Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Rachel Corrie

Rachel Corrie und Peter Bohmer, 17.03.2003 - ZNet

Die amerikanische Friedensaktivistin Rachel Corrie wurde am Samstag in Gaza, bei einer friedlichen Blockadeaktion, getötet. Wie Augenzeugen berichteten, stellte sich die 23-jährige Demonstrantin einem israelischen Bulldozer entgegen, der ein Haus im palästinensischen Flüchtlingslager Rafah einreißen sollte. Sie sei überfahren worden und später im Krankenhaus Nadschar ihren Verletzungen erlegen, sagte der Arzt Ali Mussa. Die israelische Armee sprach von einem Unfall.

Rachel Corrie ist das erste Mitglied der Internationalen Solidaritätsgruppen im Westjordanland und Gazastreifen, das bei einem israelischen Einsatz ums Leben kam. Die Gruppen versuchen, als “menschliche Schutzschilde” Zerstörungen in palästinensischen Gebieten zu verhindern. Israel will damit Vergeltung für palästinensische Selbstmordangriffe üben. Ein Mitglied der Gruppe, Greg Schnabel aus Chicago, sagte, der Bulldozer habe die Studentin aus dem US-Staat Washington nicht beachtet und sei einmal komplett über sie gefahren. Dann sei er zurückgestoßen und habe Corrie noch einmal überrollt.


In Memoriam:

Rachel Corrie war ein unglaublich guter Mensch. Ihr Tod vor wenigen Stunden macht mich unendlich traurig und betroffen. Rachel Corrie wurde am 16. März 2003 durch einen Bulldozer der Israelischen Armee getötet. Der Bulldozer überfuhr Rachel, als sie gegen die Zerstörung von palästinensischen Häusern im Gazastreifen demonstrierte.

Rachel Corrie wuchs in Olympia/Washington auf. Ich sah sie zum erstenmal, als sie Schülerin im Wahlfachprogramm der Lincoln-Schule war - 1989. In den letzten beiden Jahren haben wir viel miteinander geredet. Rachel war sanft und engagiert. Unterdrückung, egal wo, machte sie rasend. Sie war aktiv in der Bewegung für soziale Gerechtigkeit und Frieden. Rachel war sehr bescheiden und verantwortungsbewusst. Sie war die Seele der ‘Bewegung für Frieden und Gerechtigkeit’ hier in Olympia. Zur Gruppe war Rachel über ihre Studien (‘Local Knowledge’-Programm bei Anne Fischel u. Lin Nelson) gekommen. Rachel engagierte sich sehr aktiv gegen den US-“Krieg gegen den Terror” u. gegen US-Militarismus. Ich erinnere mich an ein Projekt, in dem sie mit Leib und Seele aufging: die Aktion in Percival Landing zum Jahrestag der Anschläge - am 11. September 2002. Dabei ging es gegen den Krieg in Afghanistan und die Repression im eigenen Land. Auch viele Grundschul-Kinder waren damals, dank Rachels Engagement, beteiligt. Heute (Sonntag, den 16. März um 19 Uhr) werden wir auf Percival Landing eine Gedenkwache abhalten. Wir halten sie einerseits im Angesicht des drohenden Irak-Kriegs und andererseits aus Trauer u. Hochachtung für Rachel. Beide Anliegen passen gut zusammen, finden wir.

Rachel war eine sehr rationale junge Frau. Sie dachte viel über Strategien nach - wie kann man die verschiedenen Gerechtigkeits-Organisationen vernetzen - zum Beispiel die Arbeiterbewegung mit der Friedensbewegung? Rachel arbeitete als Freiwillige am ‘Evergreen Labor Center’, organsierte dort maßgeblich eine Konferenz zum Thema ‘Networking’ u. ‘Strategien für Frieden und Gerechtigkeit’. Das war im Frühjahr 2002. Und immer war ihr wichtig, die Gemeinde Olympia miteinzubeziehen: Menschen, die nicht viel wussten über ‘Evergreen’ oder die Antikriegs-Bewegung oder über unsere Gruppen zum Thema Ökonomie oder ‘Soziale-Gerechtigkeit’. Neben ihrem Studium arbeitete Rachel in einer lokalen Einrichtung für Psychischkranke (BHR).

