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So sicher wie das Amen in der Kirche

New Deal für die Klimapolitik: Kyoto II wird scheitern, wenn es keine revolutionär veränderte Praxis beim Handel mit Kohlendioxid-Emissionen gibt


Von Mohssen Massarrat

Was sollte Kyoto II qualitativ Neues leisten im Vergleich zu Kyoto I? Der Weltklima-Gipfel in Bali ist dazu eindeutige Aussagen schuldig geblieben. Bindende Reduktionsziele und der Emissionshandel werden nicht ausreichen, um bis 2050 den Ausstoß von Kohlendioxid um 50 Prozent zu senken. Diese Instrumente haben schon bei Kyoto I nicht gehalten, was sie versprachen.

Al Gore, der sicherlich viel für einen klimapolitischen Bewusstseinswandel in den USA tat, hat vor dem Weltklima-Gipfel in Bali einen Appell formuliert, aber kein glaubwürdiges Handlungskonzept mit geliefert. Angela Merkel punktet mit ihrem flotten Spruch von “Kohlenstoffgerechtigkeit” bei den Regierungen der südlichen und östlichen Transformationsgesellschaften. Bestenfalls macht sie sich für einen “klaren Fahrplan” bei Kyoto II und den weltweiten Emissionshandel stark. Reicht das? Wurde das nicht bereits mit Kyoto I angestrebt - dort wurden ja Reduktionsziele festgelegt, und der Emissionshandel galt als das zentrale Instrument.

Erreicht wurde dadurch bisher gar nichts. Im Gegenteil: die klimaschädlichen CO2-Emissionen sind weiter gestiegen und werden auch bis Ende des Kyoto-Vertragszeitraums 2012 laut seriösen Prognosen mindestens um weitere 20 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 nach oben gehen. Nach den Gründen muss nicht lange gesucht werden, es gibt Defizite auf zwei entscheidenden Ebenen:

Bei der Verpflichtung auf Mindestreduktionen, die der Weltklimarat für die Industrieländer mit 15 Prozent bis 2012 im Vergleich zu 1990 angegeben hat. Tatsächlich haben sich die aber nur zu lächerlichen fünf Prozent bereit erklärt, um in der Praxis auch die zu unterlaufen.

Zweitens waren die bisher bevorzugten Maßnahmen zur Umsetzung offenbar genauso wenig wirksam wie die Marktinstrumente Energiebesteuerung und Emissionshandel. Instrumente von gestern, die eingesetzt wurden, als die Energiepreise im Keller waren und sich zwischen 15 bis 25 Dollar/Barrel Öl bewegten. Man setzte auf eine Besteuerung des Energieverbrauchs und die Bepreisung von CO2-Emissionen durch Emissionshandel, um die sehr niedrigen Energiepreise ein wenig anzuheben und den steigenden Energieverbrauch zu bremsen. Der dadurch bisher bewirkte Preisschub um 10 bis 20 Dollar/Barrel Öl ist jedoch nur ein Bruchteil des Preisanstiegs von etwa 70 Dollar/Barrel, der seit 2001 auf dem Weltölmarkt zu verzeichnen ist.

Steigende Preise für fossile Energien, selbst Preissprünge, müssen nicht automatisch zur Reduktion von CO2 führen. Solange Großverbraucher angesichts steigender Einnahmen selbst hohe Energiepreise spielend wegstecken und das Wirtschaftswachstum die erreichte Reduktion im Verbrauch wieder auffrisst, steigen die Emissionen weiter. Von daher kann der Emissionshandel, auf den auch nach Bali weiter gesetzt wird, nie und nimmer das geeignete Instrument sein, um weltweit die erwünschten Reduktionen von 50 Prozent bis 2050 und 80 Prozent bis 2100 durchzusetzen.

