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Triumph und Folter

Ein junger palästinensischer Journalist gewinnt einen Preis. Wie Israel ihn behandelt, ist Teil eines schrecklichen Musters


Von John Pilger, 03.07.2008 - The Guardian / ZNet

Vor zwei Wochen überreichte ich einem jungen Palästinenser - Mohammed Omer - den ‘Martha Gellhorn Prize 2008’ für Journalismus. Dieser Preis soll an die große amerikanische Kriegskorrespondentin Martha Gellhorn erinnern und wird Journalisten verliehen, die die Propaganda des Establishments (“offizielles Geschwafel”, wie Gellhorn sie nannte) bloßstellen. Mohammed Omer erhielt den diesjährigen Preis gemeinsam mit Dahr Jamail und teilt sich mit ihm das Preisgeld in Höhe von 5000 Pfund. Der 24jährige Omer ist der jüngste Gellhorn-Preisträger. Zitat aus der Preisrede:

“Täglich berichtet er (Omer) aus einer Kriegszone, in der er überdies Gefangener ist. Seine Heimat Gaza ist umstellt, ausgehungert, attackiert und vergessen. Er ist ein zutiefst menschlicher Zeuge einer der größten Ungerechtigkeiten unserer Zeit. Er ist die Stimme derer, die keine Stimme haben”.

Mohammed Omer ist das älteste von acht Kindern. Die meisten seiner Angehörigen wurden inzwischen getötet, verwundet oder verstümmelt. Ein israelischer Bulldozer zerstörte das Haus seiner Familie, als diese sich noch darin befand; dabei wurde seine Mutter schwer verletzt. Und dennoch, so der ehemalige holländische Botschafter Jan Wijenberg, “ist er eine Stimme der Mäßigung und drängt die Jugend Palästinas, sich nicht auf den Hass einzulassen, sondern sich um Frieden mit Israel zu bemühen”.

Eine große diplomatische Operation war nötig, um Mohammed nach London zu seiner Preisverleihung zu schaffen. Israel kontrolliert die Grenzen Gazas auf das Perfideste. Nur mit Hilfe einer Eskorte der niederländischen Botschaft war Mohammed die Ausreise möglich. Bei seiner Rückreise am Donnerstag wurde er am Übergang bei der Allenby-BrückeAnmerkung d. Übersetzerin: Der internationale Grenzübergang Allenby-Brücke, zwischen Jordanien und dem Westjordanland, steht unter israelischer Kontrolle. von einem niederländischen Offiziellen erwartet, der vor dem israelischen Gebäude auf ihn wartete. Was der Offizielle nicht wusste: Mohammed war inzwischen in den Händen des berüchtigten israelischen Sicherheitsdienstes Shin Bet. Er musste sein Handy ausschalten und die Batterie herausnehmen. Er bat, die Eskorte der (niederländischen) Botschaft anrufen zu dürfen; dies wurde lautstark zurückgewiesen. Ein Mann stand über seinem Gepäck und sah Mohammeds Dokumente durch. “Wo ist das Geld?” fragte er. Mohammed zeigte einige amerikanische Dollarscheine vor. “Wo sind deine Englischen Pfund?”

“Da begriff ich”, so Mohammed später, “es ging ihm um das Preisgeld des Martha-Gellhorn-Preises. Ich sagte ihm, ich hätte es nicht bei mir. “Du lügst”, sagte er. Ich war mittlerweile von acht Shin-Bet-Offizieren umstellt, alle bewaffnet. Ein Mann, den sie Avi nannten, befahl mir, mich auszuziehen. Ich war aber schon durch einen Röntgenapparat geschleust worden. Ich zog mich bis auf die Unterwäsche aus. Sie sagten, ich solle alles ausziehen. Als ich mich weigerte, legte Avi seine Hand auf seine Waffe. Ich schrie: “Warum behandelt ihr mich so? Ich bin ein menschliches Wesen.” Er sagte: “Das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was du gleich sehen wirst. Er nahm seine Waffe, drückte sie mir gegen den Kopf und nagelte mich mit seinem ganzen Körpergewicht auf der Seite fest. Er zog mir meine Unterwäsche mit Gewalt aus und zwang mich, eine Art Animiertanz aufzuführen. Ein anderer lachte und sagte: “Warum führst du Parfüm ein?” Ich antwortete: “Es sind Geschenke für die Menschen, die ich liebe”. Er sagte: “Oh, gibt es in deiner Kultur Liebe?”

