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In Erinnerung an Rachel Corrie - zum 5. Todestag einer Friedensaktivistin

Mona

Heute ist der 16. März. Vor genau fünf Jahren bin ich mit einer Gruppe Freiwilliger des International Solidarity Movement (ISM), einer Bewegung die den gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung unterstützt, in einem kleinen Dorf in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes gewesen. Wir waren in das Dorf gereist, weil israelische Panzer eingefallen waren, und wollten zumindest als Zeugen des Geschehens fungieren. Als wir ankamen, waren sie jedoch bereits abgezogen. Stattdessen wanderten wir durch die Olivenhaine, welche von Veilchen und Buschwindröschen übersät waren, und aßen gegrilltes Lammfleisch im Hof eines antiken Steinhauses mit gewölbten Dächern und bogenförmigen Eingangstoren. Es war ein seltsamer, idyllischer Tag. Bis zu dem Zeitpunkt, als wir gerade auf dem Rückweg nach Nablus waren und einen Anruf entgegen nahmen.

Unten in Rafah im Gazastreifen war eine junge ISM-Aktivistin namens Rachel Corrie von einem israelischen Militärbulldozer zu Tode gequetscht worden, als sie den Versuch unternahm, die Zerstörung des Hauses einer palästinensischen Familie zu verhindern.

Am heutigen Tag sitze ich in einem Zimmer in Washington D.C., vom Kummer überwältigt, während meine Freundin Laurie im Nebenzimmer Karten, Stapel um Stapel, mit den Namen der Toten - amerikanischer Soldaten und irakischer Zivilisten schreibt.

Ich trauere um all die Toten, und ein bisschen auch um mich selbst, weil ich in diesem Moment eigentlich in Palästina sein sollte, oder zumindest in Israel. Jedoch wurde mir die Einreise verweigert, und ich wurde wieder nach Hause geschickt, weil ich in der Vergangenheit mit ISM gearbeitet hatte.

Mir wurde die Einreise verweigert, trotz der Tatsache dass ich diesmal meine Reise mit dem Vorhaben antrat, mit Gruppen im Bereich der Permakultur und Ökologie zu arbeiten. Die drei formellen Einladungen israelischer Gruppen, und auch die Tatsache dass ich Jüdin bin, wo Israel doch behauptet eine letzte Zuflucht für jeden gebürtigen Juden zu sein, haben nichts genützt. Die Tatsache dass ich nun hier bin, und nicht dort, zeugt für den Ausmaß, in dem die israelischen Autoritäten die gewaltfreie Bewegung im Allgemeinen, und ganz spezifisch ISM fürchten.

Weshalb ist Gewaltfreiheit so furchterregend? Gewalt greift den Körper an, doch Gewaltlosigkeit bedroht etwas Tieferes und Angreifbares - die Selbstwahrnehmung und Rationalisierung, die eigentlich gute Menschen in einer grausamen, herzlosen Weise agieren lassen. Der israelisch-palästinensische Konflikt setzt in großem Maßstab Dynamiken frei, wie sie bei Fällen von Misshandlung innerhalb von Familien zu finden sind. Israel ist wie das misshandelte Kind, das aufwächst, und selbst ein Gewalttäter wird.

Solche Gewalttäter fühlen sich generell als Opfer, und tatsächlich sind ja die Juden immer wieder in der Geschichte Opfer gewesen, in den noch nicht verheilten Wunden des Holocaust gipfelnd. Jeder Raketenangriff, jede Schießorgie in einer Jeshivah, jeder Selbstmordanschlag auf einen Bus verstärken das Gefühl von Angst und Verfolgung, was wiederum nach Gegengewalt zu schreien scheint.

Einst besuchte ich in Deutschland eine Ausstellung über die Propaganda während des Holocaust. Eine der Karikaturen schien die Dynamiken des gegenwärtigen Konflikts zu beleuchten: ein kräftiger, blonder, muskelbepackter Bodybuilder von einem Deutschen prügelte auf einen schwachen, gebrechlichen Juden mit Stirnlocken ein. Israel wurde von einer Generation gegründet die sich schwor: "Niemals wieder werden wir diejenigen sein, die gebrochen und geprügelt werden."

