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Obamas Chicago-Jungs

Von Naomi Klein, 17.06.2008 - The Nation / ZNet

Nach Hillary Clintons Rückzug wartete Barack Obama gerade mal drei Tage, bevor er auf CNBC erklärte: “Schauen Sie, ich bin ein Mann für Wachstum und den freien Markt. Ich liebe den Markt”.

Um zu demonstrieren, dass er keine Witze machte, ernannte er den 37jährigen Jason Furman zum Kopf seines wirtschaftspolitischen Teams. Furman ist einer der prominentesten Verteidiger von Wal-Mart. Er preist den Konzern als “progressive Erfolgsstory”. Im Vorwahlkampf hatte Barack Obama Clinton noch heftig angegriffen, weil sie im Wal-Mart-Vorstand sitzt. Damals schwor er: “Ich werde es nicht dabei belassen (“I won’t stop there”). Furman indes ist der Ansicht, die eigentliche Gefahr gehe von den Wal-Mart-Kritikern aus: Die “Bemühungen, Wal-Mart dazu zu bringen, Löhne und Zuschläge zu erhöhen”, produziere einen “Kollateralschaden”, der “so enorm und verheerend für die Arbeitenden und die breitere Wirtschaft ist, dass ich nicht einfach passiv - und im Interesse zunehmender Harmonie - ‘Kum-Ba-Ya’ singen kann”, so Furman.

Obamas Liebe zu den Märkten und sein Wunsch nach “Veränderung” (change) sind nicht notwendigerweise unvereinbar. “Der Markt ist aus dem Gleichgewicht geraten”, so Obama. Das mag stimmen. Es gibt Viele, die diese tiefgreifende Störung des Gleichgewichts auf die Ideen von Milton Friedman zurückführen. Friedman hatte von seinem Lehrstuhl an der University of Chicago (Fachbereich Wirtschaft) aus eine Gegenrevolution gegen den New Deal gestartet.

Auch Obama lehrte zehn Jahre lang an der Universität von Chicago und zwar Recht. Das birgt neue Probleme, denn Obama ist zutiefst eingebettet in jenes Denken, das als ‘Chicago School’ bekannt ist.

Sein Chefberater in Sachen Wirtschaft heißt Austan Goolsbee - ein Ökonom der University of Chicago. Goolsbee ist dort dem linken Spektrum zuzurechnen. Allerdings reicht das gesamte Spektrum nur bis Mitte-Rechts. Im Unterschied zu manchen Kollegen, die entschiedener für Friedman sind, sieht Goolsbee eines der Probleme in der Ungleichheit. Allerdings sieht er die primäre Lösung in mehr Bildung - eine Linie, die man auch bei Alan Greenspan findet. In Obamas und Goolsbees gemeinsamer Heimatstadt Chicago bemüht sich Letzterer, Obama mit der Chicago School in Verbindung zu bringen. “Wenn Sie sich sein Wahlprogramm, seine Berater und sein Temperament ansehen, so haben Sie einen Mann mit gesundem Respekt vor den Märkten”, so Goolsby im Chicago Magazine. “Angesicht des Ethos… gibt es allerdings einen gewissen Unterschied zu Laissez-faire”.

Ein weiterer Obama-Fan aus Chicago ist der 39jährige Milliardär Kenneth Griffin, CEO des Hedgefonds Citadel Investment Group. Griffin spendete Obama die Höchstsumme, die als Spende überhaupt erlaubt ist. Griffin ist ein Musterbeispiel für die aus dem Gleichgewicht geratene Wirtschaft. Er heiratete in Versailles und feierte die Danach-Party am ehemaligen Urlaubsort von Marie Antoinette (mit einem Auftritt des Cirque du Soleil). Griffin ist einer der vehementesten Gegner, wenn es um die Abschaffung des Steuerschlupflochs Hedgefonds geht. Während Obama von härteren Handelsregeln gegenüber China spricht, strapaziert Griffin die wenigen bereits existierenden Barrieren. Die Sanktionen gegen China verbieten den Verkauf von Polizeiausrüstung an dieses Land, während Citadel munter Gelder in mehrere umstrittene Sicherheitsfirmen in China pumpt, die die lokale Bevölkerung in nie dagewesener Weise überwachen.

Die Zeit ist reif, sich Sorgen zu machen, inwieweit sie bereit sind, ernsthafte Regulationsbemühungen abzuwehren. Man denke an Bill Clinton. In den zweieinhalb Monaten zwischen seiner Wahl zum Präsidenten (1992) und seiner Ablegung des Amtseides vollzog er beim Thema Ökonomie eine Wende um hundertachtzig.

