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Rogosin lässt die Bilder tanzen

KSE-Vertrag: Erfriert die konventionelle Abrüstung in einer "neuen Eiszeit"?

Von Wolfgang Kötter

Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin ist in Brüssel für seine derben Sprüche bekannt. Was er allerdings dem westlichen Bündnis bei seiner letzten Pressekonferenz vor der Rückberufung nach Moskau empfiehlt, schockiert die Zuhörer doch einigermaßen. Die NATO solle doch "zuerst Hitler, dann Saddam Hussein und dann Georgiens Präsidenten Saakaschwili aufnehmen". Als zu allem Überfluss noch ein gerahmtes Poster mit der Aufschrift "NATO-Russland-Kooperation für Raketenabwehr" von der Wand fällt, witzelte der 44-Jährige, dies sei durchaus symbolisch, wenn auch nicht beabsichtigt. Doch die Lage ist ernst, denn es geht nicht nur um ein paar gemeinsame Manöver, Inspektionen oder Flottenbesuche. Vielmehr steht das Schicksal der konventionellen Abrüstung und damit der militärischen Stabilität in Europa auf dem Spiel.

Immerhin hatten 16 NATO-Mitglieder und sechs Warschauer-Pakt-Länder 1990 den völkerrechtlich bindenden Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) unterschrieben, der 1992 in Kraft trat und für verschiedene kontinentale Subregionen die Zahl der offensivfähigen Waffensysteme limitiert. Später wurden auch Obergrenzen für die Mannschaftsstärken der Mitgliedsstaaten beider Bündnisse festgelegt. Und es blieb nicht bei Absichtserklärungen - in den Folgejahren wurden rund 60.000 konventionelle Waffen vom Panzer bis zum Geschütz tatsächlich verschrottet, Militärs reisten zu Tausenden gegenseitiger Inspektionen und Beobachtungen, sahen Waffendepots, Kasernen und Bunkeranlagen - es gab eine geradezu exemplarische militärische Transparenz.

Nach dem Ende des Warschauer Paktes wurden der KSE-Prozess und -Vertrag 1999 nach langwierigen Verhandlungen modifiziert (s. unten) und statt der Gruppenbegrenzungen nationale Limits für Rüstungen und Obergrenzen festgelegt. Es war ein konstruktiver Beitrag der NATO-Debütanten Slowenien, Estland, Lettland und Litauen gefragt, doch die winkten ab und unterliegen bis heute keinerlei Begrenzungen für Großwaffensysteme oder Militärpersonal. Demgegenüber traten die GUS-Länder Russland, Kasachstan, Ukraine, Moldawien, Weißrussland, Armenien, Aserbeidschan und Georgien dem neuen Vertrag bei, was nichts daran änderte, dass die NATO eine KSE-Ratifizierung immer wieder auf die lange Bank schob. Begründung: Erst einmal müsse Russland seine Truppen aus Transnistrien sowie Abchasien und Südossetien zurückziehen.

Als alle Versuche Moskaus, im NATO-Russland-Rat diesen toten Punkt zu überwinden, gescheitert waren, gab es Ende 2007 die mehrfach von Wladimir Putin angekündigte Erklärung: Man fühle sich erst dann wieder an den KSE-Vertrag gebunden, wenn ihn alle ratifiziert haben. Seither besitzt Moskau drei Optionen: Man kann die festgelegten Obergrenzen für konventionelle Großwaffen überschreiten, die erlaubten Truppenstärken in den Militärbezirken Sankt Petersburg und Kaukasus erhöhen und an der Grenze zu Norwegen, Finnland, Estland, Lettland, Litauen und Polen mehr Präsenz zeigen. Der Austausch von Daten sowie gegenseitigen Inspektionen bleibt unterbrochen, so dass eine weitere Säule des in Jahrzehnten errichteten Gebäudes der internationalen Rüstungskontrolle wankt.

Die jetzt gegründete NATO-Georgien-Kommission und die hastige Einigung Washingtons mit den Regierungen in Prag und Warschau über den Aufbau von Teilen eines Raketenabfangsystems in beiden Ländern dämpfen die Konflikte keineswegs, im Gegenteil. Demnächst wird es US-Militärstützpunkte mit bis zu 10.000 GIs in Bulgarien und Rumänien geben. Die dritte NATO-Erweiterungsrunde für Albanien, Kroatien und Mazedonien ist eingeläutet - ein Aktions-Reaktions-Mechanismus zeichnet sich ab, der alles andere als vertrauensbildend sein dürfte.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   35 vom 29.08.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Kötter und des Verlags.

Veröffentlicht am

28. August 2008

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