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Lebensmittel aus den Armenhäusern

Handel als Entwicklungshilfe: Wem nützen verstärkte Agrarausfuhren aus Afrika und Lateinamerika? Wem nicht?

Von Sabine Kebir

Vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm war oft zu hören, durch geringere Subventionen für die europäische Landwirtschaft und gesenkte Einfuhrzölle für Produkte aus Afrika solle diesem Kontinent zu einem Entwicklungsschub verholfen werden. Viele Globalisierungskritiker befürworteten das vehement, während Bewegungen wie Via Campesina, zu der weltweit mehr als 100 Kleinbauern- und Indigenenorganisationen gehören, mit Ablehnung reagierten.

Es gibt keinen Zweifel, subventionierte Agrarprodukte aus Nordamerika und Europa zerstören in vielen afrikanischen Ländern, was dort bisher an autochthonen Märkten noch übrig blieb. Aktuelles Paradebeispiel ist massenhaft nach Afrika exportiertes Hühnerfleisch, das so billig verkauft wird, dass Farmen in Kenia, Mosambik oder Sambia nicht mehr konkurrieren können. Es ist aufschlussreich, dass hier nicht die scheinbar menschenfreundliche Feststellung getroffen wird, wie schön es doch sei, dass dank unserer Ausfuhren in Afrika nun mehr Hühnerfleisch gegessen werden könne. Statt dessen heißt bis in die EU-Kommission hinein: Wir müssten mit den Afrikanern endlich wie mit gleichberechtigten Partnern umgehen und nicht nur ihre Rohstoffe, sondern auch ihre Produkte erwerben. Könne Afrika erst seine Exportkraft ausspielen, werde es dem Beispiel Chinas folgen.

Hilfe für den großen Bauch

Der Traum vom Agrargroßhändler Afrika mag für die EU-Finanzminister wegen des dann möglichen Subventionsabbaus für die eigenen Landwirte verführerisch sein - doch wird er dem schwarzen Kontinent helfen? Als ein Präzedenzfall bieten sich die bereits abgeschmolzenen Subventionen für Zucker an, dessen Produktion für Europas Bauern derzeit kaum mehr lohnt. Dank gesenkter Einfuhrzölle konnte Brasilien in die Bresche springen, das uns nun mit Zucker versorgt. Nur darf man nicht glauben, dass damit - wie zuvor lauthals versprochen - ein großer Beitrag zur Armutsbekämpfung in der Amazonasregion geleistet würde. In Brasilien ist die Zuckerproduktion inzwischen so weit mechanisiert, dass ein expandierender Export allein den Großfarmern zugute kommt. Wahrscheinlich werden sogar Ackerflächen, auf denen früher lokal konsumierte Lebensmittel angebaut wurden, für den Zuckeranbau umgewidmet, was einen Preisschub für viele Gebrauchsgüter auslösen dürfte.

Vor diesem fatalen Mechanismus hatte Fidel Castro jüngst vom Krankenbett aus in mehreren Artikeln gewarnt, als er über die ebenfalls vorrangig in Brasilien geplante Umwandlung von Flächen für den Anbau von Biotreibstoff schrieb: Sollten sich die Großagrarier dort in der Hoffnung auf Treibstoff-Großexporte in diese Richtung drängen lassen, drohten Szenarien der Unterernährung.

Tatsächlich helfen die Agrarausfuhren armer Länder - ob nun in Lateinamerika oder Afrika - höchstens einer kleinen Kaste von Bodeneigentümern. Während die über ihre Exporte an Devisen kommen, bleibt die Ernährungsgrundlage großer Teile der Bevölkerung prekär. Besonders skandalöse Beispiele finden sich in Ländern, in denen Latifundisten nur deshalb Devisen erwirtschaften, weil sie ihr Land für den Drogenanbau nutzen. Man denke an Afghanistan - der NATO-Einsatz dort hat auch deshalb wenig Aussicht auf Erfolg, weil die von der afghanischen Revolution 1978 und der sowjetischen Besatzung vorangetriebene Entmachtung der Feudalklasse zwar rückgängig gemacht wurde, dieser Klientel aber so gut wie keine Absatzchancen auf den Weltmärkten eingeräumt werden.

Folglich lässt jeder Versuch, die Mohnproduktion einzudämmen, afghanische Großagrarier und Warlords zu jener Abwehrposition zurückkehren, wie sie schon gegenüber der sowjetischen Besatzung eingenommen wurde. Gewiss ist nicht auszuschließen, dass auch denkbare andere Eigentümer, afghanische Kooperativen zum Beispiel, versuchen dürften, Opium und Kokain auf den Weltmarkt zu bringen. Aber würden sie nicht zunächst für die eigene Ernährung sorgen und lokale Märkte beliefern?

