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Kolumbien: Dem Konflikt geht´s an die Wurzel

Zwischen den Fronten des Bürgerkriegs versuchen die Bauern von Esmeralda auf ihre Art, Frieden zu schaffen. Sie vernichten die Drogenfelder


Von Raul Zelik

Selten hat man das Glück, die kolumbianischen Schneeberge in ihrer ganzen Imposanz zu sehen. Doch an diesem Morgen erhebt sich der 5.300 Meter hohe Nevado del Cocuy ohne jeden Nebelschweif aus der tropischen Savanne. Der Himmel leuchtet für wenige Stunden tiefblau. Der atemberaubende Anblick entschädigt für die kurvenreiche, von mehreren Bergrutschen unterbrochene Nachtfahrt. Langsam holpert der Überlandbus über die mit Schlaglöchern übersäte Staubpiste. Neben der auf einem Damm geführten Straße steht das Grasland knietief unter Wasser. Zebus und Reiher staksen durch vom Morgenlicht glitzernde Weiden.

Vor einigen Jahren noch war der Landweg von Bogotá ins nordöstliche Departement Arauca kaum befahrbar. Inzwischen ist die Überlandstraße, die östlich der Hauptstadt steil ins Tiefland abfällt, leidlich ausgebaut und führt auf halbem Weg ins Ölfördergebiet von Yopal, wo BP die größten Vorkommen Kolumbiens ausbeutet. Seit hier in den frühen neunziger Jahren das britische Sicherheitsunternehmen Defence Systems Limited (heute: Armour Group) private Wachdienste aufbaute, galt die Region als paramilitärische Bastion. Lange Zeit stellten Straßenkontrollen der rechten Milizen für Reisende ein kaum kalkulierbares Risiko dar. Das ist vorbei, zwar sind nach wie vor überall in Kolumbien Todesschwadronen unterwegs, doch die Überlandwege gehören wieder dem Staat.

So erreicht der Bus nach 15 Stunden und einem halben Dutzend Militärkontrollen schließlich gegen elf Uhr morgens das Grenzdepartement Arauca. Bis heute behauptet sich die Guerilla in dieser Region, die mit 23.000 Quadratkilometern in etwa so groß wie Hessen und für den kolumbianischen Außenhandel unverzichtbar ist. Der US-Ölkonzern Oxy beutet in Arauca seit Anfang der achtziger Jahre Ressourcen aus, die Kolumbien immerhin zum achtwichtigsten Öllieferanten der USA befördert haben.

Eine komische Grenze

Das Dorf Esmeralda mit seinen vielleicht 2.000 Einwohnern wirkt auf den ersten Blick verschlafen, die Armee bleibt mit ihrem Stützpunkt im Wald. José González, Aktivist der Kleinbauernorganisation ADUC, 25 Jahre alt und wie viele Bewohner Araucas etwas rundlich, nimmt mich in Empfang. Er will mir zeigen, wie die ADUC-Kampagne zur Koka-Substitution vorankommt, also geht es mit dem Motorrad noch einmal ein halbe Stunde über Schlammpisten bis zum Grenzfluss Arauca, der Kolumbien von Venezuela trennt. "Eine komische Grenze", sagt José González etwas resigniert. "Man weiß nie genau, wo sie nächsten Monat verläuft." Tatsächlich sucht sich der Arauca mit jeder Regenzeit ein anderes Bett. Er soll in den vergangenen zehn Jahren mehr als drei Kilometer gewandert sein und dabei große Flächen überschwemmt, Vieh getötet und Häuser wie Plantagen vernichtet haben.

Das Kokafeld, das an diesem Morgen umgegraben und damit vernichtet werden soll, liegt ein kleines Stück flussaufwärts. Im motorgetriebenen Einboot bekommt man eine Vorstellung von der Kraft des Stroms, der in den Gletscherbergen entspringt und etwa 500 Kilometer östlich in den Orinoco mündet. Bis wir an einer Sandbank anlegen, geht es vorbei an unterspülten Böschungen und ausgerissenen Baumstämmen.

Die Leute von der ADUC werden bei ihrer Anti-Koka-Aktion von einer nahe gelegenen Oberschule unterstützt. Mit Macheten und Grabstöcken bewaffnet, machen sich Schüler und ADUC-Aktivisten daran, die Kokasträucher auszugraben, vor sich eine kleine Pflanzung, vielleicht nicht viel mehr als ein Hektar.

José González sagt, die Kampagne sei auf Dorfversammlungen demokratisch beschlossen worden. Koka bleibe zwar das einzige Agrarprodukt, das ein sicheres Einkommen bringe, doch die Folgen des Anbaus seien schwerwiegend. Der Drogenhandel stärke die Mafia, zerstöre den sozialen Zusammenhalt und helfe der Regierung des Präsidenten Uribe, Repressionen zu rechtfertigen. González zeigt auf angrenzende Felder mit trockenen Bananenstauden, die von schwarzen Flecken übersät sind. Die Spuren des Monsanto-Pflanzengifts Roundup, das überall in Kolumbien versprüht wird. Gerade die ökologisch sensiblen Regenwälder und Savannen seien auf diese Weise seit 1999 vergiftet worden. Das verdanke man dem Plan Colombia, mit dem die Amerikaner Kolumbien seit zehn Jahren für ihren Anti-Drogen-Krieg rekrutiert hätten. Absurderweise sei der hartnäckige Kokastrauch die erste Nutzpflanze, die auf den kontaminierten Böden wieder gedeihe.

