Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Experimente mit der Gewaltfreiheit: Auf einem ungewöhnlichen Lebensweg. Wolfgang Sternstein zum 70. Geburtstag

Von Michael Schmid

Es war in den siebziger Jahren, als ich zum ersten Mal den Namen Wolfgang Sternstein gehört oder gelesen habe. Beeindruckt war ich zum Beispiel von einem Beitrag im Süddeutschen Rundfunk mit dem Titel "Leiden als Tun", den Wolfgang Sternstein in einer Serie von Rundfunkvorträgen hielt (Thema: "Was der Mensch braucht. Anregungen für eine neue Kunst zu leben"). Er befand sich dabei in einer illustren Schar - Erich Fromm, Robert Jungk, Heinrich Böll, Dorothee Sölle, Walter Jens, Erhard Eppler, und viele andere mehr waren mit ihren Beiträgen zu hören.

Im Gefolge des Aufbruchs von "68" erblühten in den siebziger und achtziger Jahren die Neuen Sozialen Bewegungen, das heißt die Frauen-, Bürgerinitiativen-, Alternativ-, Dritte-Welt-, Ökologie- und Friedensbewegung. Da dies die Zeit war, in der auch mein persönlicher "Aufbruch" zu einem politischen Engagement stattfand und ich mich in diesen Bewegungen zu engagieren begann, begegnete mir wohl fast zwangsläufig der Name Sternstein immer wieder. Zum Beispiel in Artikeln der Zeitschriften Junge Kirche und gewaltfreie aktion. Es ging zunächst um den gewaltfreien Widerstand zur Verhinderung des Baus eines Atomkraftwerks in Wyhl am Kaiserstuhl. Später beispielsweise um gewaltfreie Aktionen, mit denen ein AKW in Brokdorf abgewehrt werden sollte.

Sehr fasziniert hat mich die Verbindung der theoretischen Reflektion und der Praxis in gewaltfreier Aktion, die Wolfgang Sternstein damals wie heute auszeichnet. Das fand und finde ich sehr überzeugend. Und dabei habe ich viel gelernt.

Entschiedener Gegner der grünen Parteigründung

Als auch in den Neuen Sozialen Bewegungen vielfach der Wunsch nach Gründung einer Partei wuchs, hat sich Wolfgang Sternstein vehement dagegen ausgesprochen. "Macht strebt nach noch mehr Macht, Reichtum nach noch mehr Reichtum und Wissen nach noch mehr Wissen", schrieb er 1978 noch vor der Parteigründung der Grünen in einem Artikel. "Darum hüten wir uns vor der Versuchung der Macht! An ihr sind bisher alle Befreiungsbewegungen zugrundegegangen, die humanistisch-liberale, die sozialistisch-kommunistische und selbst die große Emanzipationsbewegung der Antike, das Christentum. In dem Maße, wie sie reich und mächtig wurden, verrieten sie ihre emanzipatorischen Ziele. Auch die Ökologiebewegung wird nur solange eine Befreiungsbewegung bleiben, als sie von Menschen getragen wird, die sich leidenschaftlich für ihre Umwelt, Mitwelt und Nachwelt einsetzen, die jedoch bewusst auf den Erwerb und den Genuss der Macht verzichten."

Als Anfang 1980 die Partei "Die Grünen" gegründet wurde, verweigerte sich Wolfgang dann konsequent, dabei mitzumachen. Aus seiner Sicht konnte das grüne Projekt, gemessen am Maßstab der grünen Grundsätze, nur scheitern. Wer die Gesellschaft dauerhaft verändern wolle, solle der Versuchung widerstehen, in der Einkommens- und Machtpyramide aufzusteigen und in die "Integrationsfalle" zu tappen. Er solle aber auch der Versuchung widerstehen, das bestehende System durch revolutionäre Gewalt zerstören zu wollen. Es komme vielmehr darauf an, innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen die von uns erstrebte Gesellschaft modellhaft aufzubauen.

