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7 Gründe gegen die Verlängerung des Bundeswehr-Afghanistan-Einsatzes

Von Clemens Ronnnefeldt, Versöhnungsbund-Referent für Friedensfragen

1. Die Einbindung in die US-Strategie ist konfliktverschärfend.

In der Wochenzeitung "Freitag", 3.8.2007, wurde der CDU-Sicherheitspolitiker Willy Wimmer gefragt: "Sie haben jüngst nach einem Gespräch mit dem afghanischen Präsidenten gesagt, Hamid Karzai habe Ihnen erklärt, die Amerikaner hätten den Krieg vor drei Jahren beenden können, aber sie wollten nicht. Habe ich Sie richtig zitiert?" Die Antwort von Willy Wimmer lautete: "Genau das hat Karzai bei dieser Begegnung gesagt,…".

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der frühere ARD-Korrespondent und Afghanistan-Experte Christoph R. Hörstel: "Die Vereinigten Staaten sind bestrebt, in Afghanistan einen Brückenkopf zu errichten. Dieser Brückenkopf ließe sich nicht mehr rechtfertigen, weder innenpolitisch noch außenpolitisch, wenn die Krise in Afghanistan endet. Der ehemalige US-Außenminister Powell wird mit den Worten … zitiert: ‘Ich hoffe, die Monster in Afghanistan gehen uns nicht aus!’ ( aus: C.R. Hörstel, Sprengsatz Afghanistan, 2007, S. 221). Wenn der Rahmen von ISAF, OEF und Tornados von dieser Ausgangslage bestimmt ist, kann die Bundeswehr gegenüber den stark dominierenden US-Streitkräften kaum eigenständige "Friedensakzente" setzen - während die US-Regierung einiges dafür tut, die Kämpfe am Laufen zu halten.

2. Auch deutsche Soldaten sind an der Tötung von immer mehr Zivilisten beteiligt.

Beim militärischen Widerstand in Afghanistan gegen die Besatzungsmächte ist sehr rasch registriert worden, dass die deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge Bilder für die anschließenden US-Bombenabwürfe liefern. Dies dürfte eine wesentliche Erklärung für die vermehrten Anschläge gegen Bundeswehrsoldaten und auch den Attentatsversuch auf Verteidigungsminister Jung bei seiner Afghanistan-Reise im Juni 2007 sein. "Karsai kritisiert NATO-Truppen scharf. Afghanistans Präsident: Militäreinsätze sind wahllos und ungenau", lautete die Titelschlagzeile der Süddeutschen Zeitung am 25.7.2007. ISAF, OEF und Tornados werden von der afghanischen Bevölkerung immer stärker als Einheit gesehen. Eine Aufspaltung in "gute" ISAF-Soldaten und "schlechte" OEF-Soldaten geht an der Realität vorbei.

3. Das Geld für Militärausgaben fehlt für zivile Maßnahmen.

Während die Mehrheit der Menschen in Afghanistan in Armut lebt, gaben die NATO-Staaten zwischen 2002 und 2006 mehr als 82 Milliarden US-Dollar für den Krieg in Afghanistan aus, allerdings nur etwas mehr als 7 Milliarden für Entwicklungshilfe-Projekte für die afghanische Bevölkerung. Speziell für Ernährungs- und Gesundheitsprogramme wurden in diesem 5-Jahres-Zeitraum von der "internationalen Gemeinschaft" lediglich 433 Millionen Dollar für Afghanistan aufgebracht. Allein die einjährige Verlängerung des deutschen ISAF-Einsatzes beläuft sich auf rund 460 Mio. Euro (vgl. IMI-Analyse 2007/029 vom 17.8.2007, www.imi-online.de).

