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Chomeinis ewiger Schatten

Revolutionen gibt es, wenn die da oben nicht mehr können und die da unten nicht mehr wollen. Die Erklärung Lenins trifft auch auf die Islamische Revolution im Iran zu

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Von Mohssen Massarrat

Mohammed Reza Pahlewi, der letzte Monarch einer 2.500 Jahre alten Herrschertradition, war nicht nur als Tyrann und als ein durch einen CIA-Putsch auf den Thron gehievter Monarch beim Volk verhasst. Er fand Ende der siebziger Jahre auch keinen Halt innerhalb der Herrscherelite mehr.

Der "letzte Kaiser" von Iran hatte den Weg der absolutistischen Monarchie dem europäischen Weg der repräsentativen Monarchien vorgezogen. Dank sprudelnder Öleinnahmen war Reza Pahlewi der Illusion verfallen, er könne durch den Ausbau der Armee und umfangreiche Aufrüstung die Machtbasis für eine dauerhafte Alleinherrschaft klientelistisch ausbauen, doch seine Strategie war zum Scheitern verurteilt. Der Iran war im Unterschied zum Irak, zu Libyen oder zu den Scheichtümern am Persischen Golf schon lange keine Stammesgesellschaft mehr. Die Soldaten seiner neuen 400.000 Mann starken Armee waren Söhne der sozial und kulturell entwurzelten Bauern.

Der Konsumrausch und die importierte westliche Kultur mochte zwar die herrschende Elite befriedigt haben - die Soldaten und die große Mehrheit der traditionalistischen und durch die rasante Verwestlichung verunsicherten Iraner fanden jedoch im Islam den Halt, den sie brauchten. Die Spaltung der Gesellschaft in eine pseudo-modernisierte, aber mächtige Minderheit und eine politisch und religiös radikalisierte machtlose Mehrheit wurde unüberwindbar.

Schließlich folgte die überwältigende Mehrheit einschließlich der einfachen Soldaten dem Ruf radikaler Mullahs, die mit ihrer radikalen Kritik der Verwestlichung überall im Land Studenten und Schüler mobilisierten und den Weg für den vergleichsweise gewaltlosen Sturz der Monarchie freimachten. Letzter Anstoß für deren Sturz und den Beginn einer revolutionären Umwälzung unter islamischem Vorzeichen gab allerdings Ayatollah Chomeini. Der charismatische Revolutionsführer trat - im Unterschied zu allen anderen politischen Führern - kompromisslos für eine Ende der Monarchie ein, was ihm die Autorität und Legitimation verschaffte, die er benötigte, um die Islamische Republik aus der Taufe zu heben.

Grundsätzlich wäre nach der Revolution auch eine islamisch demokratische Republik möglich gewesen. Tatsächlich entstand ein islamischer Staat, den "göttlicher Wille" legitimierte. Das heißt, Legislative und Exekutive sind im neuen politischen System dem Alleinvertretungsanspruch des Religionsführers untergeordnet.

Khodi und Ghaire Khodie

30 Jahre nach Abschaffung der Monarchie sitzt die neue islamische Herrschaftselite zwar machtpolitisch fest im Sattel, politisch hat sie sich aber in die gleiche Sackgasse manövriert, wie seinerzeit der Schah. Auch sie hat sich die Fesseln des Rentier-Staates und eines klientelistischen Herrschaftssystems angelegt, das die Transformation in die Moderne blockiert. Derzeit ist eine Perspektive für die Entwicklung und Demokratisierung der Gesellschaft - selbst im Rahmen eines islamischen Wertekodex und einer islamisch rechtsstaatlichen Verfassung - nicht in Sicht.

Der Rentier-Staat orientalischer Prägung weist drei Merkmale auf: Er steht in der Tradition des asiatisch-orientalischen Zentralismus und Despotismus, er finanziert sich nicht durch Steuern, sondern durch externe Finanzquellen, wie die Ölrenteneinnahmen, und er kann selbst für eine Machtbasis sorgen und klientelistische Abhängigkeitsbeziehungen kreieren. Der Monarchie gelang lediglich die Schaffung einer loyalen Machtbasis, die jedoch nicht stark genug war, um das Regime von Schah Reza Pahlewi vor politischen Turbulenzen zu schützen.

