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UN-Sonderbeauftragter Richard Falk: Israelische Wahlen und Abschreckung als Hintergründe des Gazakrieges

Von Clemens Ronnefeldt

Der UN-Sonderberichterstatter Richard Falk, ehemaliger amerikanischer Professor für Internationales Recht an der Princeton Universität, derzeit UN-Sonderbeauftragter für die Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten, hat sich sehr kritisch zu der israelischen Position im Gazakonflikt geäußert. Er hat bereits Anfang Dezember 2008 einen Internationalen Strafgerichtshof gefordert, um gegen die Israelische Führung wegen möglicher Verletzungen des Internationalen Kriegsrechts zu ermitteln. Er tat dies, weil er in der Abriegelung des Gazastreifens "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sah.Siehe Days After Calling Israeli Blockade of Gaza “A Crime Against Humanity,” UN Human Rights Investigator Richard Falk Detained, Expelled from Israel - Democracy Now!, 17.12.2008.

Zum Bruch der Waffenruhe zwischen Hamas und Israel

Richard Falk, schrieb in einer lokalen US-Zeitung den Artikel: "Die Gaza-Katastrophe verstehen" Richard Falk: Understanding the Gaza Catastrophe - The Huffington Post, 02.01.2009, dt. Übersetzung: Dr. Angelika Schneider.:
"Der Hamas wird die Schuld für den Zusammenbruch des Waffenstillstands durch ihre angebliche Weigerung, ihn zu erneuern, sowie durch die Zunahme der Raketenangriffe zugeschoben. Die Wirklichkeit ist allerdings weniger eindeutig. Es gab keinen nennenswerten Raketenbeschuss aus Gaza während des Waffenstillstandes, bis Israel am 4. November einen Angriff gegen angeblich palästinensische Militante in Gaza durchführte, bei dem mehrere Palästinenser getötet wurden. In dem Moment wurde der Raketenbeschuss aus Gaza intensiviert. Außerdem hat die Hamas bei mehreren öffentlichen Gelegenheiten dazu aufgerufen, den Waffenstillstand zu verlängern - Aufrufe, die nie anerkannt, geschweige denn durch israelische Regierungsstellen aufgegriffen wurden. Darüber hinaus ist die Zuweisung der Verantwortung für alle Raketenangriffe an die Hamas auch nicht überzeugend. Eine Vielfalt unterschiedlicher Milizen operiert in Gaza; manche davon, wie die Fatah-unterstützte Al-Aqsa Märtyrerbrigade, sind gegen die Hamas und könnten sogar Raketen abfeuern, um israelische Vergeltung zu provozieren oder zu rechtfertigen. Gut bestätigt ist die Tatsache, dass, als die von den USA unterstützte Fatah Gazas Verwaltungsstruktur kontrollierte, sie genauso wenig in der Lage war, die Raketenangriffe zu verhindern, trotz konzertierten Bemühungen, dies zu tun".

In der Zeitung "Haaretz" war zu lesen, die Hamas habe sich an den Waffenstillstand gehalten und sogar Angehörige der "Islami Djihad"-Miliz verhaftet, die einzelne Raketen auf Israel geschossen hatten. Im Februar 2008 waren 257 Raketen auf israelisches Gebiet geflogen, im Mai noch 149, im Juni dann 87, bevor am 18.6.2008 die Waffenruhe zwischen Israel und Hamas in Kraft trat. Im Juli flog eine Rakete, im August wurden 8 gezählt, im September eine, im Oktober 2. Nach der Invasion der israelischen Armee vom 4. November folgte im November wieder ein Hagel von 126 Raketen. Diese Zahlen veröffentlichte das israelische Außenministerium bis Kriegsbeginn auf seiner Website. ist.Anmerkung der Lebenshaus-Red.: Siehe hierzu auch das Flugblatt von Thomas Immanuel Steinberg mit den Zahlenangaben des israelischen Intelligence and Terrorism Information Center:  " Kassam-Raketen – der Vorwand zum Massaker" (PDF-Datei, 45 KB). Bis zum 27.12.2008 gab es bei diesen Raketenangriffen im Jahre 2008 keine Toten in Israel zu beklagen. Seit Beginn der Raketenabschüsse vor etwa acht Jahren verloren insgesamt 15 Israelis ihr Leben durch Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen.

