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Iranische Revolution: Die Logik der Realität

Während der iranischen Revolution träumten die Linksintellektuellen von einer besseren Zukunft. Diese Hoffnungen wurden nach der Ankunft Chomeinis schnell enttäuscht.

Von Fahimeh Farsaie

"Jemand wird kommen", heißt das lange Gedicht der berühmtesten Lyrikerin Irans, Forough Farokhzad, das im Jahre 1962 in Teheran veröffentlicht wurde. 1979, während der iranischen Revolution, gehörte es wieder zu den populärsten Gedichten Teherans. Zumindest summten es einige Kulturschaffende in der linksorientierten Intellektuellen-Gruppe (IG), der ich auch angehörte, immer wieder. Der "Jemand" in Farokhzads Gedicht, das aus der Sicht eines kleinen Mädchens erzählt wird, trug den Titel "Ghaziolghozat - Der gerechteste Hauptrichter" und der "Jemand" hieß für einen Teil der Demonstranten, die während der Revolution gegen das Schah-Regime protestierten, Ayatollah Ruhollah Chomeini.

Der Hauptrichter erscheint

Das kleine Mädchen Farokhzads träumt von dem rettenden Erscheinen "des Hauptrichters" mit einer naiven Begeisterung, gepaart mit aufrechter Hoffnung und unerschütterlichem Vertrauen. Meine Freunde aus der Intellektuellengruppe murmelten stets "Jemand wird kommen", jedoch mit einem ironischen Unterton, der vielmehr Machtlosigkeit, Resignation und Hoffnungslosigkeit vermittelte. Gleichzeitig mokierten sie sich damit über die anderen Mitglieder der IG, die an die "Kraft der einfachen Menschen und der Revolution" glaubten. Die Gruppe hatte sich vor der Revolution in zwei Lager gespalten: Die eine Seite ehrte die andere mit dem sarkastischen Ehrentitel "einfältige Mitläufer", die sich selbst jedoch für "Realo-Revolutionäre" hielten. Letztere wiederum bezeichneten die Gegengruppe als "die hoffnungslosen Skeptiker". Eine Freundin von mir, die auch meine Nachbarin war, fungierte als deren Sprecherin.

Chomeini, der plötzlich seine Machtansprüche aus dem Pariser Exil kundtat und vor allem von Teheraner Printmedien wie der Tageszeitung Kayhan als "Revolutionsführer" bezeichnet wurde, hatte durch seine Statements ausreichend Stoff für beide Seiten geliefert, um die Positionen standhaft zu verteidigen: Meine Freundin und ihre Clique waren besorgt, nach der Machtübernahme der Mullahs Schleier tragen zu müssen. Das war auch das Thema der Journalisten, die die ersten Interviews mit Chomeini im französischen Neauphle-le-Château führten. Darüber müssten Frauen selbst entscheiden, lautete seine Antwort, die die iranischen Zeitungen in großen Lettern druckten. Diese Aussage stärkte die Position der "Realo-Revolutionäre" in unserer IG. Chomeinis weitere Ankündigung war noch sensationeller: Alle Parteien und politischen Gruppen dürften sich nach dem Sturz des Schah-Regimes bei den freien Wahlen wählen lassen, sogar die Kommunisten. Man merkte, dass die ironische Tonlage der "hoffnungslosen Skeptiker" beim Deklamieren des "Jemand wird kommen"-Gedichts erheblich nachließ. Gegen die "Realo-Revolutionäre" in unserer Gruppe konnte ich kein Gegenargument mehr aufstellen. Diese meinten: "Selbst Mullahs müssen sich ändern. Das ist die Logik der Realität".

Allaho Akbar auf dem Dach

Die Logik der Realität bekam einen Riss, als sie mit dem Aberglauben vermischt wurde. Die religiösen Kreise, die kurz vor dem "Aufkreuzen" Chomeinis in Teheran nach dem Sturz des Schahs bemüht waren, seine Persönlichkeit in einer heiligen, mysteriösen Aura zu verhüllen, verbreiteten das Gerücht, dass sein Antlitz im Vollmond gesehen worden sei. Am folgenden Tag begrüßte man sich direkt mit der Frage "Hast Du es auch gesehen?" Wenn man die Frage verneinte, wurde man als Anhänger des Militärs oder des Geheimdienstes eingestuft, mit verheerenden Konsequenzen.

Unter den verheerenden Konsequenzen litt unsere IG, als der gesamte Flügel der "Realo-Revolutionäre" für das Schlagwort "Allaho Akbar—Gott ist groß" als Protestslogan stimmte: Die Gegner des Schah-Regimes sollten beim Anbruch der Dunkelheit auf die flachen Dächer ihrer Häuser steigen und circa fünf Minuten lang "Allaho Akbar" rufen, empfahlen die inzwischen in Moscheen gebildet gewordenen "Demonstrationskomitees". "Die Konterrevolutionäre" in unserer IG waren streng dagegen: Sie wollten selbst über ihre Slogans bestimmen und: "Was haben wir als Linke mit Allaho Akbar am Hut?"

Ich bereute es nicht, aufs Dach gestiegen zu sein, obwohl ich der Empfehlung der "Demonstrationskomitees" nicht folgen wollte. Dort durfte ich die jungen Töchter meiner konterrevolutionären Freundin vor dem Erfrieren retten: Als Strafe durften die Teenies, die gegen den Willen der Mutter die ganze Zeit ununterbrochen Allaho Akbar riefen, nicht wieder ins Haus. Meine Freundin sei zu radikal und eine hartherzige Mutter, stellten wir in jener Nacht beim Teetrinken in meinem gemütlichen und warmen Wohnzimmer fest.

Chomeini fühlte: nichts

Zu radikal und hartherzig fand meine Freundin dagegen den neuen Machthaber Irans, Chomeini: Als er am 1. Februar 1979 mit der Air-France-Maschine nach Teheran flog, fragte man ihn, was er empfinde, nach 15-jährigem Exil in seine Heimat zurückzukehren? "Nichts", antwortete er und betonte noch einmal: "Nichts."

Die aufrichtigen Versuche meiner Freundin, uns zu überzeugen, "so ein herzloses Wesen" nicht zu unterstützen, sondern es zu fürchten, scheiterten an unserer Naivität. Erst als Chomeini, nun als unumstrittene himmlische und irdische Macht im Iran, die Hinrichtung tausender politischer Gefangener mit seiner eigenen Unterschrift billigte, glaubten wir ihr. Zu spät. Denn sie war nicht mehr unter uns: Sie wurde auch gnadenlos ermordet.

Die Autorin und freie Journalistin Fahimeh Farsaie wurde 1952 in Teheran geboren und lebt heute in Köln. Nach der iranischen Revolution war sie 18 Monate in Haft. 1983 verließ sie ihr Heimatland. Von ihr erschienen die Romane und Erzählungen: Die gläserne Heimat (1989), Vergiftete Zeit (1991), Flucht und andere Erzählungen (1994), Hüte dich von den Männern, mein Sohn (1998).

 

Quelle:  der Freitag , 05.02.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

11. Februar 2009

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