Die neuen islamischen Machthaber erfreuten sich dagegen einer unvergleichbar größeren sozialen Trägerschaft mit revolutionärem Impetus. Es gelang ihnen, ihren islamischen Staat im ersten Jahrzehnt nach der Revolution von 1979 trotz oder gerade wegen eines acht Jahre andauernden Krieges gegen den Irak unter Saddam Hussein zu konsolidieren. Es entstand eine zweigeteilte, zahlenmäßig annähernd gleich große Gesellschaft: eine den neuen Machthabern loyale klassenübergreifende islamische Gesellschaft mit traditionalistisch orientierten sozialen Schichten. Diese Gesellschaft war privilegiert, hatte also direkten Zugang zu den Öleinnahmen, zu staatlichen Institutionen, zu Machtorganen, zu staatlich kontrollierten Wirtschaftsunternehmen und sonstige Vorteile. Und eine zweite ebenfalls klassenübergreifende, der Moderne zugeneigte Gesellschaft jenseits der islamischen Loyalitätsbeziehungen - sprich: ohne Zugang zu Öleinnahmen, ohne politische Rechte und Einflussmöglichkeiten. Für diese parallelen Gesellschaften machten zwei Begriffe die Runde: Khodi und Ghaire Khodie ("die Unsrigen" und "die Anderen, die nicht zu uns gehören"). Da die Grenzen zwischen beiden Gesellschaften fließend sind, war und ist es einer beträchtlichen Zahl besonders cleverer, geldgieriger Charaktere, Spekulanten und korrupten Personen möglich gewesen Loyalitäten vorzutäuschen, um dreist an den Renteneinnahmen zu partizipieren.

Sackgassen der Transformation

Inzwischen ist der ursprünglich politisch halbwegs homogene islamische Teil der Gesellschaft in mindestens drei konkurrierende Lager zerfallen - das reformistische, das pragmatisch konservative und konservativ radikale Lager. Das islamische Reformlager unter dem Präsidenten Mohammed Chatami unternahm nach dessen überraschenden Sieg bei der Präsidentenwahl 1997 den zaghaften Versuch, die durch Korruption durchsetzten rentier-staatlich-klientelistischen Strukturen durch rechtsstaatliche zu ersetzen. Obwohl Chatami aus beiden Gesellschaftsteilen mit etwa 80 Prozent der Stimmen gewählt wurde, scheiterte er an der Blockadepolitik der konservativ-radikalen Kräfte und der uneingeschränkten Macht des Revolutionsführers. Eine wichtige Rolle spielte wohl auch seine mangelnde Entschlossenheit.

Mit dem Nachfolger Mahmud Ahmadinedschad wurde seit dessen Wahlsieg 2005 das alte System des unkontrollierten Zugangs zu den Öleinnahmen zielstrebig restauriert, um sie für den Ausbau der eigenen sozialen Basis zu nutzen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Profiteure des Systems erneut zu einer Mehrheit bei der nächsten Präsidentenwahl im Juni verhelfen könnten.

Die Politik und vor allem die Verwendung der Öleinnahmen folgen in diesem System nicht der Logik einer soliden ökonomischen Entwicklung und zum Wohl des gesamten Volkes, sondern vielmehr der Logik einer erweiterten Machtbasis. Die ökonomischen und sozialen Folgen dieser Politik des konservativ-radikalen Lagers sind daher für Iran verhängnisvoll: steigende Inflation, Bodenspekulation, sich vergrößernde Kluft zwischen Armen und Reichen, wachsendes Misstrauen der Menschen gegenüber der Elite der Islamischen Republik und eine sich ausbreitende Resignation in der Opposition. Dieses Ergebnis einer in die Sackgasse geratenen gesellschaftlichen Transformation nach dem Sturz des Pahlawi-Regimes steht in krassem Widerspruch zum gesellschaftlichen Transformationspotenzial des Landes in ökonomischer, kultureller und intellektueller Hinsicht. Diese Entwicklung war, wie eingangs erwähnt, keineswegs zwingend.

Chatamis zweiter Anlauf

Irans Bürgertum war angesichts staatskapitalistisch-zentralistischer Strukturen zwar ökonomisch immer schwach, politisch jedoch dank der aktiven Teilnahme an mehreren politischen Umwälzungen im 20. Jahrhundert der ökonomischen Entwicklung weit voraus. Das iranische Bürgertum beteiligte sich an der ersten Revolution zur Abschaffung der absoluten Monarchie Anfang des 20. Jahrhunderts und an der Demokratisierung und Nationalisierung der Ölindustrie in den fünfziger Jahren. Doch scheiterte dieses Lager teilweise auch an eigener Entscheidungsschwäche und fehlender Risikobereitschaft seiner politischen Eliten, wenn es, wie bei der Verteidigung der Presse- und Meinungsfreiheit, galt standhaft zu sein.

