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Jahrestag: Der Finger am Abzug

Die aggressive Strategie der NATO ist falsch und veraltet. Probelauf war der Kosovo-Krieg. Schon damals gab es bessere Lösungen

Von Reinhard Mutz

Die NATO wird 60 Jahre alt und rüstet sich für den Jubiläumsgipfel. Ein kaum weniger denkwürdiges Datum würde sie lieber vergessen machen: Am 24. März jährt sich zum zehnten Mal der Beginn des Kosovo-Krieges. Er gereicht den Bündnisannalen nicht gerade zur Zierde. Auf dem Höhepunkt des Bombardements verabschiedete die NATO ihr neues strategisches Konzept, das bis heute gilt. Seitdem führt das einstige Verteidigungsbündnis auch Angriffskriege.

Als im Juni 1999 die Koalitionstruppen in die Balkanprovinz einmarschierten und sich neue Flüchtlingstrecks in Bewegung setzten - diesmal nicht Albaner auf der Flucht vor Serben, sondern Serben, die vor Albanern flohen - klangen die Siegesmeldungen schal. Der mächtigste Militärapparat der Geschichte hatte einen Kleinstaat bezwungen.

Dazu brauchte er 78 Tage Dauerfeuer in 37.000 Lufteinsätzen mit Bomben und Raketen auf Brücken, Fabriken, Raffinerien, Sender - sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Das Kalkül, die Sache mit ein paar Luftschlägen zu erledigen, war gescheitert. Dass in der elften Kriegswoche Slobodan Miloševic endlich die Weiße Fahne hisste, verlieh ihm noch die Gloriole des verantwortungsbewussten Staatsmanns. Denn "sonst hätte die NATO weitergebombt", so ihr Oberbefehlshaber Wesley Clark, "und seine Infrastruktur pulverisiert. Wir hätten die Nahrungsmittelindustrie zerstört, die Kraftwerke. Wir hätten alles getan, was nötig gewesen wäre."

Vom Regionalkonflikt zum internationalen Hightech-Krieg

Für dieses Kriegsbild wurde eigens ein neues Etikett erfunden: humanitäre Intervention. Eine ungebremste Eskalationsdynamik kennzeichnete die Kosovo-Krise von 1998/99. Gerade ein Jahr dauerte der Umschlag eines Regionalkonflikts in den offenen Bürgerkrieg und von dort in den internationalen Hightech-Krieg. Von Anfang an hielt die NATO das Heft in der Hand. Ihr Rezept erschöpfte sich in militärischer Einsatzplanung. Um den politischen Dialog mit den Streitparteien kümmerte sich niemand. Weder die UNO noch die OSZE noch Russland als Mitglied der Balkan-Kontaktgruppe besaßen Handlungsspielraum neben der omnipotenten Allianz.

Um einen komplexen ethnonationalen Konflikt wirksam einzudämmen, bedarf es der ganzen Bandbreite erfolgsfähiger Instrumente: der politischen Krisenprävention, der zivilen Streitbeilegung, der Schlichtung, sowie als Ultima Ratio auch der Unterbindung bereits ausgebrochener Gewalt durch Gegengewalt. Zweifellos verfügte Europa, verfügte der Westen über sämtliche dieser Instrumente und zusätzlich über ein breites Reservoir an positiven wie negativen Einflussmitteln.

Die NATO dagegen hatte nur ein einziges Mittel, dieses jedoch im Übermaß: militärische Macht. Sie ist ein Bündnis, sie denkt und sie handelt wie ein Bündnis nach den Regeln der wirksamsten Bekämpfung eines Gegners. In politischer Konfliktmoderation mit Augenmaß hatte sie weder Kompetenz noch Erfahrung. Als oberste Instanz der Krisenbewältigung in Europa war sie eine Fehlbesetzung.

An Alternativen zum Waffengang fehlte es nicht

Ein Kurs, der so konsequent auf die militärische Entscheidung zulief, macht die Frage unausweichlich: Ging es im Kosovo überhaupt um das erklärte Ziel der "humanitären Intervention"? Für die Vermutung, dass mehr Umsicht, mehr Konfliktmanagement sowohl für die Opfer des Krieges als auch für die Stabilität der Region ein besseres Ergebnis hervorgebracht hätten, lässt sich im Nachhinein der Beweis schwer antreten. Allen amtlichen Beteuerungen zum Trotz hat es an politischen Alternativen zum Waffengang nicht gefehlt. Sie blieben ungenutzt oder wurden ausgeschlagen. Es ist unerheblich, ob die NATO diesen Krieg wirklich wollte oder ob sie ihn nur der Gesichtswahrung wegen am Ende nicht mehr zu vermeiden wusste. Sie hat ihn geplant, vorbereitet, fortwährend angedroht und schließlich geführt. Das ist es, was zählt. Seither ist der Waffengebrauch zur eigenen Interessendurchsetzung programmatisch verankert, also wiederholbar - Völkerrecht hin oder her. Im Kosovo-Krieg erlebte diese neue Strategie ihren Probelauf. Die überaus klare Botschaft bezeugt, wer in Europa die Ultimaten setzt und wer den Finger am Abzug hält. Der hehre Satz, Krieg dürfe kein Mittel der Politik mehr sein, liegt bei den Akten.

Unter anderen Vorzeichen droht sich heute am Hindukusch das Debakel der Balkan-Intervention zu wiederholen. Hier operiert der Nordatlantikpakt inzwischen als Anhängsel der amerikanischen Anti-Terror-Krieger. Dass die robuste Strategie militärischer Befriedung die Aufständischen schwächt, hat sich als Illusion erwiesen. Zum afghanischen Alltag gehören Luftschläge und Einsätze von Bodentruppen gegen wirkliche oder vermeintliche Widerstandsnester. Ebenso Razzien in jener berüchtigten Manier, die man aus dem Irak kennt: Alles was männlich ist und über 18 Jahre alt ist, gilt bis zum Beweis des Gegenteils als Feind. Wer sich als Beschützer ausgibt, aber wie ein Besatzer auftritt, darf sich nicht wundern, wenn ihn sein Gastland ungastlich behandelt. Warum die Taliban militärisch wiedererstarkt sind, könnte die falsche Frage sein. Wichtiger wäre, herauszufinden, warum ihr Rückhalt in der Bevölkerung wächst.

Quelle: der FREITAG vom 12.03.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

13. März 2009

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