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Merkel verurteilt Qassams, ignoriert aber Israels Aktionen

Tom Segev, Haaretz, 19.03.2008

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier verließ Israel nur Stunden bevor die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstagnachmittag zum Rednerpult in der Knesset schritt. Die Deutschen haben sorgfältig berechnet, dass das Gefolge von Ministern, die Frau Merkel begleiteten, sie als zu gebieterisch erscheinen lässt, als ob sie eine Herrscherin wäre, die von ihren Untertanen umgeben ist.

Tatsächlich war das etwas Gebieterisches mit der Teilnahme so vieler Minister in Merkels Delegation. Die Deutschen hatten schon gemeinsame Regierungssitzungen mit anderen Regierungen durchgeführt, wie Frankreich und Polen. Keine ausländische Regierung hat seit dem britischen Mandat aber je eine Sitzung in Jerusalem abgehalten.

Vor ihrer Ankunft hatte sich Merkel darum bemüht, mit dem Präsidenten der palästinensischen Behörde Mahmoud Abbas und dem palästinensischen Ministerpräsidenten Salam Fayyad zu telefonieren. Aber ihre gemeinsame Sitzung mit Olmerts Regierung war eine Show einer völlig eindeutigen Unterstützung seiner Politik. Wenn Israels Existenz bedroht ist. dann wäre es so, als wäre Deutschland bedroht, sagte Merkel während ihres Besuches. Nicht einmal US-Politiker haben solch eine Bemerkung gemacht.

Während ihrer Knessetrede sprach Merkel ausführlich über den Holocaust und die Freundschaft ihres Landes mit Israel. Das waren herzerfreuende, doch voraussagbare Bemerkungen. Es wird oft gesagt, dass diese beiden Länder eine besondere Beziehung zueinander haben. Solch eine Bemerkung bezog sich bis jetzt immer auf den Holocaust, der immer sehr bedrohlich im Hintergrund stand; heute betrifft es auch die Verbundenheit beider Länder auf fast jedem Gebiet, einschließlich der Sicherheit, kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen. Man kann sich Israels kulturelle Szene ohne die von Deutschland investierten Millionen gar nicht vorstellen.

Knessetmitglied Avishai Braverman (Labor), der frühere Präsident der Ben-Gurion-Universität im Negev, sagte am Dienstag, dass Deutschland seinem Institut mehr geholfen habe als die israelische Regierung.

Wenn man dies weiß, scheint es seltsam, dass die beiden Länder während Merkels Aufenthalt kein kulturelles Abkommen unterzeichnet haben, doch dies wurde nicht aus emotionalen Gründen verhindert, sondern aus vollkommen gewöhnlichen Gründen: Die Deutschen hatten um eine Steuerpause gebeten, was Israel zurückwies.

Jemand dem nicht klar ist, wo Merkel sprach (Jerusalem), dem wird auch nicht bekannt sein, dass es eine Stadt ist, in der ein Drittel der Bevölkerung seit 40 Jahren unter Besatzung lebt, eine von einer Mauer geteilte Stadt, eine Mauer, die an die Berliner Mauer erinnert. Merkel sprach von der Notwendigkeit von “schmerzvollen Konzessionen” beider Seiten im Namen des Friedens. Olmert benützte diesen Terminus auch.

Sie beschrieb zu recht den Qassam-Beschuss von Sderot als ein Verbrechen - aber sie sagte kein Wort über die wiederholten Menschenrechtsverletzungen auf der Westbank, über die Bombardements von Wohngebieten im Gazastreifen oder über die Siedlungen. Olmert wurde genau in dem Augenblick fotografiert, als er Merkel erzählte, dass alle Bauarbeiter, die vor seiner Residenz ein Haus bauten, Araber seien - die Kanzlerin nickte dazu.

Wäre sie mit ihren Äußerungen ausgewogener gewesen, hätte sie das Leben in Israel und in den besetzten Gebieten weniger unerträglich machen können. Vielleicht beging sie einen Irrtum. So oder so ist ihre uneingeschränkte Unterstützung der israelischen Politik eine Folge ihrer Biographie. Wie sie am Dienstag sagte, kommt sie aus Ostdeutschland (DDR), das seinen Teil an den Naziverbrechen geleugnet hat und so handelte, als ob diese die Schuld von Westdeutschland allein wäre.

Nach der Vereinigung Deutschlands entdeckte Merkel, dass die moralische und politische Verantwortung für den Genozid am jüdischen Volk auf allen Deutschen liegt. Die meisten Westdeutschen hatten sich schon an diese Erkenntnis gewöhnt. Einer von denen, der sie besser kennt, hat ihren Standpunkt zu Israel mit einem Konvertiten verglichen, der den neuen Glauben hundertfünfzigprozentig lebt und glaubt. So oder so stellt Merkels Standpunkt nicht den der deutschen oder israelischen Öffentlichkeit dar.

Deutsche Übersetzung: Ellen Rohlfs

Veröffentlicht am

25. März 2008

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