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Treibhaus des Todes

Der Konflikt zwischen Kongo und Ruanda: Alles begann im Sommer 1994

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Von Lutz Herden

Er umgibt sich zuletzt mit Leoparden-Fellen und viel afrikanischer Authentizität, weil ihn das im Glauben an die Unerschütterlichkeit seiner Macht bestärkt. Marschall Sese Seko N`Gebendu Wa Zu Bangu - auch bekannt als Mobutu - hat seit 1965 die Abhängigkeit seines Landes von den alten Paten Belgien und Frankreich geschickt "afrikanisiert" (immerhin nennt sich der Kongo nun Zaire), aber nie überwunden. So muss er zuweilen tun, was in Brüssel oder Paris von ihm erwartet wird, und hat nichts dagegen, dass im Juli 1994 die Todesschwadronen Tausender ruandischer Hutu-Extremisten im Osten Zaires ein Refugium finden, um sich neu zu formieren.

Frankreich hat Mobutu zu verstehen gegeben, es handle sich um brauchbare Leute, die Schutz verdienten, wofür gerade französische Fallschirmjäger gesorgt hätten. Mobutu versteht das und ahnt nicht, dass er damit seinen Sturz drei Jahre später einleitet - doch der Reihe nach.

Kabila stürzt Mobutu

Als im benachbarten Ruanda zwischen April und Juni 1994 fast eine Million Menschen - vorwiegend Angehörige der Tutsi-Ethnie - massakriert werden, bleiben die Vereinten Nationen das schuldig, was Jahre später als Grundmuster eines moralisierenden Weltgouvernements Karriere macht - die humanitäre Intervention. Man sieht im UN-Hauptquartier voller Unruhe auf die Tag für Tag wachsenden Leichenberge auf den Straßen und Mülldeponien Ruandas, kann sich aber nicht dazu aufraffen, dem Einhalt zu gebieten. Der Sicherheitsrat vertagt sich, und in den folgenden 24 Stunden sterben die nächsten Zehntausend unter den Macheten der Interahamwe-Milizen, wie sich die Speerspitze der Hutu-Extremisten Ruandas damals nennt.

Allein die Regierung in Paris will nicht länger zusehen und fühlt sich zum Handeln getrieben, als die Armee der Patriotischen Front Ruandas (FPR) unter dem Oberbefehl des Tutsi-Generals und heutigen Präsidenten Paul Kagame ins ruandische Kernland vorstößt und den Interahamwe-Killern das Handwerk legt. In diesem Augenblick hält Präsident Mitterrand die Zeit für gekommen, die Operation Türkis zu befehlen. Sie beginnt am 23. Juni 1994, elf Tage vor dem Einmarsch der FPR in Kigali, und gerade noch rechtzeitig, um im Westen Ruandas einen Schutzkorridor einzurichten, durch den die Macheteros der Interahamwe abziehen, bevor sie bei Mobutu Asyl finden.

Mit diesem Vorgang - er liegt mehr als 14 Jahre zurück - wird der Kongo durch fremde und eigene Schuld in die Folgen eines Genozids verstrickt, wie er Afrika nie zuvor ereilt hat. Ruandas Killing Fields wandern nach Osten. Nicht nur Frankreich, auch die UNO hat Anteil daran, als das Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) - blind oder parteiisch - den Hutu-Extremisten das Kommando über die Flüchtlingscamps im Kongo überträgt. Die Interahamwe lassen sich nicht lange bitten und machen die Lager zu Rekrutierungsbasen für sämtliche Hutu-Flüchtlinge - ein Guerilla-Krieg gegen die neue Regierung in Kigali beginnt. Die will nicht in der Angst leben, die Extremisten könnten eines Tages wieder so mächtig sein, um nach einer Rückkehr den Völkermord zu vollenden. Also marschieren ruandische Truppen Ende 1996 in den ostkongolesischen Provinzen Nord- und Süd-Kivu ein, umstellen die Camps und verfolgen die Hutu-Milizen. Die Intervention wird zur Geburtsstunde einer fragilen Allianz mit dem kongolesischen Ex-Guerillero Laurent-Désiré Kabila, letzter Führer des legendären Comité National de Libération (CNL), das 1965 Mobutu mit einem Aufstand stürzen will und scheitert. Vom Revolutionär zum Epikureer geworden, versucht sich Kabila in den siebziger Jahren als Geschäftsmann, spekuliert mit Diamanten und unterstützt den Ugander Yoweri Museveni, der sich mit seiner Befreiungsarmee 1986 bis zur Präsidentschaft in Kampala durchkämpft.

