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Die tibetische Falle: Chinas weicher Unterleib

Zbigniew Brzezinski, der Krieg am Hindukusch und der Aufstand in Lhasa


Von Jürgen Rose

“Was heißt es praktisch, wenn China zur beherrschenden Regionalmacht aufsteigt und zunehmend nach dem Status einer Weltmacht strebt, und inwieweit können die USA die Ausdehnung seines Einflussgebietes hinnehmen?”

Zbigniew Brzezinski in seinem Buch “Die einzige Weltmacht”, 1997

“Aber es ist nun einmal so, dass die heute mächtigste und interessanteste außenpolitische Philosophie mit moralischem Anspruch in Bushs Vereinigten Staaten vertreten wird, als Projekt der globalen Verbreitung von Freiheit und Menschenrechten”, schrieb im Sommer 2005 Jan Ross, eine der Edelfedern aus der Zeit-Redaktion. Derselbe Großdenker, der diese Analyse zur Weltpolitik des Neuen Roms lieferte, hat nun in seinem allwöchentlich in Hamburg erscheinenden Frontblatt des Atlantizismus kräftig nachgelegt. Dort intoniert er nämlich unter dem dramatischen Titel Fackel im Sturm das Hohelied des tibetischen Freiheitskampfes. Dies hört sich dann so an: “Der Widerstand gegen die chinesische Herrschaft zeigt etwas von der kulturübergreifenden, letztlich vorpolitischen, elementaren, fast kreatürlichen Stärke des Bedürfnisses nach Freiheit: dass Menschen sie tatsächlich, wie die Redensart sagt, brauchen wie die Luft zum Atmen.”

Stutzig machen muss indes das plötzliche Bemühen des Autors, jegliche, auch unterschwellige Einflussnahme des Westens, namentlich der USA, auf die tibetische Protestbewegung als völlig abwegig hinzustellen. Denn “die Sache der Freiheit hängt nicht von den Siegen Amerikas ab, und von den Niederlagen Amerikas wird sie nicht widerlegt. Die Mönche und die Straßendemonstranten in Lhasa würden sich auch dann unterdrückt fühlen, sie wären auch dann rebellisch, wenn George W. Bush gar nicht existieren würde … Der tibetische Protest mit seinen eigenen Wurzeln ist insofern das exakte Gegenteil des Irakkriegs, der auferlegten Befreiung und Demokratisierung von außen.”

Die Sowjets nach Afghanistan locken

Es markierte eine schlechterdings kopernikanische Wende der Weltpolitik, sollten die Amerikaner ausgerechnet diesmal nicht ihre Finger im Spiel haben, wo sie doch bislang noch jedes Mal, wenn es gegen kommunistische Diktatoren ging, die Fäden zogen. Und bekanntlich bestimmt ja noch immer die KP Chinas die Geschicke im Reich der Mitte. Welche geostrategische Bedeutung der aufstrebenden asiatischen Weltmacht des 21. Jahrhunderts aus amerikanischer Sicht beizumessen ist, hat bereits 1997 kein Geringerer als Zbigniew Brzezinski, seinerzeit nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten Carter und heutzutage einer der einflussreichsten Vordenker der so genannten “Strategic Community”, geklärt. Nach der in seinem Buch The Grand Chessboard vorgestellten Analyse verfolgt Peking ein zentrales Ziel, nämlich “Amerikas Macht in der Region so weit zu schwächen, dass ein geschwächtes Amerika ein regional beherrschendes China als Verbündeten und schließlich sogar eine Weltmacht China als Partner brauchen wird”.

Derselbe Brzezinski hatte unter absolut moralfreiem Machtkalkül den Krieg in Afghanistan vorangetrieben. Im Juli 1979 legte er seinem Präsidenten nahe, der Sowjetunion am Hindukusch ihr eigenes Vietnam zu bereiten, ihre militärischen Ressourcen in einem kostspieligen Guerillakrieg zu binden und darüber hinaus die südlichen Sowjetrepubliken zu destabilisieren, indem die dort ansässigen, mehrheitlich islamischen Völker zum Widerstand gegen das Moskauer Patronat aufgestachelt werden sollten. Tatsächlich gelang es den USA, die UdSSR zur Intervention in Afghanistan zu provozieren. Brzezinski gestand in einem 1998 geführten Interview: “Vor der Invasion erhielten die Mujaheddin von uns eine gewisse Unterstützung … Wir drängten die Russen nicht zur Invasion, aber wir erhöhten durch unser Vorgehen ganz bewusst die Wahrscheinlichkeit, dass sie so vorgehen würden.” Und weiter: “Dieses Geheimunternehmen war eine ausgezeichnete Idee. Auf diese Weise wurden die Russen in die afghanische Falle gelockt.”

