-Nahostpolitik zu unterlaufen


Von Mohssen Massarrat

Die Regierung Netanjahu wartet seit Wochen mit Horrormeldungen auf. Einmal steht der Iran kurz vor dem Test einer Atombombe, dann wieder wird der iranischen Armee unterstellt, Irak nach dem Abzug der US-Truppen besetzen zu wollen. Kolportiert wird auch die zweifelhafte Nachricht, US-Vizepräsident Joe Biden habe Israel grünes Licht für einen Angriff gegen Irans Nuklearanlagen erteilt. Inzwischen hat sich Präsident Obama deutlich gegen dieses "grüne Licht" ausgesprochen, auch wenn Israels Verteidigungsminister Ehud Barak im Gespräch mit seinem Amtskollegen Robert Gates am 26. Juli beharrlich darauf bestanden hat, man solle sich die militärische Option gegen Teheran offen halten. Dementsprechend wurden mit Raketen bestückte, aus Deutschland gelieferte U-Boote der israelischen Marine in das Rote Meer verlegt.

Feindbilder in Gefahr

Es stellt sich die Frage: Steht die jetzige Kriegsdrohung in einem Zusammenhang mit der Demokratiebewegung im Iran ? Was könnten die Motive der Regierung Netanjahu sein, gerade jetzt Vorkehrungen für einen möglichen Waffengang zu treffen? Oder anders gefragt: Schwächt die Demokratiebewegung das Regime derart, dass es sich anbietet, den Druck von außen zu erhöhen und den erwünschten Regimewechsel herbeizuführen? Die israelische Regierung hat kein großes Interesse an einem demokratischen Iran, sehr wohl aber - so paradox es auch erscheinen mag - am Feindbild Mahmud Ahmadinedschad . Ein fundamentalistischer Iran und ein expansionistisches Israel brauchen einander. Seit drei Jahrzehnten - seit der Islamischen Revolution von Ayatollah Chomeini 1979 - dient die Angst vor der "iranischen Bedrohung" der Ablenkung von der Besatzungspolitik in Palästina. Irans Demokratiebewegung ist somit nicht nur eine Gefahr für die Theokratie im Iran - auch für die Hardliner in Israel. Der Iran lässt sich schwerlich weiter dämonisieren. Die Zeitung Haaretz überschrieb jüngst ein Foto der grünen Proteste in Teheran mit der Schlagzeile: "Wen wollen wir im Iran bombardieren?"

Barack Obamas versöhnliche Rede am 4. Juni in Kairo , die um Vertrauen in der islamischen Welt warb, hat die iranische Zivilgesellschaft ermutigt, an den Wahlen vom 12. Juni teilzunehmen und den Reformer Mussawi zu unterstützen. Möglicherweise hat die Angst, der würde mit Obama den Atomkonflikt kreativ anpacken und damit das Feindbild Amerika erschüttern, die Theokratie erst recht dazu bewogen, einen Wahlsieg potenzieller Reformer mit allen Mitteln zu verhindern. Derzeit jedenfalls gibt es keinerlei Anzeichen dafür, dass Obama - zusammen mit Israel - einen Regime Change im Iran anstrebt.

Nur, wäre Israel ohne die Vereinigten Staaten überhaupt in der Lage, einen Schlag gegen die iranischen Atomanlagen zu führen? Die Fakten sprechen dagegen; Israel verfügt weder über Langstreckenbomber noch über genügend Tankflugzeuge, um die eigene Luftwaffe beim Hin- und Rückflug mit Brennstoff zu versorgen. Der Berliner Friedensforscher Otfried Nassauer weist zu Recht daraufhin, dass auch den Delphin-U-Booten die nötige Reichweite fehlt, um sich iranischem Territorium so weit zu nähern, dass Raketen mittlerer Distanz abgefeuert werden könnten. Unklar bleibt, ob Israel über Raketen mit einer Flugweite verfügt, um den Iran vom eigenen Staatsgebiet aus anzugreifen.

Mit dem Rücken zur Wand

Was also soll dann das erneute Säbelrasseln, als solle demnächst tatsächlich losgeschlagen werden? Es wäre falsch, die Drohung für reinen Bluff zu halten. Auch würde die Schlussfolgerung - Israel kann nicht, also wird es nicht - zu schematisch ausfallen. Tatsächlich geben oft politische Motive den Ausschlag. Israels rechtsgerichtete Regierung steht unter Druck, den Versuch der Obama-Administration, eine neue Nahostpolitik zu verfolgen, nicht über Gebühr zu behindern - man könnte auch sagen, Netanjahu steht mit dem Rücken zur Wand. Noch weigert er sich, den Siedlungsbau so durchgreifend zu stoppen, wie das für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen mit den Palästinensern geboten erscheint. Dies würde immerhin bedeuten, substanzielle Abstriche an der Besatzungspolitik zu machen, die für Netanjahus Koalitionäre unter keinen Umständen hinnehmbar sind. Unter diesen Bedingungen mag alles, was für Außenstehende als irrational erscheint, aus Sicht zionistischer Hardliner rational - ja, im Sinne eines "Befreiungsschlages" als überlebensnotwendig erscheinen.

Bei den letzten beiden Kriegen, die Israel 2006 im Libanon sowie vor wenigen Monaten im Gaza-Streifen geführt hat, setzte sich gerade die Irrationalität durch. Beim Feldzug gegen den nördlichen Nachbarn nahm der Nimbus der Unbesiegbarkeit erkennbar Schaden. Wie sich Netanjahu und seine Generäle auch immer entscheiden - es wird Obamas Change-Projekt im Nahen und Mittleren Osten beeinflussen. Können die israelisch-iranischen Spannungen nicht gezügelt werden, sind die USA zur Parteinahme für den strategischen Partner in Jerusalem gezwungen, ob sie es wollen oder nicht. Für den am 4. Juni in Kairo bekundeten Verständigungswillen mit der muslimischen Welt wäre das ein Rückschlag.

Quelle: der FREITAG vom 12.08.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat und des Verlags.

Veröffentlicht am

13. August 2009

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