“Sie verspotteten mich, am meisten machten sie sich über die Briefe lustig, die mir Leser aus England geschickt hatten. Mittlerweile war ich 12 Stunden lang ohne Nahrung, Wasser und Toilette. Ich musste die ganze Zeit stehen, meine Beine versagten. Ich erbrach und wurde ohnmächtig. Alles, was ich noch weiß, ist, dass einer mit seinen Fingernägeln die empfindliche Haut unter meinen Augen bearbeitete, (er) drückte, kratzte und riss mit den Nägeln daran. Er bearbeitete meinen Kopf und drückte seine Finger in die Nähe meiner Hörnerven, die ja zwischen Kopf und Trommelfell verlaufen. Der Schmerz wurde noch heftiger, als er mit zwei Fingern gleichzeitig drückte. Ein anderer Mann stellte mir seinen Kampfstiefel ins Genick und drückte mich gegen den harten Fußboden. So lag ich über eine Stunde lang. Der Raum wurde für mich zu einer Menagerie aus Schmerz, Geräuschen und Terror”.

Dann holten sie eine Ambulanz. Sie sagten, Mohammed solle ins Krankenhaus. Zuvor musste er allerdings ein Statement unterschreiben, in dem er die Israelis - hinsichtlich der in ihrem Gewahrsam erlittenen Schmerzen - entlastete. Der palästinensische Sanitäter war mutig und machte nicht mit. Er werde die Eskorte der niederländischen Botschaft kontaktieren, sagte er. Aufgeschreckt ließen die Israelis die Ambulanz durch. Israel kommentiert gemäß der üblichen Linie. Mohammed Omer sei des Schmuggels “verdächtig” gewesen. Im Verlaufe einer “fairen” Befragung habe er “das Gleichgewicht verloren”, so wurde gestern über Reuters mitgeteilt.

Israelische Menschenrechtsgruppen haben die Routine-Foltermethoden durch Agenten des Shin Bet, begangen an Palästinensern, dokumentiert: “Schläge, schmerzvolle Fesselung, Überstreckung nach hinten, Körperüberdehnungen und längerer Schlafentzug”. Auch Amnesty berichtet seit langem, wie weitverbreitet Folter durch Israel ist. Die Opfer seien nur noch Schatten ihrer selbst. Einige Menschen tauchten nie wieder auf. Im internationalen Vergleich belegt Israel einen der oberen Ränge, wenn es um Journalistenmorde geht - vor allem bei palästinensischen Journalisten. Einem Palästinenser wird kaum mehr als der Bruchteil der internationalen Berichterstattung zuteil, die ein BBC-Reporter wie Alan Johnston erhält.

Die niederländische Regierung sagt, sie sei schockiert über die Behandlung, die Mohammed Omer widerfuhr. Der ehemalige Botschafter Jan Wijenberg: “Dies ist keineswegs ein isolierter Vorfall, sondern Teil einer Langzeitstrategie, um das Leben der Palästinenser in sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht zu zerstören… Mir ist klar, dass Mohammed Omer möglicherweise in naher Zukunft durch einen israelischen Heckenschützen oder durch einen Bombenanschlag ermordet wird.”

Zum gleichen Zeitpunkt, als Mohammed Omer in London seinen Preis entgegennahm, beklagte sich der neue israelische Botschafter in Großbritannien, Ron Proser, öffentlich: Viele Briten wüssten die Einzigartigkeit der israelischen Demokratie nicht mehr zu würdigen. Vielleicht wissen sie sie jetzt zu würdigen.

Quelle: ZNet Deutschland   vom 06.07.2008. Originalartikel: From Triumph to Torture . Übersetzt von: Andrea Noll.

Fußnoten

Veröffentlicht am

08. Juli 2008

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