Unwillkürlich drängt sich angesichts des eskalierenden Tibet-Konflikts die Frage auf, ob nunmehr auf ähnliche Weise China in die tibetische Falle gehen soll. Immerhin sind die USA lange geübt in der Tradition, ethnische Gemeinschaften oder religiöse Gruppen für machtpolitische Zwecken zu instrumentalisieren. Im Falle der ökonomischen Großmacht China, die mit ihren circa 1.500 Milliarden Dollar an Devisenreserven schon heute über ein enormes währungspolitisches Potenzial verfügt und sich künftig auch als militärische Supermacht etablieren könnte, sind verschärfte interne Konflikte in einem Vielvölkerstaat eine durchaus erfolgversprechende Option. Zumal Brzezinski explizit darauf verweist, dass Peking sorgfältig darauf bedacht sei, eine direkte Konfrontation mit den USA, die seinen ökonomischen Aufschwung beenden würde, zu vermeiden. Wenn die ausfällt, bleibt nur die Möglichkeit, dass sich die Chinesen an inneren Eruptionen aufreiben und schwächen.

Lamaistische Gotteskrieger

Ein Aufruhr unter dem Dach des Himmels bietet sich hierfür geradezu an, bildet Tibet doch den weichen Unterleib Chinas, ähnlich wie das im Kalten Krieg auf die islamischen Republiken der einstigen Sowjetunion zutraf. Was könnte näher liegen, als nach altbewährtem Muster eine mit der Zentralmacht verfeindete ethnisch-religiöse Gruppe zum Widerstand zu ermuntern? Ein möglicherweise langwieriger Bürger- oder Guerillakrieg im Westen des Landes würde nicht unerhebliche Ressourcen binden - was ein Guerillakrieg kosten kann, hat Joseph Stiglitz soeben für den Irak errechnet.Siehe Michael R. Krätke: Kriegskosten 6.000.000.000.000 . Zudem eignet sich der Tibet-Konflikt fabelhaft zur Feindbildpflege: Ein kommunistischer Goliath, der brutal gegen den friedliebenden David im tibetischen Mönchsgewand vorgeht.

Im Lichte einer solchen geopolitischen Option erscheint der Afghanistan-Konflikt in verändertem Licht. So ordnet Zbigniew Brzezinski Pakistan - es ist für die am Hindukusch operierenden USA und ihre Verbündeten als strategischer Partner unverzichtbar - einem “die Region beherrschenden Großchina” als Einflusssphäre zu. Bei einer potenziellen “Weltmacht Großchina” müsse sogar die Hälfte Afghanistans als Interessengebiet betrachtet werden. Angesichts dessen klingt es plötzlich sehr plausibel, wenn der CDU-Politiker Willy Wimmer berichtet, der afghanische Präsident Karsai hätte ihm gegenüber erwähnt, dass die Amerikaner vor drei Jahren Frieden in Afghanistan hätten haben können, aber dies nicht wollten. Und auch die Erklärung britischer Militärs, man gedenke noch für die nächsten 40 Jahre am Hindukusch zu bleiben, ergibt dann durchaus Sinn.

Ein Blick auf die Karte Afghanistans lässt den Blick auf das Panjir-Tal nordöstlich von Kabul und weiter auf den südlich des Amu Darya verlaufenden Wakhan-Korridor fallen, der im äußersten Nordosten des Landes praktischerweise an China grenzt. Über diese Route ließe sich ein künftiger antikommunistischer Guerillakrieg lamaistischer Gotteskrieger in Tibet logistisch unterstützen. Bewerkstelligen kann dies freilich nur, wer in Afghanistan über Garnisonen und Basen verfügt.

Um hier kein Missverständnis aufkeimen zu lassen: Dies ist kein Plädoyer zugunsten der Unterdrückung des tibetischen Volkes durch China, sondern vielmehr ein Plädoyer gegen den Missbrauch legitimer Freiheitsbestrebungen für imperiale Interessen im gegenwärtigen Globalisierungskrieg.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr und aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, dass er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen vertritt.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   15 vom 11.04.2008. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Rose und des Verlags.

Fußnoten

Veröffentlicht am

15. April 2008

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