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Laboratorium des Gemeinsinns

Wenn Menschen kooperieren und ihr Wissen teilen, profitieren am Ende alle davon


Von Ulrike Baureithel

Untergangsjünger, so genannte "survivalists", ist zu lesen, haben in den USA derzeit ungeahnten Zulauf. Der drohenden Katastrophe begegnen sie, indem sie sich mit Waffen, Medikamenten und Lebensmitteln versorgen und sich einbunkern. Gemessen daran geht das Leben hierzulande seinen gespenstisch normalen Gang: Keine Massendemonstrationen, auf denen kriminelle Banker zur Verantwortung gezogen würden, kein Sturm auf die Banken, um in Sachwerte zu fliehen - es ist, als würde das, was kommt, durch eine Art Totstellreflex magisch zu bezwingen sein.

Den Verlauf der Kernschmelze des Systems wagen nur wenige zu prognostizieren: Für die Betreiber der Internetplattform Leap 2020 beispielsweise, einem alternativen Think Tank, steht sie schon kurz bevor (und wer die "Empfehlungen" zur Vorbereitung herunterladen möchte, muss teuer bezahlen). Aber ob Totalkollaps oder galoppierende Agonie, ein massenhafter Exodus in die Schrebergärten der Subsistenz wäre zumindest in Deutschland schon ein räumliches Problem, und "Zigarettenwährung und Stallhasen im Hinterhof", die Robert Kurz an dieser Stelle kürzlich sarkastisch offerierte, sind keine wirklich überzeugende Alternative.

Was aber passiert, wenn die Arbeitslosigkeit exponentiell ansteigt und die Kreditwürdigkeit dahinschmilzt wie der Geldwert? Wenn die hyperanfällige Just-in-time-Produktion ins Stocken gerät und die Stadtkämmerer zahlungsunfähig geworden sind? Jetzt muss sich der globale Netzwerker im Lokalen beweisen und Austauschbeziehungen schaffen, die zunächst einmal den Wertverfall des Geldes unterlaufen: Die Leute müssen essen, also organisieren sich Städter und Landbevölkerung wie zur Blütezeit der Alternativen in Food-Coops. Die in der Marktökonomie dahindümpelnden Tauschringe werden eine ganz neue Konjunktur erleben: Denn statt des wertlosen Geldes kann man sich hier die Dinge des Alltags organisieren und vielleicht sogar verschüttete Fähigkeiten wiederentdecken. Wenn kein Naturaltausch zustande kommt, könnten Lokalwährungen Vertrauen schaffen und das wertlos gewordene Geld ersetzen.

Eine eher private, lokale oder regional organisierte Übergangswirtschaft ersetzt natürlich keine komplexe Ökonomie, aber sie schärft in Zeiten der Krise möglicherweise den Blick für das Notwendige und nicht für das gewinnträchtig Absetzbare. Wer keinen Job mehr hat und Wissen oder Fertigkeiten in den lokalen Pool einbringen kann, erhält dafür ein Äquivalent, gewichtet nach Relevanz der Aufgabe und Nachfrage. Wer Kinder betreut oder den Müll wegräumt, erwirbt sich unter Umständen höhere Ansprüche als einer, der nur eine der marktüblich attraktiveren und bislang höher entlohnten Arbeiten anbieten kann. Denkbar ist das Modell auch für die materielle Produktion, auch wenn das komplexere Kooperationen voraussetzt.

Vorbild für diese Art kollektiver Peer Production ist nicht nur die Open Source-Bewegung für freie Software entwickelt und zur Verfügung stellt. Ausgerechnet die indigene Völker haben in den vergangenen Jahren die Sensibilität für kollektive Wissensbewirtschaftung geschärft, indem sie ihre Rechte an traditionellem Wissen gegenüber Konzernen verteidigt haben. Statt patentierbaren und verkäuflichen Eigentumsrechten pochen sie auf Nutzungsrechte, die einer Gruppe oder allen zur Verfügung stehen. Ähnlich argumentieren arme Länder, wenn sie Zwangslizenzen für überlebensnotwendige Medikamente fordern oder Bauern, die durch genmanipuliertes und patentiertes Saatgut von Konzernen abhängig gemacht werden. Dass Eigentumsmonopole die Innovationsfähigkeit von Gesellschaften untergraben können, noch vor jedem Krisenszenario, hat sogar das Europäische Patentamt eingestanden. Wenn Unternehmen in der Krise pleite gehen, werden Patente frei: Eine Chance für die Zivilgesellschaft, sie für die Allgemeinheit zurückzuerobern.

Die Ideen-Kern der Peer-Group-Kooperation ist nicht neu und setzt voraus, dass zum einen Eigentum durch Besitz und Nutzung ersetzt wird, und andererseits Protagonisten, die willens sind, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten einzubringen. Verelendete Menschen, die als "lebende Bomben" durch die Welt marodieren, wie es Hans-Magnus Enzensberger vor zehn Jahren angesichts des Niedergangs des Sozialismus sah, werden dazu nicht in der Lage sein.

Ob aus der Postapokalypse so etwas wie ein Laboratorium des Gemeinsinns und Gemeinwesens entstehen kann, wird entscheidend davon abhängen, ob die von der Krise Freigestellten nicht um das nackte Überleben kämpfen müssen. Not macht erfinderisch, aber nicht frei.

Quelle: der FREITAG vom 11.03.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

16. März 2009

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