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Ungleiche Einkommen: Die Schere geht weiter auf

Alleinerziehende und Kinder sind besonders von Armut betroffen

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Von Connie Uschtrin

Die Unterschiede zwischen Reich und Arm werden immer größer. Dies ist der Trend zwischen 1985 und 2005 und gilt laut der neuen OECD-Studie "Mehr Ungleichheit trotz Wachstum?" für drei von vier OECD-Ländern. In Deutschland haben Einkommensunterschiede und relative Armut vor allem zwischen den Jahren 2000 und 2005 stärker und schneller zugenommen als in anderen OECD-Ländern. Dabei lebten hierzulande zwischen zehn und elf Prozent der Gesamtbevölkerung unterhalb der Armutsschwelle - in Dänemark und Schweden waren es nur fünf Prozent. Hohe Löhne und Gehälter sind hier stärker gestiegen als niedrige. Besonders vollzeitbeschäftigte Männer in den obersten zehn Prozent der Einkommen haben von einem überdurchschnittlichen Anstieg profitiert.

Alarmierend ist, dass in Deutschland die Kinderarmut besonders stark gewachsen ist. Dass gerade Alleinerziehende, zumeist Frauen, überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen sind, scheint vor allem an dem noch immer ungelösten Betreuungsproblem zu liegen, denn, auch das zeigt die Studie, sobald Mütter erwerbstätig sind, ist auch die Kinderarmut geringer.

Der drastische Anstieg der Unterschiede seit 2000 legt ein Versagen der rot-grünen Politik nahe, die Wissenschaftler Michael Förster (OECD) und Markus Grabka (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) versuchen allerdings, diesen Verdacht abzuschwächen. Ihrer Ansicht nach sei die Politik nur ein Faktor unter vielen. Die Absenkung des Spitzensteuersatzes von 2000 oder die Absenkung von Transferleistungen über Hartz IV sollen nur teilweise verantwortlich für das Problem sein, das ist schwer nachvollziehbar. Als Ursachen für Armut nennen sie hingegen - wenig überraschend - die Erwerbslosigkeit: Sie stellt das größte Risiko dar, in Armut zu kommen. Eine besondere Entwicklung ist aber auch, dass es in Deutschland mehr als woanders einen sozialen Wandel hin zu Single-Haushalten gibt, in denen die Lebenshaltungskosten vergleichsweise höher sind als in Mehrpersonen-Haushalten. Im OECD-Vergleich gibt es hierzulande die höchste Rate an Haushalten ohne erwerbstätige Person. In diesen Haushalten liegt das Armutsrisiko bei 40 Prozent, das ist höher als der Durchschnitt. Das Risiko vermindert sich drastisch auf sieben bis acht Prozent, sobald eine Person im Haushalt ein Einkommen bezieht. Ähnliches gilt auch für die nordischen Länder. Sie schaffen es aber viel besser, gezielt Alleinerziehende und Haushalte mit Kindern zu fördern und besitzen ein gut funktionierendes Betreuungssystem, das sich auszahlt.

Während sich 2006 die Einkommensungleichheit in Deutschland weiter vertieft hat, schwächte sich dieser Trend aufgrund des konjunkturellen Aufschwungs 2007 etwas ab. Doch seit Mitte 2008 geht es wieder bergab mit der Konjunktur und für kommendes Jahr droht eine Rezession. Da Leih- und Zeitarbeiter dann als erste schnell wieder entlassen werden können, wird nach Einschätzung der Wissenschaftler 2009 auch die Einkommensarmut vermutlich wieder wachsen. Die Autoren wiesen bei der Analyse der Ursachen darauf hin, dass staatliche Transferleistungen in Deutschland oft nicht den Ärmsten zugute kommen, sondern zu stark auf die Mittelschicht gerichtet sind.

Was kann man aus den Ländervergleichen lernen? Frankreich und Spanien beispielsweise folgen nicht dem allgemeinen Trend: Hier driften Reich und Arm nicht immer weiter auseinander. Man wird sich genauer ansehen müssen, welche Rezepte diese Länder gegen ungleiche Verteilung haben. In Frankreich ist beispielsweise nicht zu beobachten, dass - wie in Deutschland - die hohen Einkommensschichten immer besser verdienen. Auch haben sie dort offenbar Instrumente gegen Arbeitslosigkeit, die früh wirken. Hier müsste man genauer nachprüfen als dies eine Studie leisten kann, ob in Frankreich nicht, wie in Deutschland die sinkenden Erwerbslosenzahlen über einen immens wachsenden Niedriglohnsektor schön gefärbt werden.

Nicht nur aus moralischen Gründen, auch aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die immer größere Spreizung zwischen Arm und Reich unerwünscht, denn sie verhindert Wachstum - und Armut verfestigt sich in den Familien: "Eine höhere Einkommensungleichheit behindert die Aufstiegschancen über die Generationen hinweg. Sie macht es für talentierte und hart arbeitende Menschen schwerer, den Lohn zu erhalten, den sie verdienen. Diese mangelnde soziale Mobilität beeinträchtigt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit insgesamt", so OECD-Generalsekretär Angel Gurría bei der Präsentation der Studie in Paris. Welchen beruflichen Status Eltern besitzen, ist in Deutschland wichtiger als in vielen anderen Ländern, vor allem für den Bildungserfolg der Kinder - ein Thema, das dieser Tage wieder in aller Munde ist.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   43 vom 23.10.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

05. November 2008

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