2007 gab es einen Selbstmordanschlag in Eilat mit drei Toten Israelis und 2008 einen Suizid-Anschlag mit einer toten Israelin in Dimona.

Hintergrundfolie: Wahlen in Israel und Rehabilitierung für Libanonkrieg 2006

Richard Falk folgert: "Dieser Hintergrund legt nahe, dass Israel seine verheerenden Angriffe seit dem 27. Dezember lancierte, nicht nur um die Raketenangriffe zu stoppen oder zu vergelten, sondern auch aus einer Reihe nicht anerkannter Gründe. Es war schon seit mehreren Wochen vor dem israelischen Angriff zu erkennen, dass die israelische politische und militärische Führung die Öffentlichkeit auf eine militärische Großoffensive gegen die Hamas vorbereitete. Der Zeitpunkt des Angriffs scheint durch eine Reihe von Überlegungen gewählt worden zu sein: Vor allem das Interesse der politischen Rivalen, Verteidigungsminister Ehud Barak und Außenministerin Tzipi Livni, daran, ihre Härte vor den für Februar festgelegten - und nun eventuell bis zu einem Ende der militärischen Operationen verschobenen - nationalen Wahlen zu demonstrieren. Solche Kraftbeweise sind ein Charakteristikum vergangener Wahlkampagnen gewesen, und besonders in dem gegenwärtigen Fall wurde die derzeitige Regierung erfolgreich durch den notorisch militaristischen israelischen Oppositionspolitiker Benjamin Netanyahu angefochten, wegen ihrer angeblichen Unfähigkeit, die Sicherheit aufrecht zu halten. Solche wahlbedingte Motivation wurde durch den kaum verborgenen Druck der militärischen Befehlshaber verstärkt, die Gelegenheit zu ergreifen, um die Erinnerung an den verheerenden Libanonkrieg 2006 zu tilgen. Dieser hatte sowohl den Ruf Israels als Militärmacht befleckt wie auch zu einer weit verbreiteten internationalen Verurteilung Israels für die schwere Bombardierung ungeschützter libanesischer Dörfer, die unverhältnismäßige Gewalt und den verbreiteten Einsatz von Splitterbomben gegen dicht bevölkerte Gebiete geführt."

Israelische Befindlichkeit vor dem Angriff

Der UN-Sonderbeauftragte versucht in seinem Beitrag, auch die innerisraelische Situation vor dem Angriff darzustellen: "Respektierte, konservative israelische Kommentatoren gehen noch weiter. Zum Beispiel verknüpfte der prominente israelische Historiker Benny Morris vor einigen Tagen in der New York Times die Gazakampagne an eine tiefer liegende Reihe von Befürchtungen in Israel, die er mit der dunklen Stimmung vor dem 1967er Krieg verglich, als sich die Israelis stark bedroht fühlten durch arabische Mobilisierung an ihren Grenzen. Morris behauptet, dass, trotz des israelischen Wohlstands und der relativen Sicherheit der letzten Jahre, mehrere Faktoren Israel dazu gebracht haben, kühn gegen Gaza vorzugehen: Die angenommene, fortgesetzte Weigerung der arabischen Welt, die Existenz Israels als eine feststehende Gegebenheit anzuerkennen; die aufrührerischen, durch Mahmoud Ahmadinedschad ausgesprochenen Drohungen, zusammen mit der angenommenen Absicht Irans, sich Kernwaffen zu verschaffen; die verblassende Erinnerung an den Holocaust zusammen mit der wachsenden Sympathie für die Palästinenser im Westen, und die Radikalisierung der politischen Bewegungen an den Grenzen Israels in Form von Hamas und Hisbollah. Insgesamt argumentiert Morris, dass Israel versuche, durch die Vernichtung der Hamas in Gaza eine breitere Botschaft an die Region zu senden: Dass es vor nichts zurückschrecken wird, um seinen Anspruch auf Souveränität und Sicherheit aufrecht zu halten". Soweit Richard Falk.

