Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Eine folgenreiche Liaison

Was Recht ist: Die Geschichte von Vera Korn und August Eckert, der 1944 wegen Mordes an zwei Jüdinnen hingerichtet wurde


Von Michael Klein

In der Gedenkstätte Plötzensee werden in einem multimedialen Totenbuch die Opfer des NS-Regimes geehrt, die in Plötzensee hingerichtet wurden. Eingereiht zwischen den Widerstandskämpfern der Roten Kapelle und den Offizieren des 20. Juli blickt uns auf einem Foto auch August Eckert entgegen. Sein Vergehen? Wir lesen: “Raubmord an Juden”.

Der Reichsbahngehilfe August Eckert erhält Anfang März 1943 den Auftrag, beim Arbeitsamt für Juden eine Gruppe Frauen abzuholen und zum Reichsbahn-Ausbesserungswerk Grunewald zu begleiten. Sie gehören zu den knapp 5.000 Juden, die noch legal in Berlin leben, weil sie mit einem reichsdeutschen Partner verheiratet sind.

Eine Frau sticht aus der Gruppe heraus. Es scheint, als ginge sie zu einem Tanzvergnügen. Sie hat sich Ohrringe angesteckt, trägt Armbänder und hat rasierte Augenbrauen - der letzte Schrei, den Eckert von den UFA-Diven kennt. Ihr dunkelblondes Haar ist sorgfältig frisiert, auf ihren manikürten Fingernägeln hat sie roten Nagellack aufgetragen. In der Personalabteilung liest Eckert ihre Akte. Vera Sara Korn ist 32 Jahre alt und Tochter jüdischer Kaufleute, ihre Eltern und Brüder gehören zu den ersten aus Deutschland deportierten Juden. Veras geschiedener Mann ist an der Front, und sie kümmert sich um die gemeinsame Tochter Eva. Da Eva evangelisch getauft ist, sind Mutter und Tochter bisher nicht deportiert worden. Eckert, Hals über Kopf verliebt, wirbt um Vera Korn und noch im selben Monat sind sie ein Paar.

Veras Traum …

Das Verhältnis mit Eckert bringt Vera Korn viele Vorteile. Statt Schwerstarbeit leisten zu müssen, wird sie dank Eckerts Fürsprache in die Sattlerei vermittelt, wo sie Gardinen näht und Gepäcknetze knüpft. Was zusätzlich für den Aufsteiger Eckert, der im Unterschied zu Vera aus unterprivilegierten Verhältnissen stammt, einnimmt: Seine Ehefrau hält sich außerhalb Berlins auf. Die Lebensmittel, die sie vom Bauernhof der Eltern heranschafft, liefert der Strohwitwer bei Vera ab. Nicht ohne Neid blicken die Nachbarn auf ihren stets gut gedeckten Tisch, an dem auch Veras ausgehungerter jüdischer Bekanntenkreis Platz nimmt.

Vera lebt auf großem Fuß, denn die Tochter aus gutem Hause erzielt Einnahmen aus dem Verkauf des umfangreichen Nachlasses ihrer deportierten Eltern. Da ein solcher Besitz illegal ist, sucht Vera schon lange nach einer arischen Vertrauensperson. Kaum haben sie sich näher kennen gelernt, erhält Eckert Pelze, Bargeld sowie eine Kassette mit Schmuck ausgehändigt.

Wäre Vera “evakuiert” worden, hätte er ihr Vermögen dafür verwenden sollen, sie aus der Ferne zu unterstützen, erklärt Eckert später der Polizei. Pakete sollte er Vera in ein Arbeitslager schicken und Geld per Postanweisung. Ähnliches habe für den Fall gegolten, dass Vera untergetaucht oder ihr die Flucht ins Ausland gelungen wäre.

Denn Vera träumt davon, Deutschland zu verlassen. Und als Fluchthelfer scheint der 34jährige Reichsbahner Eckert ein Glückstreffer zu sein. Er könne Fahrkarten besorgen, erfährt Vera. Auch habe seine Mutter mal mit einem Schweizer zusammen gelebt. Er habe Geschwister in der Schweiz. Ein Halbbruder sei sogar bei der Grenzpolizei.

… und Eckerts Eifersucht …

Eckert, in Liebe entflammt, will rund um die Uhr bei Vera sein. Gemeinsam fahren sie zur Arbeit, gemeinsam nach Hause. Die gesetzeswidrige Beziehung wird von Eckert so offen demonstriert, dass sich Kollegen einmischen. Als Arier solle Eckert, schon im eigenen Interesse, aufhören, der Korn nachzustellen. Eckert streitet ein intimes Verhältnis vehement ab. Wenn angesprochen, gibt auch Vera ausweichende Antworten. Aber ihr wird Eckert zunehmend unheimlich. Immer öfter kommt es zu Szenen, sogar auf dem Betriebsgelände, wenn Vera anderen Männern Aufmerksamkeit schenkt. Vera fühlt sich durch seine krankhafte Eifersucht gefährdet.