Gerechtigkeit für das palästinensische Volk - eines von vielen Themen, für die Rachels Herz schlug. Sie war eine entschiedene Gegnerin der israelischen Okkupation. Fühlen war für Rachel gleichbedeutend mit handeln. Sie hatte in ‘Evergreen’ Arabisch studiert. Also beschloss sie über den Winter ins okkupierte Palästina, nach Gaza, zu reisen. Ihre Motivation unter anderem: Es könnte sehr wichtig sein, dass internationale Beobachter dort sind. Rachel hatte erkannt, falls die USA den Irak angreifen, bombardieren, besetzen, nimmt die israelische Aggression vermutlich noch weiter zu. Dass es gefährlich sein würde in Gaza, war Rachel voll bewußt. Um den 20. Januar ist Rachel von hier, von Olympia, abgereist. Sie reiste zunächst in die Westbank, dann nach Gaza. Dort beteiligte sie sich mit Leib und Seele an Menschenrechts-Aktionen u. praktizierte Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Zum Frühjahr wollte sie wiederkommen, zurück ans ‘Evergreen’. Rachel Corrie wird nie mehr wiederkommen. Nehmen wir uns also einen Moment Zeit und überlegen uns, was wir in ihrem Namen, als ihr Vermächtnis, tun können für ein wenig mehr Frieden, Gerechtigkeit u. Gleichheit, nicht nur im Nahen Osten sondern überall auf der Welt, auch in den USA.

PETER BOHMER



Auszüge aus einer Mail von Rachel am 7. Februar 2003:

Ich bin jetzt 14 Tage und eine Stunde in Palästina und ich habe noch immer wenig Worte, um das zu beschreiben, was ich sehe. Es ist sehr schwierig für mich, darüber nachzudenken, was hier abläuft, wenn ich einen Brief in die USA schreibe…. Ich weiß nicht, ob viele Kinder hier jemals ohne Raketen-Löcher in den Wänden ihrer Wohnungen gelebt haben und ohne Türme einer Besatzungsarmee, die sie ständig aus nächster Nähe beobachtet. Ich denke, bin mir aber nicht ganz sicher, dass selbst die kleinsten Kinder begreifen, dass das Leben nicht überall so ist. Vor zwei Tagen wurde ein Achtjähriger von einem israelischen Panzer angeschossen und getötet und viele flüstern mir gegenüber seinen Namen “Ali” oder zeigen auf das Poster von ihm an den Wänden. Die Kinder lassen mich auch gern meine sehr begrenzten arabischen Sprachkenntnisse ausprobieren und fragen mich: “Kaif Sharon? Kaif Bush?” Und sie lachen, wenn ich als Antwort sage: “Bush Majnoon!” “Sharon Majnoon!” (Wie ist Sharon? Wie ist Bush?” “Bush ist verrückt!” “Sharon ist verrückt!” Natürlich ist das nicht ganz, was ich glaube und einige der Erwachsenen, die englisch können, korrigieren mich: “Bush mish Majnoon! Bush ist ein Geschäftsmann”. Heute versuchte ich auf arabisch zu sagen: “Bush ist ein Werkzeug”- aber ich glaube, ich habe es nicht richtig übersetzt. Aber auf jeden Fall gibt es hier Achtjährige, die mehr davon verstehen, wie globale Machtstrukturen arbeiten, als ich vor wenigen Jahren, zumindest was Israel betrifft. Trotzdem denke ich über die Tatsache nach, dass egal wie viel man liest, auf Konferenzen hört, Dokumente studiert und mündlichen Zeugen lauscht, mich nichts auf die Realität der Situation hier vorbereiten konnte. Ihr könnt es euch nicht vorstellen, wenn Ihr es nicht selbst seht - und selbst dann , ist man sich ständig bewusst, dass die eigene Erfahrung ganz und gar nicht die Realität ist. Welche Schwierigkeiten die israelische Armee wohl hätte, wenn sie auf einen unbewaffneten US-Bürger geschossen hätte? Und die Tatsache, dass ich Geld habe, um Wasser zu kaufen, wenn die Armee die Quellen zerstört und natürlich die Tatsache, dass ich jederzeit die Möglichkeit habe, das Land zu verlassen. Keiner in meiner Familie wurde erschossen, keiner im Wagen fahrend von einer Granate getroffen, die von einem der Türme am Ende einer Hauptstraße in meiner Heimatstadt abgeschossen wurde. Ich habe ein Zuhause. Mir ist es erlaubt, das Meer zu sehen. Noch ist es für mich sehr schwierig, mir vorzustellen, dass man monate- oder jahrelang ohne Gerichtsverhandlung gefangen gehalten werden kann (und dies nur weil ich eine weiße US-Bürgerin bin im Gegensatz zu vielen anderen) Wenn ich zur Schule oder zur Arbeit gehe, kann ich ziemlich sicher sein, dass es da keinen schwer bewaffneten Soldaten gibt, der auf halben Weg von Mud Bay zur Innenstadt von Olympia an einem Checkpoint auf mich wartet - mit der Entscheidungsgewalt, ob ich meinem Beruf nachgehen kann und dann wieder nach Hause, wenn ich fertig bin. Wenn ich mich bei der Ankunft dabei grob verletzt fühle und kurz und nicht vollkommen in die Welt dieser Kinder eintrete, dann frage ich mich, wie es sein würde, wenn sie in meine Welt eintauchen würden.