Anders als Wolfgang Sternstein machten viele Menschen aus den Sozialen Bewegungen bei den Grünen mit. Vielfach mit der Absicht, die parlamentarische Vertretung als das "Spielbein" der Bewegung anzusehen, während das "Standbein", die eigentliche politische Kraft, weiter die Initiativen und Bürgerbewegungen sein sollten. Mit dieser Haltung wurde ich selber trotz einiger Skepsis 1982 Mitglied der Grünen. Zehn Jahre später erfolgte mein Austritt. Nun war auch ich davon überzeugt, wovon Wolfgang Sternstein schon früh gewarnt hatte. "Spielbein" und "Standbein" waren inzwischen gänzlich vertauscht worden. Gewaltfrei ging es bei den parteiinternen Macht- und Strömungskämpfen ohnehin nie zu. Einige Jahre später wurde die Gewaltfreiheit auch als Grundsatz dann endgültig über Bord geworfen, als Bündnis 90/Die Grünen, kaum an der Bundesregierung beteiligt, im März 1999 dem völkerrechtswidrigen Kosovokrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zustimmte.

Auf den Spuren Gandhis

Statt einer Karriere bei den Grünen und einem Aufstieg in die politische Klasse, wahrscheinlich um den Preis der Anpassung und Integration, entschied sich Wolfgang Sternstein bewusst für ein Leben in Unsicherheit und Einfachheit. Und für eine Arbeit an der Basis. Ein Engagement, das auch ins Gefängnis führen kann. Nicht weil er etwa ein gewöhnlicher Krimineller wäre. Vielmehr geriet er mit seinen gewaltfreien Aktionen häufig mit dem Gesetz in Konflikt. Und wenn nötig nahm er für seine Aktionen des Zivilen Ungehorsams sogar das Gefängnis in Kauf. Das war bisher neunmal der Fall.

Mahatma Gandhi hat einmal gesagt: "Es hat mich nie gekümmert zu erfahren, ob und wann ich Erfolg habe. Für mich genügt es in meinem Bemühen um das, was ich als meine Pflicht erkenne, nicht nachzulassen." Getreu dieser Erkenntnis geht es auch Wolfgang Sternstein nicht in erster Linie um die Frage von Erfolg oder Erfolglosigkeit. Vielmehr geht unermüdlich seinen Weg weiter, indem er tut, was er als richtig erkannt hat. Es würde nun zu weit führen, alle die Stationen dieses engagierten Weges auf- oder gar auszuführen. Hierfür sei seine Autobiografie "Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit" wärmstens empfohlen.

Seinen ungewöhnlichen Lebensweg geht Wolfgang Sternstein allerdings nicht im Alleingang. Ohne die Wegbegleitung durch seine Frau Gisela wäre dieser Weg in dieser Form nicht möglich. Dazu kommen "geistige Väter" und "geistige Mütter", die ihm Anschauungsunterricht in Gewaltlosigkeit erteilt haben. Mahatma Gandhi ist hier mit an vorderster Stelle zu nennen. Entsprechend wird Gandhi in zahlreichen Publikationen Wolfgangs entsprechend gewürdigt. Sein gerade erschienenes neuestes Buch trägt den Titel "Gandhi und Jesus. Das Ende des Fundamentalismus" (siehe unten).

Und die Titel von zwei Filmen, in denen das Leben Wolfgang Sternsteins porträtiert wird, nehmen Bezug auf den indischen gewaltfreien Befreiungskämpfer und Wahrheitssucher: "Gandhis Enkel" (SDR 1991) und "Auf den Spuren Gandhis" (SWR 2004). Gerade letzterer Film zeichnet ein einfühlsames Portrait der ganzen Familie Sternstein nach und würdigt deren gemeinsames Leben für den Frieden und für die Gewaltfreiheit.

"Geistiger Pate" und solidarischer Wegbegleiter des Lebenshauses

Persönlich kennengelernt haben Wolfgang Sternstein und ich uns Ende der achtziger Jahre. Zu jener Zeit war ich in Mutlangen als Friedensarbeiter beschäftigt, an jenem Ort also, an dem massenhaft gewaltfreier Widerstand und Ziviler Ungehorsam ausgeübt worden war. Dieser Ort hat auch in Wolfgangs Biografie eine herausragende Rolle gespielt.

Mit seinem konsequenten Einsatz für Gewaltfreiheit war Wolfgang Sternstein für mich immer Vorbild und Herausforderung - auch wenn ich für meine gelegentlichen Teilnahmen an Aktionen des Zivilen Ungehorsams zwar öfter sanktioniert wurde, aber nie den Weg ins Gefängnis ging.

Wolfgang Sternstein stand neben anderen in Sachen Gewaltfreiheit engagierten Menschen auch Pate, als das Projekt Lebenshaus Schwäbische Alb ins Leben gerufen wurde. Das ist ihm selber vermutlich so gar nicht bewusst, weil es seinerzeit eher eine "geistige Patenschaft" war.