Am 18.1.2008 druckte die "Jerusalem Post" den Beitrag "Das Vier-Milliarden-Dollar-Geschäft vor der Gazaküste", wo im Jahre 2000 ein größeres Erdgasfeld entdeckt wurde.
Der Wirtschaftskorrespondent der "Jerusalem Post", Matthew Krieger, argumentierte in diesem Beitrag, dass die Hamas nach dem jüngsten Krieg "ausreichend geschwächt" sei, "um als Teil eines Waffenstillstandes ihren Anspruch auf die Erdgasabkommen aufzugeben".

Alle bisher genannten Motive sind vermutlich nicht annähernd so ausschlaggebend gewesen für die Entscheidung der israelischen Führung zur Bombardierung des Gazastreifens wie der bisher verpasste oder - nach Angaben der New York Times - von der US-Regierung verhinderte Krieg Israels gegen Iran.

Der Gazakrieg als Stellvertreterkrieg gegenüber Iran

Am 18. Juli 2008 veröffentlichte Benny Morris in der New York Times einen Artikel, in dem er u.a. schrieb: "Die Iraner werden - sei es aus ideologischen Gründen oder aus Angst vor einem nuklearen Präventivschlag der Israelis - jede von ihnen gebaute Bombe einsetzen. Darum ist ein israelischer Nuklearschlag, der die Iraner an ihren letzten Schritten zu einer Bombe hindert, wahrscheinlich. Die Alternative wäre, es zuzulassen, dass Teheran seine Bombe hat. So oder so, wäre in jedem der beiden Fälle ein nahöstlicher Nuklear-Holocaust vorherbestimmt." Benny Morris: Using Bombs to Stave Off War - The New York Times, 18.07.2008, dt. Übersetzung: Ellen Rohlfs..

Am 21.8.2008 berichtete die israelische Zeitung "Haaretz" dass der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak bei seinem USA-Besuch Anfang August 2008 um Tankflugzeuge des Typs Boing 767 gebeten habe, damit die lediglich sieben im Besitz der israelischen Luftwaffe sich befindenden betankbaren Kampffugzeuge bei Fern-Operationen in der Luft betankt werden könnten - und damit ihre Reichweite bis nach Iran und zurück nach Israel reichen würde. Die US-Regierung verweigerte den Kauf, weil sie - so "Haaretz" - "fürchtete, solch eine Transaktion könnte als Unterstützung für einen israelischen Angriff auf Iran interpretiert werden" U.S. won’t sell refueling jets to Israel, fearing strike on Iran - Haaretz, 21.08.2008, dt. Übersetzung : Ellen Rohlfs..

Die US-Regierung verweigerte bisher ebenfalls die Überflugrechte für israelische Kampfflugzeuge über Irak. Gleichzeitig konnte Iran aus Russland importiertes Flugabwehrraketen-Zubehör in Empfang nehmen, allerdings bisher noch nicht die Raketen selbst, die neben den bereits gelieferten russischen Tor-M-1-Raketen als zusätzliche effektive Waffen gegen US- wie auch gegen israelische Angriffe gelten: "Es gibt Anzeichen, dass die Installation der S-300 in Iran bereits vor zwei Wochen begonnen hat. … Ein hoher israelischer Emissär, der sofort nach Moskau eilte, erreichte offenbar nichts. Wie es aus anderen Quellen heißt, wollen die Russen angeblich S-300 auch um den syrischen Hafen Tartus stationieren, um diesen für ihre Schiffe zu sichern" (Süddt. Zeitung, 23.12.2008).

Mit der baldigen Inbetriebnahme des Reaktors in Busher läuft zudem die Zeit für einen Präventivschlag ab; nach dem Anlaufen des Atomkraftwerkes würden US-Soldaten in Irak und Afghanistan bei einer Bombardierung einem radioaktiven Fallout ausgesetzt. Barak Obama wurde für seine signalisierte Dialogbereitschaft gegenüber Iran von israelischer Seite bereits heftig kritisiert. Die israelische Führung erkannte spätestens am 4.11.2008, dass mit der Wahl des neuen US-Präsidenten die notwendige Unterstützung für einen israelischen Angriff auf Iran in absehbarer Zeit nicht zu bekommen sein wird.

