Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Der unheimliche Held

Selbstentlastung: In der Adenauer-Zeit wurden die Widerstandskämpfer vom 20. Juli heroisiert. Mit Demokratie und Europa hatten sie aber nichts zu tun


Von Rudolf Walther

In den Feuilletons tobte eine Debatte darüber, ob Tom Cruise, Mitglied der Scientology-Sekte, im Hollywood-Filmprojekt Valkyrie (genannt nach dem “Unternehmen Walküre”) die Rolle des Widerstandskämpfers Stauffenberg spielen dürfe oder nicht. In der Kontroverse tauchten viele Argumente auf, die auch in der historischen Bewertung des Attentats eine Rolle spielten. Der Bundesfinanzminister und der Kulturstaatsminister möchten verhindern, dass Teile des Films im Bendler-Block gedreht werden, wo Stauffenberg erschossen wurde. Damit möchte man den Ort der Hinrichtung sakralisieren und Stauffenberg wieder heroisieren wie in den späten fünfziger und sechziger Jahren. Was damals politischem Kalkül entsprang, ist jetzt freilich nur mediales Spektakel.

Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass jeder jeden überbieten möchte. Frank Schirrmacher drehte den Spieß einfach um: Besser als das Sektenmitglied Tom Cruise kann niemand Stauffenberg spielen, denn dieser gehörte dem sektenhaft-elitären Kreis um den Dichter Stefan George an. Diese kuriose Logik konterte Peter Steinbach, der Gralshüter der “Gedenkstätte Deutscher Widerstand”, indem er Schirrmacher einen “Kampfjournalisten” nannte. Auch die Rezeptionsgeschichte des Widerstands ist voll solcher Pirouetten um die Deutungshoheit. Außer Sicht geriet im medialen Spektakel, dass es weder um die Freiheit der Kunst noch um moralisch-politische oder historische Probleme geht, sondern darum, mit welchem schauspielerischen Personal am meisten Geld zu verdienen ist.

Der Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime gehört zu den am besten erforschten Ereignissen der Zeitgeschichte. Das gilt aber nicht für die historische Bewertung der Fakten. Die Bewertung unterlag und unterliegt schwankenden Konjunkturen. Die Schwierigkeiten beginnen schon mit der Terminologie. Dietrich Bonhoeffers Witwe bekannte, dass sie das Wort “Widerstand” zum ersten Mal 1947 von ihrem Schweizer Schwager gehört habe. Stauffenberg wusste genau, was er tat: Er wählte zwischen dem Verrat an Hitler und dem Verrat am “eigenen Gewissen”. Von Tresckow sah sich als Kentaur Nessos in der antiken Sage, der sterbend sein Blut hergibt, um den Tyrannen zu vergiften. Die vage Terminologie ermöglichte es den Nachgeborenen, das Attentat vom 20. Juli zum “Aufstand des Gewissens” zu entpolitisieren.

Die westlichen Alliierten vertraten unmittelbar nach dem Krieg zunächst die These von der deutschen Kollektivschuld. Diese These ist zwar politisch, moralisch und historisch unhaltbar, aber oberflächlich plausibel: Der Sieg war teuer erkauft - zuletzt bei der Schlacht in den Ardennen ab Dezember 1944, als SS-Panzer- und Infanterieverbände die amerikanischen und britischen Truppen in verlustreiche Gefechte verwickelten. Angesichts dieser Opfer wollten die Besatzungsmächte nichts wissen von einem deutschen Widerstand. “Die” Deutschen waren schuld. Berichte und Bücher über den Widerstand passten dazu nicht und wurden zwischen 1945 und 1948 von der Zensur verboten.

Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten geriet der Widerstand in die alles dominierende Perspektive von Kaltem Krieg und Systemkonkurrenz. Der zivile und militärische Widerstand um Peter Graf Yorck von Wartenburg, Helmuth James Graf von Moltke, Adam von Trott zu Solz, Johannes Popitz beziehungsweise Claus Schenk von Stauffenberg, Henning von Tresckow, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim, aber auch die Gewerkschafter Wilhelm Leuschner und Julius Leber, um nur einige zu nennen, wurden in der DDR-Geschichtsschreibung bis in die achtziger Jahre als “reaktionäres Junkertum” abgestempelt. Umgekehrt existierte für die bundesdeutsche Historiographie der kommunistische Widerstand zunächst gar nicht. Erst die Arbeiten von Hans Mommsen, Martin Broszat und anderen aus den sechziger Jahren belegten die Vielfalt des Widerstands christlicher, kommunistischer, sozialistischer, konservativer und adelig-militärischer Herkunft.