Mitte Oktober 1943 lädt Eckert zu einem Urlaub nach Sachsen ein. Wie eine richtige Familie wandern August, Vera und Eva eine Woche durch die herbstlichen Täler und Auen. Hier erneuert Eckert das Versprechen, gemeinsam in die Schweiz zu ziehen, um ein neues Leben zu beginnen.

Ende Oktober spricht sich der Ausflug bei der Reichsbahn herum. Offenbar hat Vera ihren jüdischen Kolleginnen überschwänglich von der Reise berichtet, ohne Eckert zu erwähnen. Da aber beide zur selben Zeit Urlaub genommen haben, kann sich jeder einen Reim machen. Der verheiratete Eckert war eine Woche lang, Tag und Nacht, mit einer Jüdin zusammen.

Der Dienststellenleiter zitiert Eckert zu sich. Wenn er sich nicht von der Jüdin trenne, werde er an die Strecke zu den Bombenschäden versetzt. Eckert ist geschockt. Seinen Stuhl im Büro will er nicht räumen. Aber er will sich auch nicht von den Wertsachen trennen, die er unter hohem Risiko für eine undankbare, geschwätzige, leichtlebige, reiche Jüdin aufbewahrt - so sieht er das.

Im November verschickt Eckert anonyme Briefe. In einem Schreiben an die Gestapo beschuldigt er Vera, gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Sie werde schon bald “evakuiert”, heißt es in einem zweiten Schreiben, das er Vera zukommen lässt. Mit dem Brief geht Vera zum Personalchef der Grunewalder Reichsbahn, der ihn als eine Fälschung auf Dienstpapier identifiziert, getippt auf einer Schreibmaschine, zu der Eckert Zugang hat. Ihre Deportation stehe nicht bevor, er müsse das wissen, sagt der Personalchef und rät ihr, alle Wertsachen von Eckert zurückzufordern.

Nachdem sich Veras Vorgesetzter in der Sattlerei bereit erklärt hat, Wertgegenstände für sie aufzubewahren, geht Vera auf Eckert zu. Um die Rückgabe des Schmucks und des Bargelds gebeten, meint Eckert, das werde sich hinziehen. Er habe alles wegen der Bombengefahr außerhalb Berlins untergebracht.

Was er mit diesen “komischen Schreiben” eigentlich habe bezwecken wollen, wird Eckert später von der Polizei gefragt. Er habe geglaubt, dass sich Vera Korn aus dem Staub mache, antwortet Eckert, dass sie deportiert werde oder Selbstmord begehe. Wäre sie fort gewesen, hätte ihr Vermögen ihm gehört.

… enden in der Katastrophe

Am 21. November 1943, einem Sonntag, treffen Vera und Eva in Eckerts Wohnung ein. Eckert hat versprochen, reinen Tisch zu machen. Was nun zum Tod von Mutter und Tochter führt, versucht Eckert später im Verhör in mehreren Anläufen zu schildern. Wie es exakt zur Tat gekommen ist, lässt die Polizei jedoch unaufgeklärt. Zu sehr tangieren die Vorfälle die nationalsozialistische Rassenpolitik, und die Einzelheiten sind für Eckerts Schicksal ohnehin belanglos.

Dem Mord geht ein erregter Wortwechsel voraus, der sich aus den Akten rekonstruieren lässt. Eckert ist der Meinung, die illegalen Wertsachen behalten zu können, weil ihn Vera wohl kaum anzeigen könnte. Vera ist anderer Meinung, er habe mit ihr Rassenschande getrieben, und das sei strafbar - aber nur für ihn.

Mit dem “Blutschutzgesetz” von 1935, das den Geschlechtsverkehr zwischen “Ariern” und Juden mit Haftstrafe belegt, hat Vera ein Druckmittel in der Hand. Denn angeklagt wird allein der männliche Teil, sei er Jude oder “Arier”. Eckert muss mit einer Freiheitsstrafe von ein bis zwei Jahren rechnen. Vera wäre straffrei ausgegangen, allerdings wohl deportiert worden.

Eckert, der in seiner Jugend beim Schlachter gearbeitet hat, rastet aus. Es kommt zu einem Handgemenge und zum Mord. Spät nachts bricht er auf und legt Pakete mit Leichenteilen in Berlin ab. “Auf den Spuren eines grauenvollen Verbrechens” ist der Fahndungsaufruf der Mordkommission in den Lokalzeitungen übertitelt. Jüdische Freunde von Vera Korn, Nachbarn und Reichsbahner melden sich bei der Polizei.

Eckert wird festgenommen und die Polizei sichert Blutspuren und Tatwaffen in seiner Wohnung in der Schöneberger Gotenstraße. Im Protokoll kommt Kriminalkommissar Rolf Holle zum Schluss, dass es sich “bei den Ermordeten um die Jüdin Korn und deren Tochter handelt und eine Täterschaft von Eckert wahrscheinlich ist”.

Holle informiert die Staatsanwaltschaft, dann die Gestapo, die für judenrelevante Belange zuständig ist. Da es keine Trennung zwischen der “normalen” Kriminalpolizei und dem Gewaltapparat des NS-Staates gibt, wird auch das Reichssicherheitshauptamt der SS einbezogen. Kriminalkommissar Rolf Holle führt selbst den Rang eines SS-Hauptsturmführers.

