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Bürgerrechte, die man nicht in Anspruch nimmt, gehen verloren

Wolfgang Sternstein - Referat bei einem Pax Christi-Treffen am 23.2.2008 in Stuttgart-Hohenheim

Zunächst ein paar allgemeine Bemerkungen zu Situation in Deutschland.

Satz 1: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein souveräner Staat.

Satz 2: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein von den USA besetztes Land.

Das klingt wie ein vollendeter Widerspruch. Es gibt aber eine Auflösung dieses Widerspruches und die lautet:

Satz 3: Die Bunderepublik ist ein freiwillig besetztes Land, denn sie stimmt ihrer Besetzung durch die USA zu.

Man kann dieses Verhältnis auch als freiwillige Knechtschaft beschreiben. Völkerrechtlich und staatsrechtlich gibt es dafür meines Wissens keinen Begriff, es sei denn der Begriff “Bündnis” (NATO) wird mit diesem Hintersinn versehen.

Das hat natürlich mit unserer Vergangenheit zu tun, mit der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten als Folge des Zweiten Weltkriegs. In den ersten Jahren der Nachkriegszeit besaß Deutschland nur eine eingeschränkte Souveränität. Die letzten Vorbehaltsrechte der Alliierten wurden erst mit dem 2+4-Vertrag bei der Wiedervereinigung abgelöst.

Es hat auch damit zu tun, dass die BRD Frontstaat im Kalten Krieg war und unter dem Schirm der nuklearen Abschreckung der Westmächte Zuflucht suchte vor den bösen und aggressiven Sowjets.

Die Bundesrepublik war zur Zeit des Kalten Krieges eine riesige Militärbasis der USA in Europa, gewissermaßen ein unsinkbarer Flugzeugträger und potenzieller Kriegsschauplatz im Fall eines Ost-West-Konflikts.

Heute ist die unmittelbare Kriegsgefahr zwar gebannt, Deutschland ist aber immer noch eine riesige Militärbasis und Drehscheibe für Militäreinsätze der USA in Europa, Afrika und großen Teilen Asiens (z.B Russland) undTeilen des Nahen Ostens.

Zur Zeit des Kalten Krieges waren auf deutschem Boden etwa 7000 Atomsprengköpfe stationiert, 100.000 US-Soldaten in etwa 300 U.S.-Militäreinrichtungen.

Heute sind die Atomwaffen weitgehend abgezogen (angeblich bis auf die 20 Atombomben in Büchel, die im Kriegsfall von deutschen Tornadopiloten ins Ziel geflogen werden sollen), es gibt in Deutschland aber immer noch 71.000 US Soldaten und über 100 Militäreinrichtungen der USA. Auch die Atomwaffen können jederzeit wieder nach Deutschland zurückverlegt werden.

Um nur die wichtigsten Stützpunkte zu nennen: Die Flugplätze Ramstein und Spangdalem in Rheinland-Pfalz, die Rhein-Main Airbase in Hessen, das US-Hauptquartier in Heidelberg, die Truppenübungsplätze Hohenfels und Grafenwöhr in Bayern (in der Nähe von Ansbach wird gerade ein riesiger Hubschrauberstützpunkt aufgebaut).

Und natürlich das EUCOM in den Patch Barracks bei Stuttgart-Vaihingen und neuerdings das AFRICOM in den Kelley Barracks bei Stuttgart-Möhringen.

Diese Einrichtungen unterstehen ausschließlich dem Befehl des Pentagon und des Präsidenten der Vereinigten Staaten, sind also nicht in die Nato integriert.

Deutschland ist somit als Unterstützer an sämtlichen Militäroperationen der US-Streitkräfte in diesem Teil der Welt beteiligt. Es ist völkerrechtlich, politisch und moralisch für sie mitverantwortlich. (Krieg gegen Serbien 1999, Kriege in Afghanistan und Irak, Aufmarsch gegen den Iran, Krieg gegen den Terrorismus, verdeckte Militäroperationen usw.)

So gilt nach Art. 3 der UN-Aggressionsresolution als Angriffshandlung, wenn ein Staat es zulässt, “dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem dazu benutzt wird, Angriffshandlungen gegen einen dritten Staat zu begehen”.

Das AFRICOM

Nun zum AFRICOM. Es wurde von Präsident Bush am 6. Februar 2007 eingerichtet, Ende Oktober dieses Jahres soll es voll einsatzfähig sein. Sein vorläufiger Standort sind die Kelley Barracks, später soll es nach Afrika verlegt werden. Dort regt sich jedoch massiver Widerstand. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass es in Deutschland bleibt.

Der Einrichtung des AFRICOM ging ein zehnjähriger “Denkprozess” innerhalb des amerikanischen Verteidigungsministeriums voraus. Bereits 2001 müssen die Pläne bereits fertig in der Schublade gelegen haben, wie man aus der “Allgmeinverfügung” des Amtes für öffentliche Ordnung von Stuttgart ersehen kann, auf die ich noch zu sprechen komme.

Laut neuestem Interview von Präsident Bush vom 20. Februar streben die USA nicht die Einrichtung von Militärbasen in Afrika an. Sie wollen vielmehr ein Netz von “Verwaltungsämtern” (administrative offices) einrichten. Das ist ein euphemistischer Begriff für Stützpunkte einer schnellen Eingreiftruppe.

Afrika ist aufgrund seiner reichen Bodenschätze in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem Objekt der Begierde geworden. Das gilt namentlich für China und die USA, die schon heute in einen erbitterten Kampf um Einflusssphären in diesem riesigen Kontinent verwickelt sind. Doch auch Frankreich als alte Kolonialmacht in Afrika mischt da mit.

Die USA verfolgen dabei eine umfassende Strategie, sozusagen eine “Paketlösung”.