Das Problem beim Emissionshandel besteht nicht darin, dass er nach dem Grandfathering-Prinzip gratis verteilt wird, sondern selbst bei sehr hohen Verkaufspreisen - wie drastisch gestiegene Ölpreise belegen - nicht viel besser funktionieren dürfte. Selbst die Verfünffachung des Ölpreises seit 2001 hat den steigenden CO2-Ausstoß nicht bremsen können, obwohl Weltmarktpreise - im Unterschied zum Emissionshandel - nicht selektiv, sondern flächendeckend wirken. Der Emissionshandel ist entgegen allem Anschein nicht nur ein schwaches Mengen- und Preisinstrument - er ist auch höchst bürokratisch und verursacht obendrein sündhaft hohe Transformationskosten. Er funktioniert überhaupt nur dann, wenn der Staat alle Verbraucher genauestens kontrolliert, um zu verhindern, dass sie nicht mehr Energie konsumieren und CO2 ausstoßen als ihnen qua Nutzungsrechten zusteht. Letztlich sind es genau genommen über sechs Milliarden Menschen, die weltweit zu kontrollieren wären, damit das angeblich flexible Marktinstrument Emissionshandel überhaupt seinen Zweck erfüllt.

Bliebe der klimapolitische Mainstream dabei, die Debatte über wirksame Konzepte mit der Debatte über Reduktionsziele zu verwechseln, um sich ansonsten in einem unkoordinierten Aktionismus zwischen Einzelmaßnahmen und Reduktionsprogrammen aufzureiben, wäre ein Scheitern von Kyoto II so sicher wie das Amen in der Kirche. Eine Weichenstellung für Kyoto II muss dazu führen, ohne ideologische Scheuklappen wirksamere Instrumente zu finden.

Wer CO2-Emissionen wirklich drosseln will, muss daher direkt bei den Anbietern ansetzen, anstatt mit großem Aufwand bei der letzten Stufe - den Verbrauchern. Es ist doch unbegreiflich, ja rätselhaft, warum man politisch nichts dagegen unternimmt, dass vergleichsweise wenige Anbieter weiterhin Öl, Erdgas und Kohle produzieren dürfen, während man zugleich politisch alles tut, das Verhalten von Milliarden von Verbrauchern zu verändern. Eine Abkehr von der Verbraucherfixierung der heutigen Philosophie des Klimaschutzes hin zu einer Anbieterorientierung, wäre eine entscheidende Zäsur. Wollte man ein entsprechendes Regime des Klimaschutzes mit Kyoto II implementieren, blieben alle sonstigen Voraussetzungen von Kyoto I - vor allem die Bereitschaft der Vertragsstaaten zur Kooperation - als moralisches Leitmotiv unverändert bestehen.

Statt eines völkerrechtlichen Abkommens zwischen 200 Staaten (und mit ihnen Hunderttausende von Großverbrauchern und Milliarden von Endkonsumenten) könnte ein Vertrag in Kraft treten, der zwischen einer Handvoll von Staaten, die über einen nennenswerten Anteil an fossilen Reserven verfügen, ausgehandelt werden müsste. Der Einwand, es sei schwierig, Saudi-Arabien und andere Ölstaaten in ein Vertragssystem einzubinden, überzeugt nicht. Schließlich tut man auch alles, um die USA auf den Kyoto-Prozess zu verpflichten. Warum also nicht die OPEC-Staaten gleichfalls bei der Lösung eines für die Menschheit existenziellen Problems völkerrechtlich verbindlich einbeziehen? Vernünftig wäre es, sie schon jetzt in ein wirksames Regulierungsregime zu integrieren und an dessen Mitgestaltung teilhaben zu lassen. Genau hier - für die Moderation eines New Deal von epochaler Bedeutung auf dem internationalen Klimaschutzparkett - sind Kompetenzen gefragt. Statt Scheinerfolge bei längst bekannten normativen Zielen vorzutäuschen und gescheiterte Instrumente gebetsmühlenartig als Wunderwaffe zu preisen, hätte hier Angela Merkel eine vorzügliche Chance, diplomatisches Geschick zu beweisen.

