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Operation Atlanta: D-Day am Horn von Afrika

Die EU geht auf Piraten-Jagd und gibt sich als globale Ordnungsmacht zu erkennen

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Von Lutz Herden

"Das ist ein sehr anspruchsvolles Vorhaben, alle EU-Politiker werden es sowohl mit Bescheidenheit als auch mit Entschlossenheit angehen", sagt Britanniens Außenminister David Miliband vor gut einer Woche, als in Brüssel die Außen- und Verteidigungsminister der EU auseinander gehen. Die Aussage klingt wie ein Understatement, doch besteht dazu kein Anlass, gilt Milibands Botschaft doch einem historischen Vorgang: Das Europa der 27 hat sich an diesem 9. November als Seemacht zu erkennen gegeben. Ab Mitte Dezember wird mit der Operation Atlanta die militärische Selbstermächtigung um ein weiteres Kapitel angereichert. Der maritime Ausfallschritt führt in den Golf von Aden wie in den Indischen Ozean - vor der Küste Somalias soll dann ein Verband aus mindestens fünf, höchstens sieben EU-Schiffen auf Patrouille sein und Piraten jagen. Die Einheiten verfügen über ein robustes Mandat und ein eigenes Kommando, sie dürfen Kaperschiffe aufbringen, sprich: die gefürchteten Speed-Boote der somalischen und jemenitischen See-Guerilla verfolgen, entern und ihrer Besatzungen berauben.

 

Allerdings wird die EU-Flottille mögliche Fangquoten nicht für sich allein reklamieren können, sondern mit der NATO-Operation Allied Provider teilen müssen, die bereits seit Mitte Oktober in gleicher Mission und an gleicher Stelle unterwegs ist. Dafür rekrutiert sind Kriegsschiffe der Ständigen Maritimen Einsatzgruppe (SNMG 2), der unter anderem die deutsche Fregatte Karlsruhe und das Versorgungsschiff Rhön angehören, wenn auch die Hauptkräfte durch einen italienischen Zerstörer sowie je eine britische und eine griechische Fregatte gebildet werden - im Notfall wird die US-Marine aushelfen.

Enthauptungsschlag an Land

2007 gab es laut International Maritime Bureau (IMB) weltweit 263 dokumentierte Übergriffe auf Handels- und Kreuzfahrtschiffe, tatsächlich seien es vermutlich über 400 gewesen, räumt das Londoner Institut ein. Reedereien und Reiseunternehmen täten aus Prestige- und Imagegründen nicht immer kund, was ihren Geschwadern widerfahren sei. 2008 werden die offiziellen Zahlen aus dem Vorjahr schon im August überboten. Kein Wunder, dass sich NATO und EU zum Handeln gedrängt fühlen, neun Zehntel des Welthandels werden über den Seeweg abgewickelt. Was davon durch beutehungrige Korsaren verloren geht, muss im Südchinesischen Meer und in der Straße von Malacca abgeschrieben werden - hauptsächlich aber vor der somalischen Küste.

Ausgerechnet dort, wo seit Ende 2001 die Operation Enduring Freedom (OEF) den Terrorismus bekämpfen, den Waffennachschub für islamistische Gruppen in Ostafrika und Südasien unterbinden und die freie Seefahrt garantieren soll, so dass schon zu fragen ist, warum See-Gangs wie die Somali Marines und andere offenbar bisher unbehelligt blieben. Weshalb NATO und EU plötzlich so massiv einsteigen wie nie zuvor.

Feststeht - und auch die Expertisen des IBM scheinen das zu bestätigen -: Ein Enthauptungsschlag gegen die Somali Marines dürfte nur gelingen, wenn deren Basen in Somalia selbst getroffen und ausgeschaltet werden. Heißt das, Landeunternehmen der Naval Maritime Group 2 sind nicht auszuschließen? Wie sonst wäre das Verhältnis von Aufwand und Nutzen zu rechtfertigen, wenn es aus Sicht der Seejäger nicht den ultimativen Durchbruch gibt?