Im engen Zeitfenster vor dem Amtsantritt von Barak Obama war der am 27.12.2008 gestartete Nahost-Krieg eine der letzten Möglichkeiten der israelischen Führung, Iran, dessen regionale Interessenwahrnehmung über Hisbollah und Hamas direkt bis an die Grenzen Israels reicht, eine indirekte "Abschreckungs-Botschaft" zu senden - mit furchtbaren Konsequenzen für die palästinensische Bevölkerung im Gazastreifen.

Am 14. Januar 2009 besuchte der israelische Präsident Shimon Peres die Militärbasis Tzeelim in der Nähe der Stadt Beersheva, um sich vor der Internationalen Presse bei israelischen Soldaten für deren Gaza-Einsatz zu bedanken. "Nach seiner Ansprache stellte er sich den Fragen der Reservisten, die ihre Familien und ihre Arbeit verließen, um in den Krieg zu ziehen. Sie wollten wissen, ob ihr Einsatz denn auch Sinn mache". "Ist es denn sicher, dass die Hamas nach dem Krieg nicht mehr operationsfähig ist?", fragte ein Soldat seinen Präsidenten. "Oder wird es so sein wie mit Hisbollah, die trotz des Kriegs 2006 heute noch weiter existiert und eine Bedrohung Israels ist?" Die Antwort von Shimon Peres lautete: "Hier geht es nicht um Hamas oder Hisbollah. Hier geht es um den Iran"Alle Zitate aus: Alfred Hackensberger: "Hier geht es nicht um Hamas, sondern um den Iran" - Telepolis, 14.01.2009..

Richard Falk bilanziert: "Zwei Schlüsse sind daraus zu ziehen: Die Menschen in Gaza werden streng bestraft aus Gründen, die weitab von den Raketen und der Frage der Grenzsicherheit liegen, scheinbar um die Wahlchancen der gegenwärtigen Führer zu verbessern, denen jetzt eine Niederlage bevorsteht, und um andere in der Region zu warnen, dass Israel übermächtige Gewalt einsetzen wird, wann immer seine Interessen bedroht sind."

Anmerkungen zu regionalen und geopolitischen Hintergründen

Vor allem die Regierungen in Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien unterstützen überwiegend die Fatah im Bruderkampf gegen Hamas, weil sie den wachsenden Einfluss Irans in der Region eindämmen möchten - wenngleich auch vor allem Ägypten und Saudi-Arabien Versuche zur Beilegung des innerpalästinensischen Bruderkrieges unternommen haben. Israel wusste schon vor dem Angriff, dass sich der Protest aus den genannten arabischen Nachbarstaaten beim Sturz der Hamas in Grenzen halten würde. Die Operation "Gegossenes Blei" hat so auch zu einer Spaltung innerhalb der arabischen Liga geführt, ebenso zu einer weiteren Verschärfung der Spannungen zwischen dem schiitisch-persischen Iran und den beiden wichtigsten sunnitisch-arabischen Ländern der Region, Saudi-Arabien und Ägypten. Die Regierung in Kairo möchte nicht in die "israelische Falle" tappen und durch die Öffnung der Rafah-Grenze die Verantwortung für den Gazastreifen übernehmen, die Israel am liebsten abschieben würde.

Nach dem Absturz der US-Regierung als alleiniger Supermacht wegen des Irak- und Afghanistan-Desasters inklusive eines 1,2 Billionen US-Dollar Haushaltsdefizites spielt das rohstoffreiche Russland - insbesondere auch nach dem Georgien-(Pipeline-Interessen)-Krieg -eine zunehmend wichtigere Rolle im Nahen und Mittleren Osten, wo Moskau über Länder wie Syrien oder Iran seine geostrategischen Interessen wahrt. Die Bombardierung des Gazastreifens trägt somit auch einige Züge eines Stellvertreterkrieges wie in den Zeiten des "Kalten Krieges", ausgelöst letztendlich durch die US-Invasion 2003 im Irak, ohne die Iran nicht zu seiner derzeitigen Stärke als aufsteigende Regionalmacht und Widerpart Israels gekommen wäre.

Clemens Ronnefeldt ist Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.  


 

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Fußnoten

Veröffentlicht am

24. Januar 2009

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