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Talfahrt: Schluss mit lustig

Die ökonomische Talfahrt wird das Land im kommenden Jahr auf eine harte Probe stellen

Von Michael Jäger

Das Weihnachtsgeschäft ist gut gelaufen. In den USA war es 1929 radikal eingebrochen, wenige Wochen nach dem Börsencrash. Dieser Einbruch erst war das Zeichen der Panik, von dem sich die ganze Welt mitreißen ließ. Wenn man im Dezember 2008 durch deutsche Kaufmeilen bummelt, bemerkt man nichts davon. Die Leute konsumieren, und sie tun das, obwohl die Preise nicht wie in London so drastisch gesenkt wurden. Auch Konsumgutscheine sind nicht verteilt worden. Wie konnte man überhaupt darauf kommen, sie vorzuschlagen? Nun, das Verrückte ist, dass im Grunde niemand an ihrer Vernunft zweifelt, denn alle wissen, eine schwere Krise wird kommen. Nein, sie ist schon da, sie hat nach der Bankenwelt die Realwirtschaft erfasst. In Form von Kurzarbeit wirft auch die Massenarbeitslosigkeit ihren Schatten voraus - mehr als vier Millionen Arbeitslose werden von einigen Experten für Ende 2009 vorausgesagt. Es fehlt tatsächlich nur noch die Krise der Konsummärkte.

Was ist das für eine Mentalität, mit der die Bürger ihr Geld ausgeben? Kommt da der blinde, "ideologiefreie" Ökonomismus der Bundesrepublik zur Geltung? Der deutsche homo oeconomicus rechnet bestimmt mit einer schweren Zeit, die er sich aber nur in ökonomischen Kategorien vorzustellen vermag. Man wird vielleicht eine Zeitlang den Gürtel enger schnallen müssen. Später geht es dann wieder bergauf. Das heißt aber, vorher gesehen wird nur die ökonomische Entwicklung - nicht die politische. Es ist sicher verständlich, dass gerade wir Deutschen nicht unbedingt an den engen Zusammenhang von ökonomischer und politischer Krise erinnert werden wollen. Wer möchte schon gern daran denken, dass auf 1929 1933 folgte? Und doch drängt dieser Gedanke sich auf. Es kann ja heute zu einer ganz anderen politischen Krise als damals kommen. Sich gar nicht darauf einzustellen, wäre fahrlässig.

Denken wir daran, welche Verwerfungen schon allein die Einführung von Hartz IV ausgelöst hat. Die Linkspartei entstand und wirbelte das so fest etablierte Parteiensystem erheblich durcheinander. Wir werden seitdem von einer großen Koalition regiert. Was soll da erst werden, wenn innerhalb von nur wenigen Monaten tatsächlich mehr als eine Million Menschen zusätzlich vor den Arbeitsagenturen Schlange stehen? Wie wird dann die Bundestagswahl 2009 ausgehen?

Im Moment deutet noch nichts auf eine krisenhafte Entwicklung hin, weil die Wähler letzte Hoffnungen auf die Maßnahmen der Regierung setzen. Aber in wenigen Wochen schon wird man sehen, ob die angekündigte Infrastrukturpolitik Wirkung zeigt. Ein wirkliches Hoffnungszeichen können die Investitionspläne nicht sein, dafür ist ihr Umfang zu gering, ihre Richtung zu wenig innovativ. Sanierte Schulen und mehr Straßenbau? Wie viele neue Pisten und Autos soll es noch geben? Es ist das Gegenteil des ökologischen Umbaus, der nötig wäre und die Bürger sogar dann mitreißen würde, wenn er die Krise nicht gleich morgen beenden könnte. Viele würden zwar die Notwendigkeit nicht gleich einsehen, aber der Produktionsimpuls im großen Stil, den sie vor Augen hätten und an dem sie teilnähmen, würde das Vertrauen wiederherstellen, das heute so sehr fehlt.

Eine solche Wende findet nicht statt, und deshalb stellt sich bis zum Herbst 2009 die Frage, ob die Wähler sich nach rechtsaußen oder nach links wenden. Man darf zum Glück eher Letzteres erwarten. Denn die Linkspartei, eine hinreichend radikale und dabei auch besonnene Kraft, ist der etablierte Oppositionspol. Dass sie sich hat bilden können, ist eine wichtige Errungenschaft der vergangenen Jahre. Man muss sie nicht mögen, aber ohne sie blieben nur die Rechtsextremisten als scheinradikale Alternative. Vor dieser Gefahr hat Oskar Lafontaine immer wieder gewarnt. Er hat die Gründung der Linkspartei auch deshalb betrieben.