Sie wissen, dass Kindern in den USA die Eltern gewöhnlicherweise nicht erschossen werden, und sie wissen, dass die Kinder dort immer wieder mal das Meer sehen können. Aber wenn du einmal das Meer gesehen hast und an einem stillen Ort lebst, wo Wasser selbstverständlich ist und nicht übernacht von Bulldozern gestohlen wird, und wenn du mal einen Abend verbracht und dich nicht dabei gewundert hast, dass die Wand deines Heimes nicht plötzlich nach innen fällt und dich vom Schlaf aufschreckt. Und wenn du einmal auf Leute triffst, die niemals jemanden verloren haben, und wenn du einmal die Erfahrung der Realität einer Welt gemacht hast, die nicht umgeben ist von mörderischen Türmen, Panzern, von Waffen strotzender “Siedlungen” und nun von einer riesigen Metallwand, dann frage ich mich, ob du der Welt für all die Jahre deiner Kindheit vergeben kannst, die du im Widerstand lebtest, nur lebtest,—im Widerstand lebtest gegen die ständige Strangulierung durch die militärisch viert stärkste Macht der Welt., die auch noch von der einzigen Weltmacht unterstützt wird - im Widerstand lebtest gegen den Versuch, dich und dein Haus auszulöschen. Das ist es, was ich von diesen Kindern wissen will. Ich frage mich, was würde geschehen, wenn ihnen das alles ganz bewusst wäre.