Als etwa die halbe Plantage umgegraben ist, kommt ein schlecht gelaunter Mann angetrabt. Wie sich herausstellt, eine Art Verwalter dieses Areals, der den Aktivisten vorhält, dass Koka hier Tausenden das Einkommen garantiere. Die Oberschüler wirken plötzlich nicht mehr übermäßig überzeugt, von dem was sie tun. Ihr Einsatz auf dem Feld werde von der Schule als Praktikum angerechnet, rechtfertigen sie sich. Nur González lässt sich nicht beirren: Wenn die Mehrheit der Bauern eine Koka-Substitution beschließe, müssten sich alle daran halten. Schließlich seien auch alle von den Folgen des Anbaus betroffen. Man solle die Herbizide, die Mafia und die von den Drogengeldern ausgelöste Inflation nicht vergessen.

Nicht nur bei einzelnen Bauern trifft die Koka-Substitution auf enorme Widerstände, die Regierung verweigert jedwede Hilfe, auch internationale Geldgeber halten es nicht anders. Die Uribe-Administration betrachtet die linke ADUC als subversiv. Dutzende ihrer Anführer sitzen im Gefängnis. Die Armee unterhält zudem informelle Allianzen mit jenen Paramilitärs, die nach wie vor den kolumbianischen Drogenhandel beherrschen. Auch die FARC-Guerilla braucht Koka, um ihren Krieg zu finanzieren, und betrachtet den Bauernverband ADUC deshalb als unliebsame Konkurrenz. Wenige Tage später wird ein Bombenanschlag auf den Sitz der ADUC verübt. Wie sich herausstellt, geht er auf das Konto der FARC.

Ein komischer Krieg

In Puerto Nidia, etwa 50 Kilometer südlich der Grenze, wird deutlich, wie komplex Kolumbiens innerer Krieg tatsächlich ist. Am Ortseingang steht das große Schild mit einem Gemälde, auf dem Manuel Pérez abgebildet ist, ein 1997 verstorbener spanischer Guerilla-Pfarrer. Im Ort selbst sind keine Bewaffneten zu sehen, doch die Anwohner geben zu verstehen, dass die gesamte Gegend unter Kontrolle des ELN (Ejército de Liberación Nacional) stehe, dem zweiten großen Guerillaverband Kolumbiens.

Während ein Militärhubschrauber das Dorf überfliegt, erklärt mir Miguel Flores, Lehrer an der Oberschule von Puerto Nidia, die Situation. Die Armee führe seit einigen Wochen eine Militäroperation durch und habe etwa fünf Kilometer entfernt eine Basis eingerichtet. Es gebe fast täglich Scharmützel mit der ELN. Wirklich beängstigend sei, dass FARC und ELN in Arauca nun auch noch gegeneinander Krieg führten.

Die paradox anmutende Konfrontation - immerhin nehmen beide Guerilla-Verbände positiv auf die Linksregierungen Lateinamerikas Bezug - hat in der Region eine lange Vorgeschichte. Der in Arauca aus der Landlosen- und Kleinbauernbewegung entstandene ELN baute zwischen 1980 und 2000 ein dichtes Geflecht von Kooperativen und Sozialprojekten auf. Er sorgte dafür, dass die Ölkonzerne und der Staat etwas für die Infrastruktur des Gebietes taten und Politiker über den Gebrauch öffentlicher Gelder befragt werden konnten. So war der ELN in der Gegend sehr populär. Als die militärisch stärkeren FARC nach Arauca vorzurücken begannen, war der Konflikt absehbar. Die FARC beanspruchten eine Führungsrolle, sie griffen zu Zwangsrekrutierungen und förderten - anders als der ELN - die Aussaat von Koka.

Als die Kriegslogik der FARC, die bei Angriffen auf Polizeiposten regelmäßig ganze Straßenzüge in Schutt und Asche legten, auch dem Ansehen des ELN zu schaden begann, eskalierte der Zwist: ELN-Militante töteten einen lokalen FARC-Kommandanten. Seitdem schenken sich beide nichts mehr. Hunderte von Toten hat dieser Konflikt, den die Armee mit Falschinformationen gezielt schürt, in der Region bereits gekostet. Trotzdem will Miguel Flores die Guerilla nicht verdammen. "In Arauca gibt es eine einigermaßen gerechte Landverteilung, selbstverwaltete Wasserwerke, Genossenschaften, Weiterbildungsprogramme für Bauern. Wir hatten sogar die effizienteste Krankenkasse Kolumbiens, bis die Uribe-Regierung sie zwangsweise aufgelöst hat. Das alles war auch ein Ergebnis der Guerilla-Präsenz, vor allem des ELN, wie auch der Tatsache, dass die Paramilitärs in Arauca nie Fuß fassen konnten."

Flores stammt aus Bogotá, seit fast 20 Jahren ist er hier und noch immer davon überzeugt, als Lehrer in Arauca etwas bewirken zu können. Der Drogenhandel, die massive Militärhilfe der USA, der flächendeckende Einsatz von Herbiziden, all das begünstige den Krieg. Trotzdem könne man sich dagegen wehren, der Kleinbauernverband habe immerhin mehr als 3.000 Hektar Koka substituiert. Nach Venezuela geflüchtete Bauern hätten begonnen, auf der anderen Seite der Grenze eine Genossenschaftsbewegung aufzubauen. Mit den Erfahrungen aus Kolumbien und staatlichem Beistand in Venezuela würden die Kooperativen im Grenzgebiet florieren. Und bei ihm in der Schule habe man mit der Dorfbevölkerung eine demokratische Ko-Verwaltung etabliert. Man betreibe unter anderem ein landwirtschaftliches Projekt zur Finanzierung einer Kantine. "Wir haben dafür Mittel der Schulverwaltung umwidmen müssen. Das ist zwar verboten, aber es funktioniert."

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 02 vom 09.01.2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Raul Zelik und des Verlags.

Veröffentlicht am

12. Januar 2009

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