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Armer Konrad

Wohin mit dem Atommüll? Sicher ist, dass nichts sicher ist


Von Wolfgang Ehmke

Für den Bau und Betrieb eines Atomkraftwerkes braucht es einen Entsorgungsnachweis. Das war nicht immer so. Als das Versuchskraftwerk Kahl 1962 ans Netz ging, war die nukleare Entsorgung ein wenig diskutiertes Thema. Unter dem Eindruck massenhafter Proteste gegen die Atomkraftpläne am Oberrhein und an der Unterelbe, Wyhl und Brokdorf, verfügten Lüneburger Verwaltungsrichter dort einen Baustopp mit der Auflage, es müsse erst nachgewiesen werden, dass der strahlende Müll entsorgt werden könne. Bis heute beruht der Nachweis auf dem Bau von Hallen, in denen Spezialbehälter (Castorbehälter) mit den hochradioaktiven Brennelementen aufgestellt werden. Die Wiederaufarbeitung und das Abscheiden des Plutoniums in der französischen Anlage Cap de La Hague oder dem britischen Sellafield erhöhte zwar das Müllvolumen um den Faktor 10 bis 15, wurde aber inzwischen als Entsorgungsnachweis politisch und juristisch akzeptiert. Schwach- und mittelaktive Abfälle wurden in La Hague oberflächennah verscharrt.

Seit Mitte der siebziger Jahre dauert nun das Ringen um ein oder zwei Endlagerstätten in Deutschland: Schacht Konrad - ein ehemaliges Erzbergwerk im Raum Salzgitter - und Gorleben an der Elbe. Im Schacht Konrad sollen die schwach- und mittelaktiven Abfälle in Einlagerungskammern auf den Sohlen zwischen 800 bis 1.300 Meter Tiefe eingeschlossen werden. Weniger voluminös sind die Abfälle, die im Salzgestein in Gorleben versenkt werden sollen, aber sie sind hochradioaktiv und stark wärmeentwickelnd.

In einer Vielzahl von Urteilen hatten die Lüneburger Richter sich mit den Argumenten gegen Gorleben und den Schacht Konrad zu befassen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg machte am 8. März 2006 kurzen Prozess. Es gab grünes Licht für die endgültige Herrichtung des Salzgitteraner Erzbergwerks und ließ eine Revision nicht zu. Am 4. April 2007 wurde eine Klage gegen diese Entscheidung vom Leipziger Bundesverwaltungsgericht abgewiesen.

Der niedersächsische Umweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP) freute sich: Endlich werde der Weg frei für die Atommülllagerung, schließlich hätten die Energiekonzerne bereits 900 Millionen Euro in den Schacht investiert. Ausgleichszahlungen für die “betroffene Region” sollten folgen. Und ob an anderer Stelle als in Gorleben vergleichende Untersuchungen stattfinden, sei nicht seine Sache. Auch an Gorleben hat der ehemalige Landwirt Sander einen Bären gefressen. Der Salzstock soll zu Ende erkundet werden. Alles andere “kommt nicht in Frage”, poltert er. Das fordert auch die CDU/CSU, allen voran Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), wenn auch nicht in der Sanderschen Hemdsärmeligkeit, während Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) bis zur Sommerpause das ehrgeizige Ziel verfolgt, eine vergleichende Endlagererkundung im Kabinett beschließen zu lassen.

