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Die FARC im freien Fall

Kolumbien: Die Befreiung von Ingrid Betancourt hilft Präsident Álvaro Uribe, allerlei Skandale zu vertuschen


Von Raul Zelik

Eine Woche danach sind die genauen Umstände der Militäraktion im Urwald von Guaviare noch immer ungeklärt. Während die Regierung in Bogotá verbreitet, die FARC-Rebellen Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia/Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens, gegründet 1948 seien dank einer Geheimdienst-Infiltration getäuscht worden, zirkuliert in oppositionellen Kreisen die These, die Geiseln könnten freigekauft worden sein. Dabei wird auch die Rolle der Vermittler aus der Schweiz und Frankreich hinterfragt, die mit dem FARC-Generalsekretariat unmittelbar vor der Operation in Kontakt standen. Die Nachrichtenagentur IPS zitierte eine rebellennahe Quelle, wonach die FARC die Freilassung der Geiseln vereinbart haben solle. In der Guerilla wüchsen nun die Zweifel, ob die Vermittler nicht gezielt als Köder gedacht waren. Tatsächlich waren sowohl FARC-Sprecher Simón Trinidad als auch Kommandant Raúl Reyes bei diplomatischen Kontakten mit Europäern geortet und danach angegriffen worden.

Das Steuer herumreißen

Unabhängig davon, wie die Geiselbefreiung tatsächlich ablief, deutet die Aktion darauf hin, dass sich die FARC zur Zeit im freien Fall befinden. Sollte es stimmen, dass Betancourt und die anderen Geiseln, darunter auch drei amerikanische Geheimdienstleute, mit Bestechungszahlungen befreit worden sind, würde das nur belegen, dass die Guerilla auf höchster Ebene korrumpierbar ist. Selbst die für die FARC schmeichelhafteste Version - dass mit europäischen Vermittlern wirklich eine Geiselbefreiung vereinbart wurde - ließe fragen, warum die FARC eine Woche lang außerstande sind, ihre Version der Ereignisse öffentlich zu machen. Man muss wohl davon ausgehen, dass der neuen FARC-Führung unter Alfonso Cano bisher selbst nicht klar ist, was sich abgespielt hat.

Dass die FARC, die auf eine fast 60-jährige Geschichte zurückblicken, nun innerhalb kürzester Zeit zerfallen, ist zwar nicht zu erwarten, eine existenzielle Krise freilich lässt sich kaum übersehen. Verhandelten die FARC noch vor sieben Jahren auf Augenhöhe mit der Regierung, sind sie heute politisch diskreditiert, zu großen Militäraktionen nicht in der Lage und verfügen offenbar über keine sicheren Kommunikationswege mehr.

Für linke Kritiker kommt diese Krise nicht ganz überraschend. Die FARC mögen zwar in einigen ländlichen Regionen tief in der Bauernschaft verankert sein, mit der militärischen Neuorientierung Anfang der neunziger Jahre verwandelte sich die Organisation jedoch zunehmend in eine traditionelle Armee, deren Macht sich eher auf Waffen als Argumente stützt. Zudem haben die von den FARC aktiv protegierten Strukturen des Drogenhandels sowohl die bäuerliche Basis als auch die Organisation selbst korrumpiert. Es bleibt abzuwarten, ob Comandante Alfonso Cano, der seit jeher als “politischer Vordenker” der Guerilla gilt und in den späten achtziger Jahren in der kolumbianischen Presse zeitweise als “Sozialdemokrat” gehandelt wurde, das Steuer noch einmal herumreißen kann.

Die Wiederwahl war ungültig

So existenziell die Krise der FARC, so willkommen dürfte der Regierung Uribe ihr Triumph sein. Ihr gelang nicht nur eine unblutige Befreiung der Geiseln, sie landete - was noch wichtiger für sie ist - einen spektakulären Medien-Coup. Für den Präsidenten kam die Aktion zur rechten Zeit. Ohne die FARC müsste der Hardliner im Moment ums Überleben kämpfen. Bereits vor zwei Jahren wurde bekannt, dass rechte Paramilitärs und die Polizeiführung bei Uribes erster Wahl einige hunderttausend Stimmen gefälscht haben sollen. Im sich anschließenden “Para-Politik-Skandal” wurde weiterhin öffentlich, dass das Regierungslager systematisch Bündnisse mit den AUC-TodesschwadronenAutodefensas Unidas de Colombia/Vereinigte Bürgerwehren Kolumbiens, ultrarechte Milizen, gegr. 1997 geschlossen hatte. Mehr als 50 Abgeordnete der Regierungskoalition sitzen deshalb mittlerweile im Gefängnis.

Uribe reagierte auf die Ermittlungen mit der Abschiebung der wichtigsten AUC-Führer in die USA und verhinderte so weitere Enthüllungen. Doch unlängst folgte ein neuer Skandal. Der Parlamentsbeschluss, der Uribe eine - durch die Verfassung eigentlich untersagte - Wiederwahl ermöglichte, kam 2004 nur dank Bestechung zustande. Der Präsident soll selbst daran beteiligt gewesen sein, eine Abgeordnete mit mehreren hunderttausend US-Dollar zu schmieren. Der Oberste Gerichtshof in Bogotá erklärte die Wiederwahl Uribes daraufhin im Juni für ungültig. Der reagierte, wie so oft, mit einem Wutanfall, drohte der Justiz und kündigte - die Gewaltenteilung ignorierend - ein Referendum an. Der Präsident muss eine solches Votum derzeit kaum fürchten. Trotz aller Skandale verfügt er über sensationelle Umfragewerte - bis zu 80 Prozent der Interviewten befürworten eine dritte Amtsperiode. Sogar Ingrid Betancourt, der selbst Ambitionen auf das höchste Staatsamt nachgesagt werden, versicherte Uribe nach der Befreiung ihre Unterstützung.

Doch fußt die Macht dieses Präsidenten weniger auf Argumenten als auf Geld und Gewalt: Die wichtigsten kolumbianischen Medien befinden sich in Händen der Santos-Familie, die in der Regierung den Vizepräsidenten und den Verteidigungsminister stellt. Zudem beteiligen sich an Meinungsumfragen (wie auch an Wahlen) fast ausschließlich Angehörige der Ober- und Mittelschichten, die von Uribes Law-and-Order-Politik sichtlich profitiert haben. In den städtischen Armenvierteln und auf dem Land sorgen - trotz Demobilisierung der paramilitärischen AUC - rechte Todesschwadronen für Friedhofsruhe. Und schließlich erhält der Präsident jährlich eine halbe Milliarde Dollar Militärhilfe aus den USA. Nur weiß Uribe, eine derartige Macht kann schnell kollabieren, wie ein Blick nach Peru beweist. Dort stand der Hardliner Fujimori Ende der neunziger Jahre nach Zerschlagung der maoistischen Guerilla des Leuchtenden Pfads zunächst als glorreicher Sieger da, um dann über zahlreiche Korruptionsskandale zu stürzen. Heute sitzt Fujimori im Gefängnis. Der Hass, mit dem Álvaro Uribe auf Kritiker reagiert, deutet darauf hin, dass diesem Präsidenten die Angst vor einem ähnlichen Schicksal trotz aller Erfolge im Nacken sitzt.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   28/29 vom 11.07.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Fußnoten

Veröffentlicht am

21. Juli 2008

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