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Gefangene oder Kriminelle?

Von Amira Hass, Haaretz, 11.04.2007

Die Kundgebung für die entführten Soldaten und ihre Familien als Druckmittel gegenüber den Politikern deutet auf eine vernünftige Entwicklung hin: die israelische Öffentlichkeit zweifelt an den Motiven und der Fähigkeit der Regierung des Ministerpräsidenten Ehud Olmerts hinsichtlich der drei Gefangenen. Der Glaube an die Politiker in Bezug auf Kriegsgefangene pflegte einem Tabu gleich zu kommen. Nun nicht mehr.

Aber der aufgekommene Zweifel genügt nicht, so wie auch Kundgebungen nicht ausreichen. Selbst wenn die letzten Medienberichte, dass es wieder Fortschritte bei den Verhandlungen um die Entlassung von Gilad Shalit gebe, richtig sind, so geht es in der Hauptsache um das Verteidigungsestablishment und seine Aufseher in der Regierung. Es ist genau dasselbe Verteidigungsestablishment, das so gewaltig bei der Mission versagte, die Soldaten zu befreien und das zu zwei blutigen militärischen Angriffen führten - unter dem Vorwand, den Terror zu bekämpfen: den einen gegen den Gazastreifen und seine Zivilisten und den anderen gegen den Libanon und seine Zivilisten. Das gezielte Töten bewaffneter Palästinenser und Hisbollahkämpfer verblasst im Vergleich zu den zivilen Opfern, Toten sowie Verletzten im Gazastreifen und im Libanon und dem Schaden an der zivilen Infrastruktur. Diese Angriffe verringerten nur die Chance der Freilassung und fügten den entführten Männern und ihren Familien Monate (unnötigen) Leidens hinzu.

Die Fehlschläge im politischen und sicherheitsrelevanten Mechanismus sind diejenigen, die seit Jahren hinsichtlich der palästinensischen Gefangenen in Israel die Grundsätze formulierten. Der erste Grundsatz ist der, dass jeder palästinensische Sicherheitsgefangene ein Krimineller ist. Selbst während der Oslo-Periode löste sich Israel nicht von dieser Definition und erkannte die Palästinenser nicht als Kriegsgefangene an, die als integraler Teil eines Friedensprozesses entlassen werden müssen. Israel entließ viele Tausend, aber es tat dies nur als Geste des Beherrschers. Es demonstrierte damit auch eine rassistische Haltung, da es Gefangene entließ, die wegen Mordes an palästinensischen Kollaborateuren verurteilt waren, aber nicht jene, die verurteilt waren, einen Juden (unter ihnen Soldaten) getötet oder verletzt zu haben.

So sitzen bis heute etwa 400 Palästinenser in Israel in Gefangenschaft, die wegen Verbrechen (so werden sie wenigstens im Gesetzbuch des Besatzers definiert) verurteilt worden sind, die vor der Unterzeichnung des Gaza-Jericho-Abkommens (Mai 1994) begangen wurden. Diejenigen, die verantwortlich für diese Gefangenen sind, von Arafat über Yasser Abed Rabbo bis hin zu Mohammed Dahlan, verbrachten viele Stunden bei Verhandlungen und Cocktail-Parties mit israelischen Vertretern. Aber jene unter ihrem Kommando werden vermutlich ihre Gefängnisstrafen - von mehreren Jahrzehnten - bis zum Ende oder lebenslang verbüßen müssen - in schockierendem Kontrast zu jüdischen Gefangenen, besonders jüdischen Siedlern in den besetzten Gebieten, die wegen Mordes “aus nationalistischen Motiven” verurteilt und schnell entlassen wurden, nachdem ihre Strafe reduziert wurde.

Unter den palästinensischen Gefangenen gibt es schwer Kranke. Das rachesüchtige israelische System verweigert ihnen aber die Entlassung. Familienmitgliedern der meisten Gefangenen wird lange Zeiten hindurch ein Besuch verweigert. Alle werden - und das ist auch wieder ein solcher Grundsatz im Vergleich zu jüdischen Gefangenen - mit den Gefängnisbedingungen diskriminiert, im Vergleich. Seit der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens verleugneten die meisten Israelis die Tatsache, dass sie Bürger eines Besatzungsstaates sind. Sie bezeichnen die augenblickliche Intifada als einen Krieg, der uns von einem fiktiven palästinensischen Staat erklärt wurde. Und obwohl dies als Krieg bezeichnet wird, werden die Palästinenser immer als Terroristen bezeichnet, auch dann, wenn sie gegen Soldaten und nicht gegen Zivilisten agieren. Das dazu gehörende Axiom ist, dass auf unserer Seite nur “Soldaten” sind, selbst dann, wenn sie den Auftrag erhalten, gegen die besetzte zivile Bevölkerung vorzugehen.

Der gemeinsame Nenner dieser Axiome ist der Unterschied von Blut und Person. Der Jude ist immer mehr wert, viel, viel mehr - ob er nun Opfer ist, oder Soldat oder Kriegsgefangener. Dieser Unterschied spielt eine bedeutsame Rolle bei der palästinensischen Unterstützung der Entführungstaktik. Wenn weder politische Logik oder diplomatische Verhandlungen noch das Prinzip der Gleichheit zur Entlassung von palästinensischen Gefangenen führt - wird es vielleicht durch die Entführung von Israelis gelingen. Es ist eine traurige Tatsache, dass man nur dann, wenn Soldaten entführt werden, sich an die Existenz der palästinensischen und libanesischen Gefangenen erinnert.

Nur die Kundgebungen zugunsten der Entführten hinterfragen diese Axiome nicht - und deshalb sind diese Kundgebungen nur Zeremonien, deren einziger Zweck es ist, die zu erfreuen, die sie halten.

Deutsche Übersetzung: Ellen Rohlfs.

Veröffentlicht am

18. April 2007

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