Auf dem Paket drauf steht:

  • Humanitäre Hilfe gegen Krankheiten wie AIDS und Malaria, Gesundheitsfürsorge usw.
  • Hilfe zur Überwindung von Hunger und Analphabetismus
  • Hilfe für die wirtschaftliche Entwicklung
  • Hilfe beim Aufbau staatlicher Strukturen und Institutionen (Polizei, Verwaltung, Militär)

In dem Paket drin ist aber hauptsächlich:

  • Eine möglichst effektive Kontrolle des gesamten Kontinents durch wirtschaftliche, politische und militärische Präsenz in Zusammenarbeit mit Deutschland und anderen Staaten. (Die USA beziehen heute bereits 15 % ihrer Ölimporte aus Westafrika. Im Jahre 2015 werden es schätzungsweise 25 % sein. Dadurch wollen sich die USA möglichst unabhängig von der Krisenregion am persischen Golf machen.)
  • Es geht aber auch um Erzvorkommen (Coltan, Gold, Diamanten, Uran usw.) und Agrarerzeugnisse.
  • Konkurrenten, insbesondere China, sollen ferngehalten werden.

Der erhellende Begriff für die Weltpolitik der vergangenen und kommenden Jahre lautet: Neoimperialismus. Der Neoimperialismus unterscheidet sich vom Imperialismus des 19. Jahrhunderts vornehmlich durch Formen der indirekten Herrschaft. Statt Kolonien zu gründen werden einheimische Regierungen “unterstützt”, die das Geschäft der Ausbeutung der Ressourcen betreiben und oppositionelle Kräfte unterdrücken.

Der weltweite Kampf um die zur Neige gehenden Ressourcen der Erde ist bereits in vollem Gange und wird die Weltpolitk in Zukunft in wachsendem Maße bestimmen.

Deutschland ist als Juniorpartner der USA in diesen Kampf heute schon fest eingebunden. Die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen (Atomkrieg inklusive) wächst damit von Tag zu Tag.

Soviel zum AFRICOM. Nun noch ein paar Bemerkungen zu dem, was an Protest- und Widerstandsaktionen am EUCOM in den vergangenen Jahren gelaufen ist.

Protest- und Widerstandsaktionen am EUCOM

Pax Christi ist kein Bildungsverein, sondern eine kirchliche Friedensorganisation. Für Pax Christi ist die Frage von besonderem Interesse: Was können wir angesichts dieser bedrohlichen Entwicklung tun?

Rückblick auf die Zeit der Auseinandersetzung um die Nachrüstung. Am EUCOM ist seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Menge gelaufen:

  • Gottesdienste am Haupttor
  • Mahnwachen
  • Flugblattaktionen zur Aufklärung der Stuttgarter Bevölkerung
  • Protestversammlungen
  • Eine Menschenkette ums EUCOM mit ca 6000 Teilnehmern am 29.3.2003
  • Diverse Blockaden der Zufahrtsstraße zum EUCOM in den achtziger und neuziger Jahren
  • Insgesamt neun Entzäunungsaktionen, Gerichtsprozesse, Geld- und Haftstrafen Nachzulesen sind diese Aktionen in: Wolfgang Sternstein: Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit. Autobiografie. Norderstedt 2005. (siehe Rezension ) und in der Dokumentation Die EUCOmunity. Initiative für eine atomwaffenfreie Welt. Stuttgart 1997.- siehe Literatur bei UWI e.V. .

Seit dem 11. September ist das EUCOM ein hochsensibler Punkt. Es besteht angeblich und vielleicht auch tatsächlich eine erhöhte Terrorismusgefahr. Die Aktion vom 9.8.2005 (drei Friedensaktivisten spazierten mit einem Transparent durch das EUCOM-Gelände, ohne aufgehalten zu werden) beweist aber das Gegenteil. Es handelte sich um die 9. Entzäunungsaktion. Ein einzelner Terrorist oder eine Gruppe von Terroristen hätte ohne Schwierigkeiten bis zum Hauptquqartier vordringen und dort ein Blutbad anrichten können.

Seither sind die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden. EUCOM und sicherlich auch ARFICOM werden zu Festungen ausgebaut.

Im Oktober 2001 (kurz nach dem 11. September) erließ das Amt für öffentliche Ordnung der Stadt Stuttgart eine Allgemeinverfügung für die Patch und die Kelley Barracks, die den Sicherheitsbereich dieser Militäreinrichtungen praktisch ums Doppelte erweiterte. Die Verfügung wurde mit der gewachsenen Terrorismusgefahr begründet.

Der wahre Grund dürfte jedoch ein anderer gewesen sein. Die Amerikaner fühlten sich durch die Anwesenheit der Demonstranten offensichtlich genervt. Zumindest haben sie die Gelegenheit genutzt, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Die Sicherheit des EUCOM zu erhöhen und sich die lästigen Demonstranten vom Hals zu schaffen.

Damit besteht ein praktisches Demonstrationsverbot am EUCOM.

Bürgerrechte, die man nicht in Anspruch nimmt und, wenn es nicht anders geht, auch einklagt, gehen verloren.

Wir lassen uns jedoch nicht entmutigen. Es ist eine Flugblattaktion geplant zum Hiroshimatag, bei der die amerikanischen Soldaten des EUCOM aufgefordert werden sollen, ihre Mitarbeit an völkerrechtswidrigen Militäreinsätzen (Atomkriegsvorbereitungen, Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen, Transport von Häftlingen nach Guantanmo usw.) zu verweigern. Gibt es hierzu ein Aktionsbündnis aus ORL, GAAA, EUCOMmunity, DFG-VK, Pax Christi?

Fußnoten

Veröffentlicht am

08. April 2008

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