Ãœbrigens - nach all den offenen Fragen und Gedanken - bin ich in Rafah, einer Stadt von etwa 140 000 Bewohnern, von denen etwa 60 % Flüchtlinge sind, viele zum zweiten oder dritten Mal Flüchtlinge. Rafa existierte schon vor 1948, aber die meisten Leute hier sind selbst Flüchtlinge oder Abkommen von solchen, die früher im historischen Palästina - jetzt Israel lebten. Rafah wurde geteilt, als der Sinai an Ägypten zurückgegeben wurde. Im Augenblick bauen die Israelis eine 14 Meter hohe Mauer zwischen Rafah in Palästina und der Grenze und schaffen zwischen den Häusern und der Grenze Niemandsland. 602 Häuser sind - nach dem Rafah-Flüchtlingskomiteee - schon vollständig zerstört worden. Die Zahl der Häuser, die teilweise zerstört wurden, ist viel größer. Als ich heute über die Schutthügel lief, wo einmal Häuser standen, riefen mir ägyptische Soldaten von der andern Seite zu: “Mach dass du wegkommst!” denn ein Panzer rollte heran. Sie winkten mir dann noch zu und riefen “What’s your name?” (Wie heißt du?) Diese freundliche Neugierde hat etwas Beunruhigendes an sich. Es erinnerte mich daran, dass wir bis zu einem gewissen Grad alle gegenüber andern Kindern neugierige Kinder sind. Ägyptische “Kinder” rufen einer Ausländerin zu, dass sie auf der Spur eines Panzers läuft. Palästinensische Kinder werden beschossen, sobald sie neugierig um Mauerecken schauen, um zu erfahren, was dort los ist. Internationale “Kinder” stehen mit Postern vor den Panzern. Israelische “Kinder” in den Panzern schreien gelegentlich - und manchmal winken sie sogar - viele sind gezwungenermaßen hier - viele nur eben aggressiv und schießen in die Häuser, während wir weggehen. Zusätzlich zu der ständigen Gegenwart der Panzer an der Grenze entlang und im westlichen Gebiet zwischen Rafah und den (isr.)Siedlungen an der Küste, gibt es so viele israelische Militär-Türme, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann, am Horizont entlang, am Ende jeder Straße. Manche nur gerade aus militärgrünem Metall. Andere bestehen aus seltsamen Wendeltreppen, von Netzwerk verhangen, damit man nicht sieht, was sich dahinter abspielt. Einige sind versteckt zwischen Häusern und gerade so hoch wie sie. Da entstand kürzlich ein neuer Turm - innerhalb der kurzen Zeit, in der wir Wäsche wuschen und zweimal die Stadt durchquerten, um Transparente aufzuhängen. Trotz der Tatsache, dass einige der Gebiete, die der Grenze am nächsten liegen, zum ursprünglichen Rafah gehören, dessen Familien seit wenigstens hundert Jahren auf ihrem Land leben, sind nur die Lager von 1948 im Zentrum der Stadt nach dem Oslo-Abkommen palästinensisch kontrollierte Gebiete. Aber so weit wie ich es sehen kann, gibt es nur wenige oder gar keine Orte, die nicht innerhalb der Sichtweite des einen oder andern Wachturms liegen. Ganz sicher gibt es keinen Ort, der nicht von Apachen-Hubschraubern getroffen werden kann oder von den Kameras der unsichtbaren Dronen, die wir stundenlang über der Stadt summen hören. Ich habe Probleme damit, an Nachrichten von der Außenwelt heranzukommen, aber ich höre dass eine Eskalation im Irakkrieg unvermeidlich sei. Da macht man sich hier große Sorgen, wegen einer “Wiederbesetzung des Gazastreifens”. Aber Gaza ist schon täglich in verschiedenem Ausmaße wiederbesetzt. Ich glaube, man hat Angst davor, dass Panzer bald wieder in allen Straßen stehen und dort bleiben, statt in einige Straßen zu rollen und sich nach einigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen, nachdem sie beobachtet und vom Rand der Gemeinden geschossen haben. Ich hoffe, die (verantwortlichen) Leute fangen an, über die Folgen des Krieges für die ganze Region nachzudenken. Ich hoffe, Ihr kommt hierher. Unsere Zahl an Internationalen schwankt zwischen fünf und sechs. Die Stadtteile, die uns um unsere Gegenwart gebeten haben, sind Yibna, Tel El Sultan, Hi Salam, Brazil, Block J, Zorob und Block O. An einer Quelle in den Außenbezirken von Rafah sollte jemand Tag und Nacht sein, nachdem die israelische Armee die beiden größten Quellen von Rafah zerstört hat. Nach der zuständigen Wasserbehörde hatten diese beiden Quellen Rafah mit der Hälfte der notwendigen Wassermenge versorgt. Viele Gemeinden baten die Internationalen Helfer, nachts anwesend zu sein, um Häuser vor Zerstörung zu schützen. Nach zehn Uhr ist es sehr schwierig, sich zu bewegen, weil die Armee jeden, der sich auf der Straße befindet, als Widerständler ansieht und auf ihn schießt. Wir sind einfach viel zu wenige.

Ich denke noch weiter daran, dass meine Stadt Olympia, eine Menge gewinnen und anbieten könnte, wenn sie sich entscheiden könnte, mit Rafah eine Partnerschaft einzugehen. Einige Lehrer und Kindergruppen haben schon ihr Interesse an einem E-Mail-Briefwechsel gezeigt. Aber das wäre nur die Spitze eines Eisberges an Solidaritätsarbeit, die getan werden könnte. Viele Leute wollen gehört werden, und ich denke, wir sollten einige unserer Privilegien als Internationale (Helfer) nützen, dass diese Stimmen direkt in den USA gehört werden, nicht nur durch das Filter wohlmeinender Internationaler (Helferinnen), wie ich es bin. Ich stehe am Anfang eines Lernprozesses, der mir meine sehr intensive Bevormundung zeigt und die Fähigkeit von Menschen, sich allen Widrigkeiten zum Trotz zu organisieren und all diesen Widrigkeiten zu widerstehen.

Weitere Artikel:

Quelle: ZNet Deutschland   - Orginalartikel: Rachel Corrie . Ãœbersetzt von: Ellen Rohlfs und Andrea Noll.

Veröffentlicht am

18. März 2003

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