Bei einem angebotsorientierten Kyoto II bliebe der Markt als das zentrale Steuerungsmedium unangetastet. Mehr noch: In diesem Modell wären alle Kontrollmechanismen und dadurch verursachten Kosten ebenso überflüssig wie Verbote, Gebote und finanzielle Anreiz- oder Strafprogramme. Die fossilen Energie-Weltmarktpreise würden zum entscheidenden Instrument der Allokation und der Transformation, weg von fossilen Energien, hin zu effizienterer Energienutzung und zu erneuerbaren Energiesystemen. Das einzig Interventionistische dabei wäre eine weltweit vertraglich festgelegte Obergrenze für fossile Energiemengen, und zwar so, dass im Ergebnis die verfügbaren fossilen Energiemengen weltweit um weniger als ein Prozent sinken. Die so erreichten Angebotsverknappungen führen in den ersten Jahren notgedrungen zu steigenden Energiepreisen. Dadurch würde jedoch die Wettbewerbsfähigkeit bei erneuerbaren Energien in einem Maße erhöht, wie das sonst nur durch zeitraubende und kostspielige Programme zu bewirken wäre. Fortan entscheiden nicht mehr Ministerien und Lobbyisten mit mächtigen Eigeninteressen, welche Technologien in welchem Teil der Welt die Energieeffizienz steigern und welche erneuerbaren Energien in einer Region die günstigsten sind - ob Wind-, Sonnen- oder Biomassenenergie. Dies tut allein der Markt durch eine doppelte Wirkung der Preise bei fossilen Energien einerseits und der Kosten bei Effizienztechnologien und erneuerbaren Energien andererseits.

Mit anderen Worten: Statt sehr viel Staat, der überall aktionistisch mit etlichen selektiven Maßnahmen präsent ist, statt immer neuer Vorschläge wie Klimatickets, CO2-Pass für Neuwagen und Gebäude, Wärme-Cents oder Strom-Cents, sollte sich die Weltgemeinschaft bei Kyoto II vertraglich allein darauf einigen, dass immer weniger fossile Energien auf die Märkte kommen und dadurch eine Transformation zu Klima konformen Energiesystemen tatsächlich stattfinden kann.

Eine politische Direktive für Obergrenzen bei fossilen Energien wäre historisch vergleichbar mit der gesetzlichen Festschreibung des Achtstundentages. Erst dadurch konnte das Zeitalter der technologischen Revolution eingeläutet und die Überausbeutung menschlicher Arbeitskraft durch technische Innovation ersetzt werden.

Die nötigen Reduktionsziele zu fixieren und mit großer Offenheit die technologische wie organisatorische Umsetzung zu betreiben - dies garantiert ein Höchstmaß an Flexibilität, Anpassung und Effizienz für einen klimakonformen Strukturwandel. Die anfänglichen - zugegeben - hohen Energiepreise im Zuge einer globalen Angebotsverknappung dürften dann nur von kurzer Dauer sein. Nach der Logik der Skaleneffekte - also Kostensenkung durch Massenproduktion - kann davon ausgegangen werden, dass sich nach ein oder zwei Dekaden die Energiepreise durch sinkende Kosten bei erneuerbaren Energien auf ein deutlich niedrigeres Niveau einpendeln.

Das angebotsbasierte Kyoto II erlaubt genau so wie Kyoto I eine gerechte Verteilung der Lasten. Es darf wie bei Kyoto I auch um Quoten gerungen werden. Die Quotenregelung zwischen den Staaten würde bei Kyoto II allerdings durch die Quotenregelung zwischen den wenigen Produzentenstaaten ersetzt und wäre bei Bedarf flexibel veränderbar. Auch eine gerechte Verteilung der zulässigen Emissionsmengen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bedürfte - wie bei Kyoto I - eines im Konsens vereinbarten Verfahrens. So könnte ein globaler Ausgleichsfonds eingerichtet werden, der gezielt die Effizienzsteigerung und den Ausbau der erneuerbaren Energien in finanzschwachen Entwicklungsländern subventioniert.