Die Linkspartei wird jedenfalls der erste Hafen sein, den die meisten Enttäuschten anpeilen. Die Frage ist, was sie daraus macht. Vielleicht kann sie die SPD davon überzeugen, gemeinsam für einen Politikwechsel einzutreten.

Es ist natürlich nicht sicher, dass der steile Anstieg der Arbeitslosigkeit bei dieser Bundestagswahl schon durchschlägt. Vielleicht entfaltet sich die Wucht erst in den Monaten danach. Viele Wähler, die ihren Arbeitsplatz noch haben, würden dann weiter auf die große Koalition setzen, aus Angst vor allem, was ungewohnt ist. Wer den möglichen Absturz von einer bürgerlichen Existenz auf das Einkommensniveau eines Hartz-IV-Empfängers fürchten muss, wird vor allem konservativ werden, wenn er es nicht ohnehin schon ist. So könnte die schwarz-rote Koalition in Berlin das Heft in der Hand behalten. Und wenn Angela Merkel bis 2013 weiterregiert, hat sie viel Zeit gewonnen. Diese Überlegung wird die Bundesregierung übrigens selbst anstellen. Sie wird alles daran setzen, die Arbeitslosigkeit hinauszuzögern, und sei es künstlich. Vielleicht lassen sich Unternehmen durch Subventionierung davon abhalten, Arbeitskräfte vor Ende 2009 zu entlassen? Dass eine "Selbstverpflichtung" der Großkonzerne viel nützt, glaubt wohl niemand ernsthaft.

Die nächst schlimmere Situation wäre die, dass die große Koalition ihre Mehrheit zwar verliert, aber trotzdem als Minderheitsregierung weitermacht. Oder vielleicht gibt es 2009 sogar eine Neuauflage von Schwarz-Rot; aber in den folgenden Landtagswahlen gerät diese Konstellation in die Minderheit, so dass ihre Legitimität immer stärker in Frage gestellt wird. In diesem Fall baut die große Koalition vermutlich eine Art Notstandsregime auf. Sie würde damit unter der Voraussetzung durchkommen, dass sich die Bevölkerung nicht dagegen wehrt. Dies bleibt die entscheidende Frage - wenn nicht des nächsten Jahres, dann des übernächsten.

Hier müssen wir vorerst haltmachen. In einem Jahr sind wir klüger. Die Bevölkerung wirkt jetzt noch so diszipliniert, dass man an ihre Gegenwehr kaum glauben kann. Nach aller historischen Erfahrung könnte Gegenwehr auf der Straße nur von einer Jugendbewegung ausgehen. Teile der Jugend engagieren sich längst in Attac, demonstrieren gegen Kohlekraftwerke und die neoliberale Globalisierung. Von einer sich anbahnenden Jugendrevolte sieht man aber gar nichts. Andererseits, ließ sich vor 1967 voraussehen, welche Wirkung der Polizeischuss auf Benno Ohnesorg haben würde?

Ein Aufbruch der Jugend wäre sogar wünschenswert. Denn die Machtstrukturen sind verkrustet und einige Parteien brauchen dringend den Anschub von außen, der sie mutiger macht und ihre Konfusion beendet. Die heutige Jugend würde ja nicht, wie die von 1967, mit der Suche nach glaubwürdigen Alternativen von vorn beginnen müssen. Die alternative Bibliothek ist schon da und auch vielen Erwachsenen bekannt. Die Alternativen müssen nur endlich umgesetzt werden. Rattenfänger hätten da keine Chance. Eine Entwicklung wie am Ende der Weimarer Republik ist nicht wahrscheinlich, dafür fehlt die Voraussetzung, die es im Gegensatz zu heute, nach 1929 gab: eine revolutionäre Kraft von links, die auf den Kollaps gewartet hat und ihn ausnutzen will. Ohne Revolution keine Konterrevolution. Die alternative Bibliothek, die wir haben, ist nicht revolutionär, sie ist nur vernünftig. Wenn sich jung und alt, Parlament und Straße zusammenfänden, stünde uns immer noch eine Krise bevor. Aber es wäre die Krise einer Geburt.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   52 vom 26.12.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und des Verlags.

Veröffentlicht am

24. Dezember 2008

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