4. Bundeswehrsoldaten sind für zivile Organisationen eher Gefahr als Schutz.

Reinhard Erös, Oberstarzt a.D. der Bundeswehr und Gründer der "Kinderhilfe Afghanistan", die zahlreiche Mädchenschulen, Waisenhäuser und Gesundheitsstationen im Osten Afghanistans unterhält, schrieb in der Süddeutschen Zeitung, 24.7.2007: "Optisch sichtbarer ‘Schutz´, mit bewaffneten Begleitern also,…bedeuten eine viel größere Gefahr als die Fahrt im gebrauchten Corolla, dem Standartfahrzeug vieler Afghanen. Nach meinen Erfahrungen vor allem der vergangenen drei Jahre handeln hier etliche Firmen - auch deutsche - leichtsinnig, manche sogar kriminell fahrlässig,… Dies gilt ausdrücklich nicht für die deutschen Hilfsorganisationen im Norden des Landes, welche inzwischen ganz bewusst auf ‘Begleitschutz´ durch deutsches Militär verzichten. Soldaten wirken wie ein Magnet auf militante Kämpfer".

Am 1./2.9.2007 schrieb Antje Vollmer, grüne Vizepräsidentin des deutschen Bundestages bis 2005, ebenfalls in der SZ: "Die ISAF-Truppen gewährleisten keineswegs den versprochenen Schutz der Zivilbevölkerung und der Nichtregierungsorganisationen, auch die deutschen ISAF-Soldaten bleiben meistens in den Kasernen. Sogar die zivilen Helfer legen großen Wert darauf, von ihnen vollständig getrennt zu sein, um nicht selbst gefährdet zu werden." Vollmer entkräftet auch das Argument, nach einem Abzug der NATO breche das Chaos aus: "Nach dem Rückzug der Amerikaner aus Vietnam trat nicht ein, was damals mit Riesenlettern an die Wand gemalt wurde: Der Kommunismus triumphierte nicht über die Demokratie. … Warum? Weil erst mit dem abnehmendem Bombenterror und abnehmendem Außendruck die reformerischen Kräfte im Inneren der diktatorischen Systeme aus der babylonischen Gefangenschaft der Kollektividentität befreit wurden."

Es gibt noch weitere Gründe, die hier nur kurz angedeutet werden sollen:

5. Der unbedingte Sieg der NATO und die Verhinderung ihres Auseinanderbrechens bei einer Niederlage darf nicht auf dem Rücken der afghanischen Bevölkerung ausgetragen werden.

6. Deutsche Soldaten dürfen nicht für einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat missbraucht werden - ein nicht unwesentliches Motiv zu Beginn des Einsatzes.

7. Während bei ISAF und Tornados zumindest noch völkerrechtliche Rahmen zu erkennen sind, handeln OEF-Soldaten auf völkerrechtlich mehr als unsicherem Gelände. Da aber ISAF und OEF zum Teil gemeinsame Kommando-Strukturen haben, bewegen sich deutsche Soldaten in Afghanistan schon jetzt am Rande des Völkerrechtsbruches.

Es gibt zivile Alternativen:

Das derzeit aktuellste und tiefschürfendste Buch zum Thema hat der frühere ARD-Korrespondent Christoph R. Hörstel vorgelegt. Im Herbst 2007 ist seine Veröffentlichung "Sprengsatz Afghanistan. Die Bundeswehr in tödlicher Mission", 287 Seiten, 8,95 Euro, erschienen. Darin legt er einen Friedensplan mit konkreten zivilen Alternativen vor. Diesen Plan hat Hörstel nach eigenem Bekunden mit der Kabuler Regierung und der bewaffneten Opposition abgestimmt - was diesem Plan zusätzliches Gewicht verleiht.

Kernstück ist ein etwa fünfjähriger vertrauensbildender Friedensprozess ("Disengagement-Plan") mit festgesetzten Zielvorgaben.

Daran sind steigende Entwicklungshilfe-Gelder und sinkende Truppenpräsenz gekoppelt. Hörstel schlägt weiter vor, in einer Provinz mit einem "Pilotprojekt für den Frieden" zu beginnen und dieses Gebiet stufenweise auf das ganze Land auszudehnen. Er plädiert dafür, in direkten Gesprächen mit den Taliban diese in die Zukunft des Landes einzubinden - und die geschundene afghanische Bevölkerung die Entscheidungen über ihr Land wieder selbst treffen zu lassen. Hörstel schließt sein Buch: "Die militärische Auseinandersetzung zu beenden muss das wichtigste Thema sein, wenn Deutsche und Amerikaner sich das nächste Mal wieder in freundschaftlicher Runde treffen. Das ist die Grundlage. Dann kommt die Arbeit."

Veröffentlicht am

24. September 2007

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