Wohl nicht zufällig handelt es sich bei dem italienischen Zerstörer im NATO-Schiffsverband um ein 5.000-Tonnen-Mehrzweck-Schiff der in den neunziger Jahren in Dienst gestellten De-la-Penne-Serie, das in der Lage ist, bei Landungen und Küstenbombardierungen die angreifenden Einheiten von See her mit Luftabwehr-Geschützen abzusichern. Und es war der italienische Admiral Giovanni Gumiero (bereits erfahren bei Anti-Piraten-Missionen), der Wert darauf legte, dass dieser Zerstörer zum NATO-Verband vor Ostafrika gehört. Überdies fand am 17. Oktober in der Kieler und Mecklenburger Bucht das Manöver Northern Coast statt, bei dem 1.500 Soldaten aus elf EU-Staaten Operationen in küstennahen Gewässern mit anschließender Landnahme trainierten.

Praxistest für NATO und EU

Mit einer Piratenjagd zu Wasser und zu Lande könnten die Unternehmen Atlanta und Allied Provider freilich in rechtliche Grauzonen vorstoßen. Und überhaupt: Mit welcher Erfolgsgarantie würden die Meeres-Briganten in einem Staat wie Somalia verfolgt, der nach zwei Jahrzehnten ohne Regierungsautorität faktisch kein Staat mehr ist? Von Clans und Warlords beherrscht, vom Welternährungsprogramm alimentiert und von äthiopischen Eroberern (WFB) als Exerzierfeld entdeckt, fristet die Republik Somalia bestenfalls ein Schattendasein. Wollten EU und NATO auf diesem Terrain Piraten stellen, wäre das rechtlich fragwürdig, vor allem aber militärisch riskant. Schon einmal, zwischen 1992 und 1994, ist hier ein Einmarsch gescheitert, als sich US-Elite-Einheiten an den so leichtfüßigen wie erbarmungslosen Guerilla-Kriegern des Generals Mohamed Aidid wund scheuerten.

Die Anti-Piraten-Mission ist gewiss nicht dazu angetan, staatliche Ordnungsmacht von außen zu ersetzen. Um so mehr aber erweist sie sich als weiterer Praxistext für die im April 1999 auf dem Gipfel von Washington beschlossene neue NATO-Strategie. Dort wurden die "elementaren sicherheitspolitischen Herausforderungen" des 21. Jahrhunderts (auch "neue Bedrohungen" genannt) katalogisiert, bei denen sich die westliche Allianz das Recht auf militärische Reaktionen zuerkennt. Es heißt da unter Punkt 24: "Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen."

Daraus ergibt sich letzten Endes auch die Selbstmandatierung der EU, um Out of Area als sicherheitspolitischer Akteur zu handeln und anzudeuten, dass dies nur ein Anfang sein kann, wenn der kategorische Imperativ des Interessenschutzes zu seinem Recht kommen soll.

Was am Horn von Afrika durch einen NATO-EU-Verbund geschieht, bezeugt einmal mehr den latenten Abschied von einer transatlantischen Arbeitsteilung, bei der die NATO einen Schutzschirm über das integrierte Europa hielt. Bereits ihrer gescheiterten Verfassung war zu entnehmen, dass sich die EU als eigenständige Militärkoalition definieren will. Die Operation Atlanta ermöglicht es nun, sowohl mit "Bescheidenheit als auch mit Entschlossenheit" den keineswegs kleinen Schritt vom sicherheitspolitischen Akteur in eigener Sache zur globalen Ordnungsmacht des Westens zu gehen. Die strategische Partnerschaft zwischen EU und NATO ist das Rückgrat dieser Mutation - die Reduktion der Vereinten Nationen auf einen politischen Stichwortgeber die absehbare Geschäftsgrundlage.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   47 vom 20.11.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

26. November 2008

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