So konnte die wichtigste linksliberale Zeitung Ayandegan ein halbes Jahr nach der Revolution verboten werden. Sie hatte sich zum zum Sprachrohr des laizistischen Lagers entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt standen sich die Protagonisten der radikal-islamischen wie auch der islamisch-liberalen Ordnung als reale Optionen gegenüber. Der liberale und charismatische Mehdi Basargan - der erste Ministerpräsident nach der Revolution - mit Rückhalt in allen bürgerlichen Schichten, versäumte es allerdings, sein politisches Schicksal mit dem Erhalt der Tageszeitung Ayandegan zu verknüpfen. Die Chancen, den Kampf zu gewinnen, standen angesichts der noch ungebrochenen Strebens nach Freiheit und Demokratie nicht schlecht. Mit dem Verbot der Zeitung wurde der hegemoniale Elan für die Demokratie jedoch durch Angst und Unsicherheit verdrängt, die dadurch erst Recht forcierte Islamisierung überrollte alsbald auch Bazargan selbst und seine einflussreiche Freiheitsbewegung.

Zum zweiten fand sich der 2001 gerade mit überwältigender Mehrheit wiedergewählte Staatspräsident Chatami ziemlich geräuschlos damit ab, dass sein dem Parlament vorgelegter Entwurf für ein neues Pressegesetz auf eine Anordnung des Revolutionsführers von der Tagesordnung abgesetzt und nicht einmal im Parlament diskutiert werden durfte. Angesichts dieser Schmach hätte Chatami das Risiko einer offenen Auseinandersetzung mit dem absolutistischen Anspruch des Revolutionsführers auf sich nehmen und zurücktreten müssen. Denn die Chancen einer machtvollen Unterstützung durch das Volk, um den Revolutionsführer zur Rücknahme des religiösen Dekrets zu bewegen, waren nicht schlecht. Immerhin hatten auch Angehörige der Machtorgane (Revolutionswächter und Armee) mit großer Mehrheit für Chatami gestimmt. Die Folge der fehlenden Entschlossenheit des Präsidenten war die abermalige Stärkung des islamisch-antidemokratischen Lagers innerhalb des Systems und der Verlust der eigenen Glaubwürdigkeit.

Bazargan und Chatami haben sich jedoch trotz jeweils politisch günstiger Bedingungen 1979 und 2001 vor einem Machtkampf mit dem konservativ-radikalen Lager gescheut und verloren. Mossadegh bestand 1951 kompromisslos auf der Trennung zwischen Regierung und Monarchie und gewann den Kampf gegen die Monarchie, weil er durch seinen Rücktritt die eigene Glaubwürdigkeit unter Beweis stellte und die Bevölkerungsmehrheit spektakulär auf seine Seite holte. Der Schah akzeptierte in einem unblutigen Kampf Mossadeghs Forderung. 48 Jahre später zwang Ayatollah Chomeini in der Hauptsache dank seiner Standhaftigkeit und mit Hilfe der Bevölkerung den Schah zum Rücktritt und schließlich zum Verlassen des Landes. Die charismatische Führung sorgte dafür, dass die islamische Revolution, im Unterschied zu allen anderen Revolutionen, nicht durch einen gewaltsamen Umsturz, sondern vergleichsweise unblutig stattfand.

Nun steht die Überwindung der Selbstblockade der Islamischen Republik auf der politischen Agenda. Sie setzt voraus, dass der Kompetenzbereich des Revolutionsführers auf religiöse Fragen reduziert und die demokratischen Institutionen, wie das Parlament und der Präsident, entscheidend gestärkt werden. Im Iran bestimmen nach wie vor Persönlichkeiten und nicht Parteiprogramme das politische Geschehen. Mohammad Chatami ist trotz Vertrauensverlusts immer noch die glaubwürdigste und charismatischste Persönlichkeit, die den Reformprozess leiten könnte.

Mohssen Massarrat wurde im Iran geboren. Er ist heute emeritierter Professor für Politikwissenschaft und lehrte zuletzt an der Universität Osnabrück. 

 

Quelle: der FREITAG vom 10.02.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat und des Verlags.

Veröffentlicht am

12. Februar 2009

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