Doch wie ihm ging es uns darum, abseits von Machtstrukturen modellhaft die von uns erstrebte Gesellschaft aufzubauen. In unserem programmatischen ersten Prospekt nach der Vereinsgründung haben wir unsere Absicht unter anderem wie folgt ausgedrückt: Wir wollten "keimhaft sichtbar" machen, "was gesamtgesellschaftlich wünschenswert bzw. notwendig wäre. Wir haben die Hoffnung jedenfalls noch nicht aufgegeben, dass eine wachsende Zahl von Keimzellen, in denen radikal anders gedacht und gehandelt wird, zu einem Kurswechsel von einer lebensfeindlichen zu einer lebensfreundlichen Entwicklung führen könnten."

Ich fühle mich geehrt, dass Wolfgang und Gise Sternstein inzwischen seit über einem Jahrzehnt Mitglieder in unserem Verein Lebenshaus Schwäbische Alb sind. Ihre große Solidarität und Freundschaft, die gerade in sehr schwierigen Zeiten besonders zum Ausdruck kam, war und ist mir sehr wichtig. Und dafür bin ich zutiefst dankbar!

Glückwunsch zum Siebzigsten

Am 12. März 2009 nun wird Wolfgang Sternstein 70 Jahre alt. Ich gratuliere ihm von Herzen und wünsche alles Gute - vor allem Gesundheit, Kraft, Lebensfreude, sowie weitere interessante Erfahrungen auf seinem Weg der Experimente mit der Gewaltfreiheit. Gleichzeitig hoffe und wünsche ich, dass Wolfgang und Gise Sternstein noch möglichst lange ihren gemeinsamen Lebensweg fortsetzen können. Und ebenso ihr Engagement für einen gerechten Frieden, eine atomwaffenfreie und atomstromfreie Welt und eine lebensfähige Mitwelt. Dieser Wunsch ist zugegebenermaßen nicht völlig frei von Eigennutz. Denn ich brauche das Vorbild und die Wegbegleitung solcher Menschen wie das tägliche Brot zu meiner eigenen Stärkung. Herzlichen Glückwunsch Wolfgang zu Deinem 70. Geburtstag!

Dr. Wolfgang Sternstein, geboren am 12. März 1939 in Braunschweig, ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Seit über 30 Jahren arbeitet er in der Bürgerinitiativen-, Ökologie- und Friedensbewegung. Er hat an zahlreichen gewaltlosen Aktionen teilgenommen, stand deswegen mehr als ein Dutzend Mal vor Gericht und war neunmal für sein gewaltfreies Engagement im Gefängnis. Er lebt gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Gisela Sternstein, in Stuttgart. Er ist Vorsitzender und Mitarbeiter des Instituts für Umweltwissenschaft und Lebensrechte (UWI) und unter anderem Mitglied von Lebenshaus Schwäbische Alb.

In der Lebenshaus-Website finden sich zahlreiche Artikel von und über Wolfgang Sternstein .

Bücher von Wolfgang Sternstein

Wolfgang Sternstein: Gandhi und Jesus. Das Ende des Fundamentalismus. 1. Auflage 2009, 368 S. Pappband. EUR 19,95 [D]. ISBN 978-3-579-06475-8

Ein erhellendes Buch von einem der überzeugendsten Aktivisten der Ökologie- und Friedensbewegung

Was haben Gandhi und Jesus gemeinsam? Moralisches und geistiges Vorbild zahlloser Menschen der eine, Religionsstifter einer der größten Weltreligionen der andere, eint sie der gewaltfreie Kampf für die Armen und Unterdrückten gegen die Inhaber von Macht und Gewalt. Auch wenn sie in unterschiedlichen Zeiten, Lebensräumen und Kulturen gelebt haben, sind sie Brüder im Geist in ihrer Absagen an jede Form von Fundamentalismus.

Wolfgang Sternstein folgt den Spuren zweier großer historischer Gestalten und reflektiert ihre religiösen Einsichten, Lehren und Praktiken. Ein kluges Buch nicht allein für "Friedensbewegte", sondern für alle, die über den Zustand unserer Welt besorgt sind.


Weiter empfehlenswert!

Wolfgang Sternstein: Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit. Autobiografie. Vorwort: Horst-Eberhard Richter. - Norderstedt: Books of Demand 2005. ISBN 3-8334-2226-2. 488 Seiten, 50 Fotos. 28,- €.

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Veröffentlicht am

10. März 2009

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