Anfang 1996 bei einem Treffen mit dem für Afrika zuständigen US-Unterstaatsekretär George Moose befragt, wer den dekadenten Mobutu in Kinshasa ablösen könne, zögert Museveni keinen Moment, Kabila zu empfehlen. Der hat gerade die Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération (AFDL) gegründet, die sich schon bald militärischer und verhalten diplomatischer Hilfe der Amerikaner erfreut. Kabila verkörpert für den Kongo als Einziger die Idee der nationalen Einheit und verspricht, dass sein mit Gold, Uran, Titan, Diamanten und Koltan (das Material für Mobiltelefone) so reich gesegnetes Land zuverlässiger Lieferant des Nordens bleiben und den unsicheren Kantonisten Mobutu ausschalten werde.

Afrikas Erster Weltkrieg

Frankreich und Belgien begreifen in dieser Situation zu spät, dass ihr Protegé in Kinshasa in den Augen der Amerikaner nur noch ein Fossil ist. Schon im Mai 1997 kann sich Kabila nach dem Sturz Mobutus als Präsident der nun "Demokratischen Republik Kongo" ausrufen lassen - immer den ruandischen Alliierten an seiner Seite. Der Waffenbruder, ohne den der Sturz Mobutus nie gelungen wäre, scheint unversehens von regionalmächtiger Statur.

In Kigali hofft man noch, Kabila werde dabei helfen, die Hutu-Extremisten im Kongo endgültig aufzureiben und die Grenzen Ruandas zu schützen. Aber der Sieger über Mobutu tut genau das Gegenteil und behandelt den Partner plötzlich als Rivalen und Gegner. Im August 1998 kommt es zu einem Pogrom gegen Tutsi im Unteren Kongo und in Kinshasa selbst. Bis heute ist unklar, wie viel Kabila damit zu tun hat - ob ihm die Kontrolle entglitten oder gar Anstiftung vorzuwerfen ist.

Danach marschiert die ruandische Armee abermals ein, um eine tief in den Osten des Kongo reichende Pufferzone zu installieren. Nun fühlen sich auch Angola und Simbabwe in ihren Interessen berührt und intervenieren ebenfalls, während Uganda und Burundi Ruanda unterstützen. Über Nacht stehen fünf fremde Armeen in diesem Riesenland und schlagen ihre Schlachten, bei denen fast zwei Millionen sterben - später wird sich in der Region der Begriff "Afrikas Erster Weltkrieg" einbürgern, wenn von dieser Zeit die Rede ist, die auch Laurent-Désiré Kabila nicht überlebt (er fällt im Januar 2001 dem Attentat eines Leibwächters zum Opfer).

Ein Friedensabkommen führt 2002 zum Rückzug aller fremden Streitkräfte, doch trägt das Agreement wenig zu Ruandas Sicherheit bei, da die Hutu-Extremisten im östlichen Kongo erneut eine Armee gründen: Les Forces Démocratiques pour la Libération de Runda (FDLR) heißt sie diesmal und besteht aus Leuten, die den Genozid von 1994 zu verantworten haben.

Die Existenz dieser FDLR ist ein Grund für die Existenz des Generals Laurent Nkunda und seiner heute in der Kivu-Provinz vorrückenden Rebellenarmee, die sich als Schutzkorps für die lokale Tutsi-Bevölkerung begreift. Die kongolesische Regierung und die UNO sehen Nkunda als Kreatur der ruandischen Regierung, damit beauftragt, endgültig den Osten des Kongo zu erobern.

Laurent Nkunda selbst leugnet kategorisch, ein Werkzeug Kigalis zu sein. "Ich bin ruandaphon und war in der ruandischen Armee. Das heißt aber nicht, dass sie mir sagen, was ich zu tun habe", sagt er dem britischen Guardian in seinem Hauptquartier bei Masisi. Ruandas ehemaliger Außenminister, Charles Murigande, will gern zugestehen, dass Laurent Nkunda den Interessen seines Landes dient, weil seine Truppen die Einzigen sind, die sich den Extremisten der FDLR in den Weg stellen. "Es wird oft behauptet, Ruanda verfüge über eine große und ungemein schlagkräftige Armee, während es die FDLR gerade einmal auf 10.000 Mann bringe. Das könne doch keine wirkliche Herausforderung für mein Land sein." Er habe nie jemanden gehört, so Murigande, "der mit den gleichen Argumenten al-Qaida klein geredet und gefragt hat, warum die Amerikaner mit der am besten ausgerüsteten Armee der Welt al-Qaida als Bedrohung empfinden."

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   45 vom 06.11.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

03. Dezember 2008

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