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Vor 30 Jahren Atomunfall bei Harrisburg: In deutschen Atomkraftwerken würde eine Wasserstoff-Explosion zur Katastrophe führen

Aufsichtsbehörden ziehen aus brisanter "Jahn-Studie" nicht die erforderlichen Konsequenzen

Am 28. März vor 30 Jahren kam es in Block 2 des US-Atomkraftwerks Three Mile Island (TMI-2) bei Harrisburg, der Hauptstadt des Bundesstaates Pennsylvania, zu einem schweren Atomunfall mit Teil-Kernschmelze. Was nach den Prognosen der Atomindustrie und der sonstigen "Experten" eigentlich nur einmal in 100.000 Jahren passieren dürfte, geschah 1979, und dann, nur sieben Jahre später, in katastrophalem Ausmaß 1986 in Tschernobyl.

Beim Unfall in Harrisburg kam es in Folge von technischen und menschlichen Fehlern zu einer massiven Wasserstoff-Explosion, die der Wucht von mehreren modernen 1000-Pfund-Bomben entsprochen haben soll. "Nur weil in Harrisburg aufgrund des Reaktor-Designs lediglich ein Teil des gebildeten Wasserstoffs in das Containment entwich und das Containment als letzte Sicherheitsbarriere vergleichsweise robust war, kam es nicht zur großen Katastrophe", erläuterte der Atomenergie-Experte der IPPNW, Henrik Paulitz. "Dennoch war die Gefahr tagelang nicht gebannt. Zahllose Experten kämpften darum, dass es nicht zu massiven Freisetzungen der tödlichen Radioaktivität wie später in Tschernobyl kam. Aus Harrisburg wurden dennoch offenbar Tausende Curie radioaktiver Edelgase freigesetzt, ein Großteil davon mit Absicht, um noch Schlimmeres zu verhindern."

"Das Reaktor-Design deutscher Atomkraftwerke weist im Gegensatz zu Harrisburg zwei schwerwiegende Nachteile auf", betont Paulitz. "Erstens muss mit einer vollständigen und relativ schnellen Freisetzung des entstehenden Wasserstoffs in das Containment gerechnet werden. Zweitens sind die deutschen Stahl-Containments nicht robust genug, um ein Bersten durch Wasserstoff- oder auch Dampfexplosionen auszuschließen. Die deutschen Siemens-Reaktoren stellen insofern gefährliche Fehlkonstruktionen dar. Das deutsche Referenz-Atomkraftwerk Biblis B schnitt im internationalen Vergleich der OECD unter den noch in Betrieb befindlichen Anlagen am schlechtesten ab, weil es in Biblis im Falle einer Kernschmelze erwartungsgemäß zum Bersten des Containments kommt."

Nach Angaben der IPPNW gibt es zudem noch einen weiteren brisanten Unterschied zwischen den deutschen Atomkraftwerken und dem US-Reaktor. "In Harrisburg konnte relativ viel Wasserstoff durch Rekombinatoren abgebaut werden, die sich nicht im Reaktorgebäude, sondern außerhalb dessen im Hilfsanlagengebäude befanden. Die externen Rekombinatoren in Harrisburg konnten daher repariert werden, was in einem Fall auch erforderlich war", so Paulitz. "In Deutschland wurden bzw. werden hingegen autokatalytische Rekombinatoren nachgerüstet, die sich innerhalb der Containments befinden und deswegen nicht reparabel sind. Ferner steht in Frage, ob diese Rekombinatoren im Notfall unter Störfallbedingungen überhaupt arbeiten. Und wenn sie arbeiten, dann bauen sie den Wasserstoff so langsam ab, dass damit frühzeitige Wasserstoff-Explosionen überhaupt nicht verhindert werden können."

Das Schlimmste an den deutschen Rekombinatoren ist laut IPPNW aber der Umstand, dass sich die Geräte beim Betrieb so stark erhitzen, dass sie selbst als Zünder des Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisches fungieren können. "Das bedeutet, dass die Rekombinatoren die gefürchteten Wasserstoff-Explosionen, die sie eigentlich verhindern sollen, selbst auslösen können." In Harrisburg erfolgte zwar ebenfalls eine Überhitzung eines Rekombinators, was aber durch die Lokalisation außerhalb des Containments kein größeres Problem darstellte.
Aus den genannten Gründen warnen Fachleute der betreiber-freundlichen Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) und des (Kern-)Forschungszentrums Jülich hinter vorgehaltener Hand und teilweise auch öffentlich schon lange vor dem Einsatz dieser Geräte.

Der Münchener Kernschmelzen-Spezialist Dr. Hermann Jahn, ein ehemaliger Mitarbeiter der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS), warnt die deutschen Aufsichtsbehörden seit Jahren eindringlich vor dem Einsatz der Rekombinatoren. Im Auftrag des schweizerischen Eidgenössischen Department für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK sowie der Eidgenössischen Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen (KSA) erstellte Jahn einen umfangreichen Bericht mit dem Titel "Wasserstoffproblematik in Containments bei schweren Unfällen", datiert vom 20. Juni 2006.

In der brisanten Studie heißt es unmissverständlich (S. 49): "Da das System katalytischer Rekombinatoren explosionsfähige Gemische und Flammfront-Beschleunigung nicht verhindern kann, kann es nicht länger als wirksame Gegenmaßnahme zur Verhinderung eines Containment-Versagens durch Wasserstoff-Explosion eingestuft werden. Da katalytische Rekombinatoren selbst zur Zündquelle werden, kann das System zudem nicht als sicherheitsgerichtet eingestuft werden, solange keine Maßnahme zur Verhinderung zündfähiger Gemische eingeführt werden."

Die "Jahn-Studie" stand in den deutschen Atomaufsichtsbehören und offenbar auch in der Reaktorsicherheitskommission (RSK) des Bundes schon mehrfach auf der Tagesordnung. "Die erforderlichen Konsequenzen werden aus dem brisanten Papier allerdings nicht gezogen", so Paulitz. "Man verschleppt das Problem seit Jahren."

Die Verantwortung dafür, dass aus der ungelösten Wasserstoff-Problematik keine Konsequenzen gezogen werden, tragen Politiker wie die Physikerin und Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, Ex-Umweltminister Jürgen Trittin und Ministerpräsidenten von Ländern mit Atomkraftwerken wie beispielsweise Roland Koch oder Peter Harry Carstensen.

Quelle: IPPNW - Presseinfo vom 27.03.2009.

Veröffentlicht am

30. März 2009

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