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Seit 22 Jahren eine Mahnung: Tschernobyl

Von Sigrid Totz

Vor 22 Jahren ereignete sich in der Ukraine die schlimmste Katastrophe der zivilen Atomkraft - der Super-GAU von Tschernobyl. Die strahlende Reaktorruine stellt noch für Millionen Jahre eine Gefahr dar. Eine dauerhafte Lösung ist nicht in Sicht.

Tschernobyl ist in die Geschichte eingegangen. Der zerstörte Reaktor in seinem Sarkophag wurde zum Sinnbild des Super-GAU. Der Sarkophag ist mittlerweile rissig und einsturzgefährdet, eine neue Konstruktion dringend notwendig. Es wäre die größte je gebaute bewegliche Struktur. Wegen der hohen Strahlenbelastung kann sie nicht direkt vor Ort erstellt werden. Der Bau wird Unsummen verschlingen.

Doch auch der neue Sarkophag ist letztlich keine Lösung. Er ist auf eine Dauer von 100 Jahren berechnet. Damit wird das Problem in die Zukunft verschoben. Die genaue Menge des im Reaktor verbliebenen Kernbrennstoffs ist zwar unbekannt. Klar ist jedoch: Es befinden sich radioaktive Stoffe im Reaktor, die noch für Millionen Jahre eine erhebliche Gefahr für die Umwelt darstellen.

Das eigentliche Problem, die Bergung und sichere Verwahrung des Brennstoffs im Reaktor, wird nicht angegangen und bleibt kommenden Generationen als Last, konstatiert Heinz Smital, Atomexperte von Greenpeace. Eine solche Verlagerung der Verantwortung sei nicht akzeptabel.

Der Super-GAU

Das Desaster vom 26. April 1986 begann mit einem Test in Block 4 des AKW Tschernobyl und endete mit einer Explosion: Ergebnis einer unheilvollen Kombination aus menschlichem Versagen und technischen Mängeln. Die rund 1.000 Tonnen schwere Stahlbetonabdeckung des Reaktors wurde buchstäblich weggeblasen. Eine radioaktive Wolke verseuchte die Region. Der Wind trug sie auch über Westeuropa hinweg.

Die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt, die Datenlage unübersichtlich. Eine Greenpeace-Studie von 2006 hat verstreute Untersuchungsergebnisse zusammengefasst und kommt zu alarmierenden Ergebnissen: Die Folgen des Super-GAU waren dramatisch und sie reichen noch weit in die Zukunft hinein. So gelten in der Region um Tschernobyl heute nur 15 Prozent der Kinder als gesund.

Die sowjetische Regierung hat die Katastrophe damals zu verheimlichen versucht - bis auf dem Gelände des schwedischen AKW Forsmark die hohen Strahlenwerte einen automatischen Alarm auslösten. Erst Anfang Mai 1986 wurden in der verseuchten Region erste Evakuierungen angeordnet.

Verheimlichen, Verharmlosen, Wegreden

Nach dem Verheimlichen kam das Verharmlosen - ein Verhalten, das nicht nur für die damalige Sowjetregierung typisch ist. Im Jahr 2005, 19 Jahre nach dem weltweiten Schock, gab die Internationale Atomenenergiebehörde (IAEA) eine Studie heraus, in der die Folgen des Super-GAU auf skandalöse Weise heruntergespielt wurden. Ein Schlag ins Gesicht aller Opfer.

In Spanien werden derzeit rund 800 Angestellte des AKW Asco 1 bei Tarragona gesundheitlich untersucht. Der Grund: Menschliches Versagen hat im November 2007 zu einem atomaren Zwischenfall geführt, der zunächst verheimlicht und dann heruntergespielt wurde. Im April 2008 bekam Greenpeace Wind von der Sache und ging an die Öffentlichkeit. Die spanische Atomaufsicht wurde aktiv. Es stellte sich heraus, dass mehr als 300-mal mehr Radioaktivität ausgetreten war als vom Kraftwerksbetreiber angegeben.

Im schwedischen AKW Forsmark kam es 2006 fast zu einer Kernschmelze, als nach einem Stromausfall, verursacht durch einen Kurzschluss, auch die Notstromversorgung versagte. Im Laufe der folgenden Untersuchungen wurden gravierende Sicherheitsmängel festgestellt. Der verantwortliche Energiekonzern Vattenfall leugnete die Mängel monatelang, bis ein durchgesickerter interner Untersuchungsbericht an die Öffentlichkeit kam.

Sicherheit ist eine Fiktion

Die Atomlobby versucht derzeit, den Klimawandel als Vorwand für eine Renaissance der zivilen Atomenergie zu nutzen. Dabei beruft sie sich gern auch auf die Sicherheit der Anlagen. Diese Sicherheit gibt es nicht.

Im finnischen Olkiluoto wird seit zweieinhalb Jahren an einem Reaktor der neuesten Generation gebaut, dem Europäischen Druckwasserreaktor (EPR). Der Bau hinkt schon jetzt zwei Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan her, die Kosten liegen weit über dem veranschlagten Budget. Ein Grund: Es tauchen immer neue Sicherheitsprobleme auf. Auch der Bau des neuen EPR in Flamanville/Frankreich ist schon wenige Monate nach Beginn ins Stocken geraten. Die französische Atomaufsicht ASN hatte eine ganze Reihe von Problemen bemängelt.

Der EPR steht für eine neue Generation von Atommeilern. Nach Aussagen der Atomindustrie sollen die neuen Reaktoren besonders sicher sein. Der britische Atomwissenschaftler John Large ist in seinen Studien zu einem anderen Ergebnis gekommen.

Large stellte fest, dass bei einem Unfall vom EPR ein noch höheres Verstrahlungsrisiko ausgeht als von den bislang üblichen AKW. Der EPR wird mit MOX-Brennstäben befeuert, Plutonium-Uran-Mischoxid. Die Zahl der Menschen, die bei einem GAU sofort evakuiert werden müssten, schätzt der Wissenschaftler um fast zwei Drittel höher als bei den herkömmlichen Reaktoren, rund 660.000. Im schlimmsten Fall, dem Super-GAU, würde sie bei mehr als drei Millionen liegen. Zudem würde auch der neue Reaktortyp einem Terrorangriff mittels eines entführten Passagierflugzeugs nicht standhalten.

Tschernobyl bleibt eine Mahnung

Was in Tschernobyl geschah, kann sich jederzeit an einem anderen Ort der Welt wiederholen. Schon deshalb ist die Atomkraft keine Alternative bei der Bekämpfung des Klimawandels. Es gibt keinen Grund, eine Gefahr mit einer anderen zu bekämpfen.

Hinzu kommt, dass die Atomkraft so gut wie nichts zur Senkung der Treibhausgasemissionen beitragen kann. Selbst wenn die Anzahl der AKW weltweit verdoppelt würde, brächte dies nur fünf Prozent CO2-Einsparung - und das erst weit nach 2020.

Notwendig ist ein konsequentes Umdenken bei Energieerzeugung und -verbrauch. Die Energiewirtschaft der Zukunft muss sich auf erneuerbare Energien konzentrieren. Sie machen importunabhängig, sind umweltfreundlich, sicher und endlos vorhanden.

Quelle: Greenpeace , 26.04.2008.

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Veröffentlicht am

26. April 2008

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