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Der Irak und der Westen: 100 Jahre Begehrlichkeit

Von Hermann G. Abmayr

Der Irak ist ein künstliches Staatengebilde, das aus drei ehemaligen Provinzen des osmanischen Reiches besteht: Mosul, Bagdad und Basra ohne dessen damaligen Unterbezirk Kuwait. Die osmanischen Herrscher hatten Ende des 19. Jahrhunderts längst abgewirtschaftet. Die ölreiche Konkursmasse ist unter den Großmächten seitdem heiß begehrt. Ein Rückblick.

Kaiser Wilhelm II. und die deutsche Wirtschaft wollen das osmanische Reich mit einer 2.500 Kilometer langen Eisenbahnstrecke erschließen, der Bagdad-Bahn. Sie soll das Schwarze Meer über Anatolien und Mesopotamien mit dem Persischen Golf verbinden. Die Bahngesellschaft mit starker deutscher Beteiligung will nicht nur Bodenschätze transportieren, sie verlangt und erhält auch Konzessionen für deren Ausbeutung am Umfeld der Zugstrecke.

Das schwarze Gold

Der Erste Weltkrieg wird die deutschen Expansionsträume dann platzen lassen. Schon zu Beginn besetzt ein britisches Expeditionskorps die strategisch wichtige Stadt Basra, wo sich Euphrat und Tigris treffen. Türkische Truppen halten die Engländer aber vom Vormarsch nach Bagdad ab - unterstützt von deutschen Einheiten.

Währenddessen haben verschiedene arabische Stämme ihre Chance erkannt. Die Briten versprechen ihnen die Befreiung von der osmanischen Vorherrschaft und ein arabisches Königreich. Dafür kämpfen sie. Allen voran der Sohn des Scharifen von Mekka, Emir Faisal.

1917 nehmen englische Truppen Bagdad ein. Mit der Eroberung von Damaskus, an der sich auch arabische Einheiten beteiligen, sind die osmanischen Truppen (und ihre deutschen Unterstützer) ein Jahr später endgültig aus Arabien vertrieben. Im Hotel Viktoria verspricht der britische General Allenby Emir Faisal noch einmal die Herrschaft. Doch dann erfährt Faisal, dass London und Paris Arabien in einem Geheimabkommen längst unter sich aufgeteilt hatten. Und die Provinz Mosul, in der vorwiegend Kurden leben, denen 1920 ein unabhängiger Staat zugesichert wurde, halten die Briten weiterhin besetzt.

Spätestens während des Ersten Weltkriegs hatten die Großmächte die militärstrategische Bedeutung des Erdöls erkannt. Ohne ausreichende Mengen an flüssigem Treibstoff würde kein Krieg mehr zu gewinnen sein. Und dann entwickeln sich vor allem in den USA die Automobilindustrie, der Individualverkehr und ein flächendeckendes Tankstellennetz, das gespeist werden will.

Jahrelang wird deshalb über die Verteilung der irakischen Beute gestritten. Erst Mitte der zwanziger Jahre einigen sich die Siegermächte: Danach bekommen die amerikanischen und französischen Konzerne jeweils knapp ein Viertel. Der Rest geht vor allem an die Briten. BP, Shell, Standart Oil oder Mobil Oil beziehen seither Erdöl aus dem Irak. Die Türken erhalten eine Beteiligung an den Einnahmen. Und das von ihnen beanspruchte Kurdengebiet im Nordirak bleibt endgültig britisches Mandatsgebiet. Doch immer wieder wehrt sich die Bevölkerung in den dreißiger Jahren gegen die Fremdherrschaft. Anfang 1941 wagen nationalistisch eingestellte Militärs einen Putsch. Raschid el Gailani, der bereits zwei Mal Ministerpräsident war, übernimmt die Macht. Kurz darauf marschiert englisches Militär in Basra ein.

Nazi-Deutschland und Italien schicken Hilfe. Doch wegen der großen Verluste der deutschen Luftwaffe beim Angriff auf Kreta, bleiben die Nachschubflüge aus.

Nach einem Monat sind die Iraker geschlagen. Die Engländer setzen Abdul Illah als Regent ein. Der gestürzte Ministerpräsident Gailani taucht in Deutschland unter. Hitler braucht ihn noch, denn die Wehrmacht leidet unter Ölmangel. Nach einem siegreichen Russlandfeldzug soll sie deshalb im Irak einmarschieren.

Die Gunst der Stunde

Nach dem Zweiten Weltkrieg regt sich erneut Widerstand. Vor allem 1948, als die Bevölkerung in Bagdad und anderen Städte gegen ein für den Irak ungünstiges Öl-Abkommen protestiert, das die irakische Marionetten-Regierung mit den Briten abgeschlossen hatte. Viele Iraker blicken jetzt nach Ägypten, wo Oberst Gamal Abdel Nasser den Suez-Kanal nationalisiert hat und soziale Reformen durchführt. Nassers Erfolge machen den Nationalisten im irakischen Militär Mut. Auch sie wollen endlich die Macht übernehmen.

Als sich im Sommer 1958 eine günstige Gelegenheit ergibt, besetzen zwei Brigaden der irakischen Armee die Regierungsgebäude, den Rundfunksender und den königlichen Palast. Und General Abdel Kerim Kassem ruft unter dem Jubel der Menschen die Republik aus.

