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Banalitäten und glatte Lügen - Reaktionen auf Jimmy Carters neues Buch über Nahost

Von Robert Fisk - The Independent / ZNet 27.12.2006

Hier, in den USA, blicke ich auf jenes Land, in dem ich normalerweise lebe - ohne die Landschaft wiederzuerkennen. Ich spreche in diesem Zusammenhang von einer Art ‘Alice-im-Wunderland-Effekt’. Bei all meinen Reisen durch die USA blicke ich wie hinter einen Spiegel auf jene ferne Region Mittlerer Osten, in der ich eigentlich lebe und für The Independent arbeite. Der Blick aus dieser neuen Perspektive zeigt mir eine ganz und gar veränderte Landschaft. Hier, in den USA, wird die Tragödie, die sich in der Ferne abspielt, zu einer verheuchelten Banalität, zu einer heuchlerischen Farce, zu einer glatten Lüge. Bin ich die grinsende Katze aus ‘Alice im Wunderland’ oder der verrückte Hutmacher?

Am Flughafen von San Francisco gable ich Jimmy Carters neues Buch auf. Es trägt den Titel: ‘Palestine. Peace Not Apartheid’. Ich verschlinge es an einem Tag. Es ist ein gutes, starkes Buch. Ex-Präsident Carter ist der einzige amerikanische Präsident mit so etwas wie einem Heiligenschein. In seinem Buch listet er die empörende Behandlung der Palästinenser auf, die israelische Besatzung, die Enteignung palästinensischen Landes durch Israel - all die Brutalitäten, die dieser entwürdigten, unterjochten Bevölkerung zugemutet werden. Carter spricht von “einem System der Apartheid; zwei Völker sitzen auf demselben Land, jedoch komplett separiert voneinander. Die total dominanten Israelis wenden unterdrückerische Gewalt an, indem sie die Palästinenser ihrer menschlichen Grundrechte berauben”.

Carter zitiert einen Israeli mit den Worten, er “befürchte, dass wir uns auf eine Regierung wie die (damals) in Südafrika zu bewegen - auf eine zweigeteilte Gesellschaft, mit jüdischen Herren und arabischen Unterdrückten, die nur wenige bürgerliche Rechte besitzen.” Es gäbe auch eine moderatere - nichtsdestotrotz inakzeptable - Variante dieses Vorschlags, so Carter: Ein “substanzieller Teil des besetzten Territoriums und die darin verbliebenen Palästinenser würden, laut dieses Vorschlags, vollständig von Mauern, Zäunen und israelischen Checkpoints umzingelt, und (diese Menschen) leben dann als Gefangene in einem kleinen Teil des ihnen verbliebenen Landes”.

Ich brauche nicht extra zu erwähnen, dass die US-Presse und das amerikanische Fernsehen dieses äußerst vernünftige Buch fast völlig ignoriert haben - das heißt, bis zu dem Moment, als die üblichen Israel-Lobbyisten dem armen alten Jimmy Carter wüste Beschimpfungen an den Kopf warfen. Dabei ist Carter der Architekt jenes Friedensvertrages zwischen Israel und einem seiner Nachbarn (Ägypten), der noch am längsten gehalten hat. Dieser Vertrag wurde 1978 mit dem berühmten Camp-David-Abkommen abgesichert. Die New York Times (Slogan: “All The News That’s Fit To Print” - ha, ha, dass ich nicht lache) fühlte sich bemüßigt, ihren Lesern mitzuteilen, Carter stifte mit dem Wort “Apartheid” “Furore unter den Juden”. Die (berechtigte) Antwort des Ex-Präsidenten fiel milde aus. Er verwies darauf, dass Israel-Lobbyisten in US-Redaktionen “eine gewisse Zurückhaltung, was Kritik an der israelischen Regierung angeht”, erzeugten.

Ein typisches Beispiel für die Schmutzkampagne gegen Carter ist der Kommentar von Michael Kinsley in der New York Times (wo sonst). Darin heißt es, Carter “vergleicht Israel mit der früheren rassistischen weißen Regierung Südafrikas”. Abe Foxman, von der amerikanischen Anti Defamation League (ADL), setzt noch eins drauf mit einer böswilligen Unterstellung. Der Grund, weshalb Carter das Buch geschrieben habe, so Foxman, sei “diese schamlose, schändliche Zeitungsente, dass die Juden die Debatte im Land (Amerika) kontrollieren würden - vor allem, was die Medien angehe. Die Sache wird dadurch so ernst, dass es sich nicht um irgendeinen Guru oder Analysten handelt, sondern um einen Ex-Präsidenten der Vereinigten Staaten”.