Die Gegenüberstellung von Nationalsozialismus und Widerstand ist eine Fiktion, denn viele Widerstandskämpfer standen den Nazis zunächst sehr nahe, und der ungeheure Druck, nach außen hin mitzumachen und versteckt das Attentat vorzubereiten, spaltete die Person jedes Widerstandskämpfers bis zur rettenden Tat. In der Realität gab es nur fließende Übergänge: von Teilkritik über Systemkritik bis zur Sabotage und zu offenem Widerstand. Ein untypisches, aber makaberes Beispiel für die Komplexität und Zwiespältigkeit des Widerstandes ist der Lebenslauf von Arthur Nebe: Der Kriminalbeamte war Berater bei der Vernichtung Geisteskranker (T4-Aktion), Führer der Einsatzgruppe B und für die Ermordung von 45.467 Juden in Weißrussland verantwortlich und gleichzeitig Informant für Widerstandskreise, wofür er zum Tod verurteilt wurde.

Bis sich eine differenzierte Sicht auf den Komplex “Widerstand” durchsetzte, baute die DDR den “antifaschistischen Widerstand” zum staatlichen Gründungsmythos aus, obwohl die kommunistischen Widerstandskämpfer beim Staatsaufbau im Osten ebenso wenig eine Rolle spielten wie die wenigen Überlebenden des adelig-militärischen Widerstandes im Westen. Hier packte Adenauer seine Chance, aus der zahlenmäßig kleinen Verschwörergruppe des “Kreisauer Kreises” und der Offiziere des missglückten Attentatsversuchs vom 20. Juli 1944 den Ursprung “des anderen und besseren Deutschlands” zu konstruieren. Zunächst blieb die Heroisierung und Monumentalisierung der Offiziere um Stauffenberg ein riskantes Unternehmen, denn in der Bevölkerung galten sie schlicht als “Verräter” und “Eidbrecher” genauso wie die Emigranten, was Menschen wie Willy Brandt bis Ende der sechziger Jahre zu spüren bekamen.

1953 errichtete man im Berliner Bendler-Block das zentrale Denkmal für die Opfer des 20. Juli, aber es dauerte insbesondere in der Traditionspflege der Bundeswehr noch bis in die achtziger Jahre, bis die Widerstandskämpfer als vorbildliche Soldaten anerkannt wurden. Bundespräsident Theodor Heuss sprach 1954 bei der Feierstunde zur zehnten Wiederkehr des Attentats vom 20. Juli von der geglückten Verbindung “des christlichen Adels deutscher Nation mit Führern der Sozialisten und der Gewerkschaften”; das galt jedoch - soweit Heuss´ Intention überhaupt verstanden wurde - als Feiertagsrhetorik. Das Bild vom militärischen Widerstand prägten damals noch Leute wie der ehemalige Generalfeldmarschall Erich von Manstein, wegen Beteiligung an Kriegsverbrechen zu 18 Jahren Haft verurteilt, 1953 wegen Krankheit entlassen und danach Berater Adenauers. Manstein meinte, die ebenso mutige wie verzweifelte Tat am 20. Juli sei “eines Offiziers nicht würdig” gewesen.

Gewinner der Heroisierung und “der einseitigen Hervorhebung der militärisch-konservativen Widerstandsleistung” (Hans Mommsen) war der deutsche Adel insgesamt. Erst Stephan Malinowskis Studie Vom König zum Führer. Deutscher Adel und Nationalsozialismus aus dem Jahr 2004 räumte gründlich auf mit der Legende, “der” deutsche Adel sei immun gewesen gegenüber Hitler und dem Nationalsozialismus, was der überdurchschnittliche Anteil an Adligen unter den Offizieren des 20. Juli beweise. Die Adligen, die Hitler widerstanden, und jene wenigen, die zum Tyrannenmord bereit waren, sind eine verschwindend kleine Minderheit. Die staatlich und pädagogisch befeuerte Heroisierung des Widerstandes in der Adenauer-Zeit “geriet zur Würdigung des Adels insgesamt” (Eckart Conze). Auch Kirchen und Wehrmacht bedienten sich nach 1945 der kleinen widerständigen Minderheit aus ihren Reihen zur Selbstentlastung von ihrem totalen und massenhaften Versagen. Widerständigkeit kann sich überhaupt keine Großorganisation, Partei oder Klasse auf die Fahne schreiben. Weder Adel, noch Kirche, weder KPD noch SPD waren als Kollektiv im Widerstand, sondern ganz unterschiedlich geprägte Menschen, die allesamt Außenseiter waren in ihren Herkunftsgruppen.