Tote Juden sind an sich kein Problem. Sie sterben im Gestapo-Gewahrsam und in Lagern, ohne dass sich die Justiz einschalten würde. Aber es ist undenkbar, einen zivilen Mörder davon kommen zu lassen, nur weil seine Opfer Juden sind. Holle erhält die Anweisung, den Fall weiter vorschriftsmäßig zu bearbeiten. Den jüdischen Hintergrund soll er allerdings bis in die Tiefe ausleuchten.

Raubmord, Mord, Totschlag: Was August Eckert wirklich angestellt hat, ist unwichtig. Der Staatsanwalt spielt einen Joker aus, mit dem sich fast jeder Übeltäter zum Tode verurteilen lässt. Angeklagt wird Eckert wegen eines “Verbrechens nach § 1 der Gewaltverbrecherverordnung” in Verbindung mit Mord. Die Verordnung sieht bei einer Gewalttat mit einer Waffe zwingend die Todesstrafe vor. Die Anklage macht aus Vera Sara Korn eine “Frau Vera Korn” und aus dem Mischlingskind ersten Grades das “Töchterchen Eva Korn”. Die Anklage geht am 25. März 1944 an das Landgericht Berlin. Das Gericht macht kurzen Prozess. Eckert wird am 28. März 1944 zum Tode verurteilt und am nächsten Tag enthauptet.

Nach Eckerts Tod ermittelt die Gestapo gegen Grunewalder Reichsbahnmitarbeiter. Doch die Verfahren werden eingestellt. Veras Nachbarn, die mit ihr Schwarzhandel trieben, werden erst gar nicht behelligt. Dafür trifft es die beiden jüdischen Zeugen aus Vera Korns Freundeskreis besonders hart. Sie werden ins KZ Theresienstadt und in Arbeitslager interniert. SS-Hauptsturmführer Rolf Holle tritt 1947 in den Polizeidienst der britischen Besatzungsmacht, um dann in Wiesbaden das Bundeskriminalamt aufzubauen. Als stellvertretender Präsident des BKA geht er 1972 in Pension.

Die Akten des Kriminalfalls liegen im Landesarchiv Berlin. Die Geschichte von Vera Korn und August Eckert hat Michael Klein ausführlich in dem Buch aufgeschrieben Vera und der Braune Glücksmann. Wie der NS-Staat einen Judenmörder hinrichtete. Eine wahre Geschichte (Neuer Europa Verlag, 2006).

“Judenbegünstigungen” bei der Reichsbahn Grunewald

Während der Ermittlungen stieß die Kriminalpolizei auf einen Umgang mit Juden, der die Grenze des Erlaubten weit überschritten hatte:

  • Die Arbeitsorganisation des Reichsbahnausbesserungswerks widersprach den Anordnungen des NS-Staats. Statt die Frauen in jüdischen Kolonnen unter arischem Kommando arbeiten zu lassen, mit separaten Umkleide-, Wasch- und Aufenthaltsräumen, hat die Personalabteilung sie je nach Qualifikation auf die Abteilungen verteilt. Der Verkehrsminister hatte angeordnet: “Jeder außerdienstliche Verkehr mit Juden - dazu gehört auch die private Unterhaltung - ist eines Deutschen unwürdig und streng zu bestrafen”. Niemand hat sich darum gekümmert. Es gab gemeinsame Pausen, die gehörig überzogen wurden. Nichts geschah, wenn der gelbe Stern an der Jacke fehlte. Und es kam vor, dass, wer in einer zugigen Halle Waggons schrubben musste, zum Ausgleich gut geheizte Büros reinigen durfte.
  • Durch Arbeitsverweigerung hatten die jüdischen Mütter mit Kleinkindern erreicht, dass sie vorschriftswidrig nicht zur Nachtschicht eingeteilt wurden. Ihr Argument: Die Väter seien an der Front, man könne den Nachwuchs bei den Fliegerangriffen nicht allein lassen.
  • Die Reichsbahn hat der Gestapo erst nach nach fünf Wochen berichtet, dass Vera Korn (nach dem Mord) der Arbeit fern geblieben war.
  • Viele Reichsbahner und auch die Nachbarn von Vera Korn hatten von der “Rassenschande” gewusst. Sie hatten auch gewusst, dass Vera Korn mit dem Nachlass ihrer deportierten Familie schwarz handelte. Und dass Eckert die wertvollsten Stücke verwahrt hat, war ebenfalls allgemein bekannt. Alles flog erst durch die Ermittlungen der Polizei auf.
  • Die Grunewalder Reichsbahner hatten - so Eckert - den Juden Freifahrkarten, Arbeitsbescheinigungen und Dienstausweise ohne Judeneintrag gegeben. Da es im Reich außer für Juden keine allgemeine Ausweispflicht gab, waren neutrale Papiere unerlässlich, wenn Juden ohne Stigma unterwegs sein wollten. Abgetauchte Juden haben Dienstausweise häufig als Identitätsnachweis genutzt.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   47 vom 23.11.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

24. November 2007

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