London und Washington sind entsetzt, denn Kassem verkündet soziale Reformen und widerruft die Konzessionen für alle noch nicht erschlossenen Ölfelder. Die Multis können jedoch die bereits erschlossenen Lagerstätten weiter ausbeuten. Ein Zugeständnis, denn Kassem will dem Schicksal des iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh entgehen, der mit Hilfe der CIA gestürzt worden war, nachdem er das Öl nationalisiert hatte.

Es gibt Putsch-Versuche gegen Kassem, bei denen westliche Geheimdienste mitmischen. Zum Beispiel 1959, als es im Zentrum Bagdads zu einer Schießerei kommt, bei der der neue Präsident angeschossen wird. Einer der Attentäter heißt Saddam Hussein, ein junger Aktivist der Baath-Partei. Hussein flüchtet nach Syrien und Ägypten. Dort beschuldigt ihn Präsident Nasser, für den US-Geheimdienst zu arbeiten.

Der verletzte Kassem überlebt den Anschlag der Baath-Partei. Seine Popularität nimmt weiter zu. Doch auch die Zahl seiner Feinde, denn der politisch unerfahrene Militär wechselt ständig seine Bündnispartner. So legt er sich jetzt mit der Kommunistischen Partei des Irak an, die so stark ist, dass die Nationalisten befürchteten, sie könnte die Macht übernehmen.

Saddam kam mit US-Ticket

Und dann der Bruch mit den Kurden: Da Kassem auf Druck des Militärs und der Nationalisten den Kurden nicht entgegen kommen will, kommt es zum Krieg. Und um Kassem zu schwächen, unterstützen der Schah von Persien und der Westen Mustafa Barsanis Peschmergas.

Fünf Jahre nach der Ausrufung der Republik sehen die Erdölgesellschaften, England, Amerika und Frankreich ihre Stunde gekommen. Die Baath-Partei und andere Kassem-Gegner verabreden sich zu einem Militärputsch. Vier Kampfjets beschießen Kassems Amtssitz und richten ein Blutbad an. In den Folgemonaten kommt es zu einem Massaker an den Kommunisten und den Anhängern von Kassem. Der Führer der Baath-Partei Ali Salih Al-Saadi wird später sagen: “Wir sind in einem amerikanischen Zug nach Bagdad gekommen.”

Nachdem 1972 die irakische Regierung die Erdölwirtschaft nationalisiert hat, erlebt das Land einen gigantischen Aufschwung. Neben den Franzosen, den Amerikanern oder den Briten kommen jetzt auch immer mehr deutsche Firmen und Ingenieurbüros, um das große Geld zu machen.

1979 stürzen die Iraner den Diktator Schah Reza Pahlevi. Ajatollah Chomeini gelangt an die Macht. Die USA haben damit einen ihrer wichtigsten Verbündeten in der Region verloren. Das neue Regime der Mullahs verstaatlicht die Ölgesellschaften. Der Nachbarstaat Irak wird jetzt der neue Partner der Amerikaner. Und damit Saddam Hussein, der im selben Jahr zum unumschränkten Herrscher aufsteigt.

Ein Jahr später rücken irakische Einheiten in den Iran ein. Das Baath-Regime hat es auf die ölreiche Südwestprovinz Chusistan abgesehen. Der Krieg ist ein gigantisches Geschäft für den militärisch-industriellen Komplex in Ost und West. 17 Milliarden Dollar gibt der Irak pro Jahr in dieser Zeit für militärische Zwecke aus. Doch die Offensive läuft fest.

Rohöl zum Vorzugspreis

Drei Jahre nach Kriegsbeginn schickt die US-Regierung einen aufstrebenden Politiker zu Saddam Hussein, Donald Rumsfeld. Der Irak ist in die Defensive geraten. Also helfen die USA mit Darlehen, Satellitenfotos, Hubschraubern oder Lastwagen. Und Amerika bekommt Rohöl zum Vorzugspreis.

Das Ergebnis des Krieges nach acht Jahren: 500.000 Menschen haben ihr Leben verloren. Der Irak ist pleite. Die Lebenshaltungskosten explodieren. Und das Baath-Regime muss mehrere Umsturzversuche abwehren.

Förderländer wie der benachbarte Zwergstaat Kuwait sorgen für eine derart große Überproduktion, dass der Ölpreis um ein Drittel fällt. Saddam Hussein steht mit dem Rücken an der Wand: Gegen das Völkerrecht lässt er Kuwait überfallen. Im Verteidigungsministerium in Washington setzen sich jetzt die Falken durch, die schon seit geraumer Zeit einen Krieg gegen das Regime von Saddam Hussein fordern. Da sich die irakische Armee aus Kuwait nicht zurückzieht, greift eine von den Amerikanern aufgebaute Kriegskoalition sechs Monate später den Irak an. Nach kurzer Zeit ist Kuwait befreit. Der Krieg kostet 60 Milliarden Dollar. Davon bezahlen die Verbündeten - darunter die Bundesregierung - 80 Prozent.

Für die Menschen im Irak haben sich die westlichen Regierungen und die westliche Wirtschaft nur selten interessiert. Ziel der Kriege waren fast immer die Rohstoffe, vor allem das Öl. Und so wurde der größte Reichtum des Landes schon im 20. Jahrhundert zur größten Geisel seiner Bewohner.

Der Text basiert auf der Fernsehdokumentation des Autors Der Irak und der Westen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   27 vom 04.07.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

07. Juli 2008

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