Nicht einmal jene adligen Offiziere, die sehr spät zum Äußersten schritten, waren von Anfang an Hitler-Gegner gewesen. Schon der Preußenschlag vom 20. Juli 1932 - die verfassungswidrige Absetzung der SPD-Regierung unter Mitwirkung von Carl Schmitt - und das darauf folgende “Kabinett der Barone” war auch eine Einstiegshilfe des Adels für Hitler. Stauffenberg begrüßte den “nationalen Aufbruch”. Biografische Untersuchungen zeigen, dass viele, die später zum militärisch-konservativen Widerstand kamen, nach 1933 für Hitler und 1939 für den Krieg waren und die Weimarer Demokratie so wenig verteidigten wie die Juden vor ihrem absehbaren Schicksal. Stauffenberg schrieb nach dem Überfall auf Polen, dessen Bevölkerung sei “ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich sicher nur unter der Knute wohlfühlt.” Erst der Einblick in die Kriegführung der Wehrmacht wie der Einsatzgruppen im Osten öffnete vielen Widerstandskämpfern die Augen über den verbrecherischen Charakter des Regimes und klärte sie auf über die eigene Befangenheit in rassistischen Denkstrukturen.

Diese späte Einsicht schmälert das Verdienst und den Mut der Männer des 20. Juli ebenso wenig wie deren eher krude bis reaktionäre Vorstellungen vom Nachkriegs-Deutschland. Die Konzepte des “Kreisauer Kreises” für die Zeit nach Hitler verraten “eine spürbare Demokratiefremdheit, gepaart mit dem auch aus bündischen und aristokratischen Wurzeln genährten Vertrauen auf elitäre Führung” (Hans-Ulrich Wehler). Exklusive Wertvorstellungen wie “Ritterlichkeit”, “Ehre” und “Gesittung” lagen den meisten näher als Demokratie und Rechtsstaat. Die Revision von “Versailles” und eine Option auf die deutsche Hegemonie im Osten Europas galt vielen “Kreisauern” als selbstverständlich. Nur eine Minderheit dachte an ein demokratisches und föderativ verbundenes Europa jenseits von Nationalismus und Rassismus.

1960 forderte die SPD, den 20. Juli zum Nationalfeiertag zu machen. Und noch vor wenigen Jahren sprach Joachim Fest vom “verschmähten Vermächtnis” des 20. Juli und einer “denunziatorischen Laune gegenüber dem Widerstand”. Demgegenüber besteht Hans Mommsen seit 1965 darauf, dass der 20. Juli weder nach hinten noch nach vorn anschlussfähig ist: Es gibt keine nennenswerte Kontinuität des konservativ-militärischen Widerstandes mit der Weimarer Demokratie. Die späteren Widerstandskämpfer lehnten diese als “Massendemokratie”, “Herrschaft der Minderwertigen” und “Parteiendemokratie” ebenso strikt ab wie die Nazis. Und die verfassungsrechtliche Ordnung der Bundesrepublik zehrt vom Widerstand nur insofern, als auch sie auf der Würde des Menschen und dem Schutz des Einzelnen vor staatlicher Bevormundung beruht. Carl Goerdeler jedoch träumte für die Zeit nach Hitler von der “wahren Volksgemeinschaft” zwischen “russischem Bolschewismus und angelsächsischem Kapitalismus”, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg sah den Adel als “staatstragende Schicht”. Man denunziert diese Männer nicht, und man setzt ihr Handeln nicht herab, wenn man feststellt, dass viele ihrer politischen Vorstellungen nicht zukunftsfähig, sondern nur reaktionär waren.

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 29 vom 20.07.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Rudolf Walther und des Verlags.

Veröffentlicht am

26. Juli 2007

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von