Stattdessen hat Israel sechzig Jahren auf dem Nautilus damit zugebracht, ihren militärischen Muskel aufzubauen. Doch irgendwo in der Tiefe existiert noch immer die Vorstellung, dass Israel winzig, fragil und schwach ist, und jeder der es angreift ist der Gigant mit einem Schlagstock. Und so wird das Leiden der Palästinenser, die reale Disparität der Macht unsichtbar.

Gewaltfreiheit dramatisiert und macht die wirklichen Machtunterschiede sichtbar. Woche für Woche begeben sich unbewaffnete Palästinenser zusammen mit ihren Unterstützern zur Mauer, um sich Tränengas, "Gummigeschossen", Schlagstöcken und manchmal auch scharfer Munition zu stellen. Frauen sitzen vor Bulldozern, Kinder verlassen die Schule, um von Soldaten konfrontiert zu werden.

Gewaltfreiheit vermenschlicht den Feind. Wenn Palästinenser als "Tiere", voll von blindem, irrationalem, unangebrachtem Hass gesehen werden, so ist es einfach, ihnen Hass entgegen zu bringen und jedes System der Kontrolle, jeden Einmarsch zu rechtfertigen. Doch die Gewaltlosigkeit gibt dem Feind ein Gesicht. Darüber hinaus finden sich bei den Demonstrationen gegen die Mauer und den Friedenslagern in den Dörfern häufig israelische Friedensgruppen an der Seite der Palästinenser, was den Mythos, dass Israelis und Palästinenser niemals miteinander auskommen können, nicht gemeinsam für eine gemeinsame Sache einstehen können, erschüttert.

Missbrauch wird durch Verborgenheit und Schweigen aufrecht gehalten. ISM und andere Friedensgruppen wie Women`s International Peace Service (IWPS) und Christian Peacemaker Teams (CPT) haben Tausende von Zeugen an Orte gebracht, die für die Augen Außenstehender nicht bestimmt sind: in belagerte Flüchtlingslager, in Dörfer, Strassen, Checkpoints und die tägliche, entmenschlichende Schinderei des Lebens unter Besatzung. Sie sind Zeugen, sie schreiben, sie machen Fotographien und Videos, und sie gehen wieder nach Hause und sprechen mit den Menschen darüber. Sie gehen dorthin, wo die Mainstream-Medien nicht willens sind sich hinzubegeben und erzählen die Geschichten, die nicht erzählt werden.

Und besonders ISM hat Helden und Märtyrer. Während meiner Arbeit mit ISM hatte ich die Ehre Menschen atemberaubenden Mutes kennenzulernen - zu denen ich mich selbst nicht zähle. Mein eigener Mut hält sich in Grenzen. Yeah, ich stelle mich vor einen Panzer, aber zuletzt, wenn er nicht anhält, mache ich doch den Weg frei. Ich habe eine junge Frau gekannt, die auf die Artillerie zumarschiert wäre, und ihre Hand auf den Gewehrlauf gelegt hätte. Rachel und ihre Mannschaft standen vor palästinensischen Brunnen, Tag für Tag, in Schussweite israelischer Scharfschützentürme. Tom Hurndall rannte durch einen Kugelhagel, um Kinder vor dem Scharfschützenfeuer zu retten. Dabei wurde er selbst zum Ziel und wurde ermordet. Es gibt allzu viele andere.

Ich fühle mich irgendwie überbewertet, zu ihnen gezählt zu werden. Mein Vorhaben war, wie bereits erwähnt, diesmal ein anderes. Ich hatte gehofft, mit dem Land zu arbeiten, einige der mir bekannten Techniken biologischer Sanierung zu lehren und von den vielen wundervollen Gruppen dort zu lernen. Ich verspüre unendlichen Kummer darüber, dass ich diese Arbeit nicht machen kann. Doch wenn dies der Preis ist, den ich für meinen Einsatz für Gerechtigkeit und Gewaltfreiheit zu zahlen habe, dann bin ich bereit ihn zu zahlen. Es ist ein geringer Preis, ein winziges Opfer verglichen mit denen, wie Rachel, die ihre Leben gegeben haben. 

Quelle: International Solidarity Movement Germany   - 17.03.2008.


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Veröffentlicht am

18. März 2008

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