Im Wahlkampf hatte Bill Clinton noch versprochen, NAFTA zu überarbeiten (Umwelt- und Labor-Kriterien zu integrieren) sowie in Sozialprogramme zu investieren. Zwei Wochen vor seiner Amtseinführung traf er sich mit dem Boss von Goldman Sachs, Robert Rubin, der ihn davon überzeugte, wie wichtig Sparsamkeit und mehr Liberalismus seien. Rubin zu PBS: “Präsident Clinton traf die Entscheidung praktisch (kurz) bevor er ins Oval Office einzog, in der Übergangsphase, es war ein dramatischer wirtschaftspolitischer Wandel”.

Furman ist einer der maßgeblichen Schüler Rubins. Er wurde zum Leiter des Hamilton-Projekts der Brookings Institution ernannt. Dieser Thinktank wurde unter anderem mit Hilfe Rubins gegründet. Er sollte für Reformen argumentieren und dagegen, die Freihandelzielsetzung aufzugeben. Rechnen wir Folgendes hinzu: Im Februar traf sich Goolsbee mit Offiziellen des kanadischen Konsulats. Die Kanadier gingen aus diesem Treffen mit dem entschiedenen Eindruck hervor, darüber instruiert worden zu sein, Obamas Anti-NAFTA-Kampagne nicht ernst zu nehmen. Es gibt äußerst triftige Gründe, uns Sorgen zu machen, dass wir ein Replay von 1993 erleben werden.

Ironischer Weise gibt es absolut nichts, was einen solchen Rückschritt rechtfertigen würde. Friedman initiierte eine Bewegung, Ronald Reagan setzte sie um und Clinton verfestigte sie, doch heute steckt diese Bewegung weltweit in einer tiefen Legitimitätskrise. Dies wird nirgends deutlicher als an der Universität von Chicago selbst. Mitte Mai kündigte der dortige Universitätspräsident Robert Zimmer die Schaffung eines Milton-Friedman-Instituts an - mit 200 Millionen Dollar. Es soll ein Zentrum für ökonomische Forschung sein und der Fortführung des Vermächtnisses Friedmans sowie der Förderung dieses Vermächtnisses gewidmet sein. Darüber entzündete sich eine Kontroverse. Mehr als 100 Mitglieder der Fakultät unterzeichneten einen Protestbrief: “Die Auswirkungen der neoliberalen Weltordnung, die während der letzten Jahrzehnte eingesetzt wurde und von der Chicago School of Economics massiv unterstützt, sind keineswegs als einhellig positiv zu bewerten”, schrieben sie. “Viele würden argumentieren, sie (die Auswirkungen) seien für den Großteil der Weltbevölkerung negativ”.

Friedman starb 2006. Damals waren derart mutige Kritiker seines Vermächtnisses Mangelware. In hingebungsvollen Nachrufen wurde über seine große Leistung geschrieben. Einer der berühmtesten Nachrufe erschien in der New York Times, der Autor war - Austan Goolsbee. Heute, nur zwei Jahre später, wird Friedmans Name selbst in seiner eigenen Alma mater als Nachteil bewertet. In einem Augenblick, in dem alle Illusionen über einen Konsens zerronnen sind, entschließt sich Obama zu einem Chicago-Retro-Kurs - warum?

Nicht alle Nachrichten sind schlecht. So behauptet Furman, er werde auf das Wissen von zwei Keynesianern zurückgreifen. Es handelt sich um den Ökonomen Jared Bernstein vom Economic Policy Institute und den Ökonomen James Galbraith (sein Vater, John Kenneth Galbraith, war Friedmans Nemesis). Vor kurzem sagte Obama, unsere “gegenwärtige Wirtschaftskrise” komme nicht von ungefähr. Sie sei “die logische Konsequenz einer müden, fehlgeleiteten Philosophie, die in Washington viel zu lange vorherrschte”.

Stimmt bemerkenswert. Doch sollte Obama - bevor er sich daran machen kann, in Washington die Geißel des Friedmanismus auszubrennen -, in ideologischer Hinsicht vor seiner eigenen Haustüre kehren.

Erstabdruck dieses Artikels in The Nation

Quelle: ZNet Deutschland   vom 09.07.2008. Originalartikel: Obama’s Chicago Boys . Übersetzt von: Andrea Noll

Veröffentlicht am

10. Juli 2008

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