Oder das Beispiel Jemen, dessen Agrarlandschaft vom monokulturellen Anbau der Droge Quat geprägt ist. Mit der Behauptung, dass die Jemeniten damit nur ihren Eigenbedarf abdecken, sollten wir uns nicht zufrieden geben. Ein großer Teil des Quat wird illegal nach Saudi-Arabien gebracht, wo es - weil verboten - extrem hohe Gewinne abwirft. Weil die geringen Flächen des Jemen von ihren Besitzern für Quat-Kulturen missbraucht werden, fehlen der armen Bevölkerung ausreichend Obst und Gemüse.

Die Enteignung der weißen Farmer in Simbabwe mag undemokratisch sein und einen vernünftigen Konsens brechen, der es einst erlaubte, die Vorherrschaft der Weißen zu beenden. Die Farmer stellten bis zuletzt mit modernster Technik hochwertige Agrarprodukte her, die weitgehend exportiert wurden und dem Staat beträchtliche Steuereinnahmen bescherten. Die Masse der Bevölkerung hatte freilich nichts davon - die Produkte waren für sie einfach zu teuer. Für die wenigen Arbeitsplätze, die es auf den hochtechnisierten Farmen gab, wurden eher billige Arbeitsnomaden aus Malawi oder Mosambik eingestellt. Präsident Mugabes Bodenreform löst die Ernährungsprobleme der stark wachsenden schwarzen Mehrheit zwar nur auf Zeit, aber ohne diese Rückkehr zur Subsistenzwirtschaft wären sie heute schon unlösbar.

Diese Beispiele weisen auf ein Problem, das zu wenig erkannt wird: Es sind eindeutig privater Großgrundbesitz und undemokratische Verhältnisse, die in armen Ländern eine Exportlandwirtschaft entstehen lassen, ehe die eigene Bevölkerung ausreichend ernährt ist. Daher hinkt auch der hoffnungsfrohe Vergleich mit China: Ohne die Bedingungen der Bauern dort über Gebühr zu loben, sind ihre Lebensbedingungen doch keineswegs mit denen in vielen afrikanischen Ländern vergleichbar. In China sind der privaten Verfügung über den Boden Grenzen gesetzt, und der Staat übernimmt Verantwortung für die allgemeine Ernährungssicherheit.

Keine grotesken Summen mehr

Natürlich ist eine weltweite Rückkehr zur Nahrungsmittelautarkie weder wünschenswert noch praktikabel. Ausufernder "Freihandel" mit Agrarerzeugnissen jedoch vergrößert unter den heutigen Verhältnissen das Armuts- und Hungerrisiko großer Menschengruppen in Afrika erheblich. Von den energetischen und ökologischen Risiken, die das globalisierte Verschieben großer Produktmengen mit sich bringt, ganz zu schweigen. Das Aktionsnetzwerk Globale Landwirtschaft hat auf dem G-8-Gegengipfel in Rostock mehr "Ernährungssouveränität" für Länder und Regionen verlangt, die sich selbstverständlich auch mit eigenen Zöllen vor billigem Hühnerfleisch und anderen Einfuhren aus dem Norden schützen könnten - vorausgesetzt, die WTO "erlaubt" es.

Es ist daran zu erinnern, dass Agrarsubventionen - besonders in der Bundesrepublik - nach dem Zweiten Weltkrieg die Funktion hatten, den in Osteuropa errichteten Landwirtschaftskooperativen das Modell des individuell, nach nordamerikanischem Vorbild wirtschaftenden Großbauern entgegenzusetzen. Gerade dieser Typ von Landwirtschaft funktioniert heute in den USA nur noch, weil er subventioniert wird. Auch in der EU gehen vier Fünftel der Agrarsubventionen an Großbetriebe und Agrarkonzerne, die nur eine geringe Zahl von Arbeitskräften beschäftigen. Aus Sicht von Kleinbauernverbänden sind diese Zahlungen daher vorrangig ein Hebel zum Bauernlegen. Die Betriebe ihrer Klienten sind durch die Begünstigung der monopolistisch agierenden Großagrarier bedroht, deren Gewinnmargen hoch sind.

Ohne staatliche Bevormundung, aber auch ohne sachgerechten Beistand hat sich die Kooperativbewegung nach 1945 auch in Westeuropa entwickelt. Sie wurde nicht nur zum Motor eines ökologischen Wirtschaftens, sondern bot zugleich variable Modelle attraktiven Lebens auf dem Lande. In einer heute schon möglichen Welt, in der eine stetig gesteigerte Produktivität nicht mehr der alleinige Maßstab sein darf, erscheint es als greifbare Utopie, eine hochwertige Grundversorgung solchen Organismen anzuvertrauen. Eine wirklich demokratische Gesellschaft kann die Austauschbedingungen mit genossenschaftlichen Produzenten so gestalten, dass keine grotesken Subventionssummen mehr nötig sind.

 

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 30 vom 27.07.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

Veröffentlicht am

27. Juli 2007

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