Das Hauptziel eines solchen Fonds sollte darin bestehen, durch Technologietransfer in die Länder des Südens die Energieeffizienz zu steigern und den Anteil erneuerbarer Energiesysteme drastisch zu erhöhen - der direkte Weg, um sowohl dem Klima wie auch globaler Gerechtigkeit Genüge zu tun. Die propagierte “Kohlenstoffgerechtigkeit” ist dagegen kontraproduktiv, da sie eine Erhöhung des fossilen Energieverbrauchs in Entwicklungs- und Schwellenländern und damit eine nachholende Industrialisierung nach dem Muster der Industrieländer “gerechtigkeitshalber” zulässt. Intelligenter wäre es, diesen Weg zu überspringen. So könnte die gesamte Stromerzeugung und Produktion von Wärme und Kälte in den Entwicklungsländern a priori durch erneuerbare Energiequellen - Sonne, Wind, Biomasse und Wasserenergie - gedeckt werden.

Schließlich muss es für Kyoto II und eine globale Klimaschutzstrategie eine Art Klimaagentur geben, die im Vergleich zu den Institutionen von Kyoto I mit geringerem institutionellen Aufwand die flexible Abstimmung zwischen den Anbieterstaaten, Produktions- und Vermarktungsfirmen koordiniert, den Klimaausgleichfonds verwaltet und letztlich den Ausstieg aus der fossilen Ära steuert. Um das Modell erlebbar zu machen und Skeptiker von seiner Effizienz und Marktkonformität zu überzeugen, können vorerst nationale Klimaagenturen als Pilotprojekte geschaffen werden. Pioniergeist fände hier ein zukunftsfähiges Terrain.

Professor Mohssen Massarrat lehrte von 1982 bis 2007 Politikwissenschaft und Internationale Wirtschaftsbeziehungen am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück. Seine Arbeitschwerpunkte waren Nachhaltigkeit, Nord-Süd-Dialog, Ressourcenökonomie und globale Verteilungskonflikte. Er wurde vor einem Monat emeritiert.

Siehe auch Mohssen Massarrat: Das Dilemma der ökologischen Steuerreform, Hamburg 2000 sowie Kapitalismus - Machtungleichheit - Nachhaltigkeit. Perspektiven revolutionärer Reformen, Hamburg 2006.

Emissionshandel

Artikel 17 des Kyoto-Protokolls von 1997 definiert Emissions Trading (ET) als “zusätzliches Element” neben Direktmaßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase. Es ist ausdrücklich nicht beabsichtigt, dass sich Staaten mit hohen Emissionen das Recht zu einem höheren Ausstoß von Treibhausgasen von Staaten erkaufen, die ihre Emissionsgrenzen nicht ausschöpfen. Ohnehin muss eine verbindliche Regelung für den Emissionshandel zwischen Nord und Süd erst noch gefunden werden.

Regulator Preis

Innerhalb der Kyoto-Länder bedeutet ET: Vom Staat werden an alle Unternehmen, deren Produktion zum Ausstoß von Kohlendioxid ect. führt, pro Jahr Emissionszertifikate ausgegeben oder versteigert. Alle Firmen bekommen dabei weniger Zertifikate, als sie ohne Modernisierung benötigen. So werden Unternehmen, die ihr Emissionsbudget überschreiten, weil sie keine Gegenmaßnahmen treffen, gezwungen, Zertifikate hinzuzukaufen. Sobald der Marktpreis für ein Zertifikat höher ist als die Investitionen zur Verringerung von Emissionen, soll damit ein Anreiz vorhanden sein, emissionsärmere Verfahren zu implementieren.

Bei zehn Cent

Doch trat zwischen 2005 und 2007 der Effekt ein, dass die Preise für den Zertifikat-Handel an der European Energy Exchange (EEX) eingebrochen sind - zeitweise auf zehn Cent - und jede Lenkungskraft eingebüßt haben. Für den Emissionshandel zwischen 2008 und 2012 sollen daher in der EU neue Konditionen vereinbart werden.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   50 vom 14.12.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat und des Verlags.

Veröffentlicht am

15. Dezember 2007

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