Doch nicht nur Herr Sander freut sich zu früh. Walter Traube, Landwirt und Konrad-Kläger, hat eine Verfassungsbeschwerde eingereicht. Seine Anwältin Wiltrud Rülle-Hengesbach argumentiert, die Rechtswegegarantie des Grundgesetzes werde verletzt: Weder die Lüneburger noch die Leipziger Richter hätten sich mit der Kritik am Genehmigungsverfahren auseinandergesetzt. Die Fragen des Transportrisikos, der Langzeitsicherheit, der Gefahren durch Flugzeugabstürze oder terroristische Anschläge seien unbeantwortet geblieben. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag Stefan Wenzel fordert ein Endlagerhearing. Es könne nicht angehen, dass Anlieger und Kommunen bei einem solchen Verfahren weniger Rechte hätten als beim Bau einer Kreisstraße. Das abgesoffene “Versuchsendlager” Asse und die marode Deponie in Morsleben - ja, Deutschland hatte schon seine Endlager - zeigten in beklemmender Deutlichkeit, dass die Auswahlkriterien der Vergangenheit nicht einmal für eine Generation Sicherheit boten.

Viele Annahmen haben sich als falsch erwiesen. Da gab es in den Siebzigern optimistische nukleare Ausbaupläne, deren Abfallprodukt, der Müll, sich auf 650.000 Kubikmeter summierte. All der sollte in den armen Konrad. Die Erzgrube wurde ausgerechnet vom Betriebsrat als Endlagerstätte ins Spiel gebracht, um nach der Schließung 1.976 Arbeitsplätze zu erhalten. Gefühlt war die Grube “außergewöhnlich trocken”. Das Planfeststellungsverfahren zog sich hin. Die Gegner schlossen sich zur Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad zusammen: Städte und Gemeinden, die IG Metall, das Landvolk. Landwirt Traube weiß dieses Bündnis hinter sich. Immer wieder wurde der Schacht auch als europäisches Endlager ins Spiel gebracht, denn statt der 650.000 ist nur noch für 303.000 Kubikmeter Bedarf. Die Atomkraft ist längst ein Auslaufmodell. Ausbaupläne in Finnland, Frankreich oder der Schweiz ändern nichts an diesem Trend, das Abfallvolumen lässt sich überschauen.

Schließlich Gorleben: das einzige Projekt, das für die hochradioaktiven Abfälle in Angriff genommen wurde, ist ebenfalls überdimensioniert und auch ein Relikt des nuklearen Optimismus der siebziger Jahre. Deshalb soll nur noch die Nord-Ostflanke des Salzstocks als Endlager dienen. Da Gorleben bisher nach Bergrecht, also ohne jede Öffentlichkeitsbeteiligung ausgebaut wurde, kann das Planfeststellungsverfahren zu einem Show-down der Befürworter führen. Eine rechtliche Auseinandersetzung um Gorleben steht erst noch bevor - mit unsicherem Ausgang angesichts der katastrophalen Erkundungsergebnisse aus den achtziger und neunziger Jahren. Mit der Konsequenz, dass nach über 30 Jahren Endlagersuche von vorn begonnen werden müsste.

Das weiß Gabriel genau. Er kann, was Gorleben angeht, auf das Ergebnis des “Arbeitskreises Endlager” seines Amtsvorgängers Jürgen Trittin (Grüne) zurückgreifen: Wissenschaftlich haltbar sei allein ein Standortvergleich. Sein Schacher: Findet man keinen besseren Standort als Gorleben, bleibt es bei Gorleben. Fragt sich, wann wird die internationale Karte gezückt? Ingo Hensing (Universität Köln) errechnete in seiner Studie Ansätze einer internationalen Endlagerung schon 1996 Vorteile einer internationalen Lösung. Er untersuchte modellhaft auch die Öffnung Gorlebens als europäische Atommülldeponie. Auf der Jahrestagung Kerntechnik 1998 schlugen die Atomlobbyisten Klaus Kühn und Peter Brennecke vor, aus Kostengründen in Europa fünf Endlager für hochradioaktiven Müll einzurichten: je eines in Russland, Skandinavien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Kühn machte sich unverdrossen stark für die Einrichtung eines Versuchsendlagers im Salzbergwerk Gorleben. Aufgepasst - das gehört heute mit zur Agenda des SPD-Umweltministers.

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 16 vom 20.04.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

21. April 2007

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