Das trifft den Nagel auf den Kopf, oder? Schließlich handelt es sich nicht um das Traktat irgendeines Harvard-Professors zum Thema Lobbyismus. Aber Jimmy Carters Buch ist eine ehrliche und ehrenhafte Bilanz. Der Verfasser ist gleichermaßen ein Freund Israels wie der Araber - und nur der Zufall will es, dass er zudem ein feiner ehemaliger Staatsmann der Vereinigten Staaten ist. Aus diesem Grund ist Carters neues Buch auch zum Bestseller geworden. Applaus an dieser Stelle für jene großartige amerikanische Öffentlichkeit, die Mr. Foxman nicht geglaubt und das Buch gekauft hat.

Allerdings frage ich mich in diesem Zusammenhang, weshalb die New York Times und die anderen US-Mainstream-Blätter ohne Mumm in den Knochen, die damaligen warmherzigen Beziehungen zwischen Israel und dem extrem rassistischen Apartheid-Regime in Südafrika nicht von sich aus erwähnt haben. Und aus welchem Grund sollte Carter sie in seinem Buch nicht erwähnen? Da war dieser äußerst profitable Diamantenhandel zwischen Israel und dem damals unter Sanktionen stehenden rassistischen Südafrika, nicht? Und da waren die starken, fruchtbaren Militärbeziehungen zwischen Israel und dem rassistischen südafrikanischen Regime, stimmt’s? Bin ich ein in eine Glaskugel starrender Träumer, wenn ich mich daran zu erinnern glaube, dass im April 1976 der südafrikanische Premierminister John Vorster (einer der Architekten jenes üblen südafrikanischen Apartheid-Systems, das an die Nazis erinnert) Israel einen Staatsbesuch abstattete? Und wurde Vorster damals nicht offiziell und mit allen Ehren empfangen - von Israels Premier Menachem Begin, dem Kriegshelden Moshe Dayan und dem späteren Friedensnobelpreisträger Jitzhak Rabin? Derlei Themen spielen natürlich keine Rolle bei der großen amerikanischen Diskussion um Jimmy Carters neues Buch.

Am Flughafen von Detroit fällt mir ein noch dünneres Büchlein in die Hände - der Baker-Hamilton-Iraq-Study-Group-ReportUnter Wikipedia findet sich der sogenannte “Baker-Report” mit umfassender Hintergrundinformation unter http://en.wikipdia.org/wiki/Iraq_Study-Group . Natürlich handelt es sich hierbei um keine echte Irakstudie. Stattdessen bietet der Report einige deprimierende Auswege, wie sich George Bush - ohne allzuviel Blut an seinem Hemdkragen - aus der Katastrophe im Irak verdünnisieren könnte. Nach ein paar Plaudereien mit Irakern in Bagdads ‘Grüner Zone’ (“Traumzone” wäre wohl der passendere Ausdruck) war man auf ein paar nützliche Ideen gekommen (die von israelischer Seite - wie vorhersehbar - umgehend zurückgewiesen wurden). Diese Ideen lauten: ernsthafte Wiederaufnahme der palästinensisch-israelischen Friedensgespräche, ein israelischer Rückzug von den Golanhöhen usw.. Allerdings ist der Bericht in einer sehr tranigen Sprache gehalten. Sie ist typisch für diese rechtsgerichteten Thinktanks. Es ist die Sprache der inzwischen diskreditierten Brookings Institution und die Sprache meines guten alten, von missionarischem Eifer erfüllten “Freundes” von der New York Times, Tom Friedman. Es ist eine Sprache, in der es nur so wimmelt von schwammigen Grenzziehungen und vagen Mahnungen (wie: “die Zeit wird langsam knapp”).

Der Grund für all diesen Unsinn wurde mir erst klar, als ich am Ende des Reports die Liste der “Experten” durchsah, die Baker, Hamilton und Konsorten für ihren Report zu Rate gezogen hatten. Darunter finden sich viele Stützen der Brookings Institution - und natürlich Thomas Friedman von der New York Times.

Die Debatte, die nach dem Baker-Bericht entbrannt ist - unter den Großen und Guten (die die USA in diese Katastrophe gezerrt haben) -, ist an Wahnwitz wirklich nicht mehr zu überbieten. Da ist General Peter Pace, ein extrem eigenartiger Mann und Vorsitzender des amerikanischen Oberkommandos der Streitkräfte (JCS). Über den amerikanischen Krieg im Irak sagt er Folgendes: “Wir gewinnen nicht, aber wir verlieren auch nicht”. Bushs neuer Verteidigungsminister Robert Gates meinte hierauf, er stimme “General Pace zu. Wir gewinnen nicht, aber wir verlieren auch nicht”. Auch James Baker beteiligte sich an der Posse, indem er versicherte: “Ich denke, man kann nicht sagen, dass wir verlieren. Gleichzeitig (!) bin ich mir aber nicht so sicher, dass wir gewinnen”. An diesem Punkt proklamierte Bush diese Woche: Ja, es stimmt, “wir gewinnen nicht, wir verlieren aber auch nicht”. Mein Mitgefühl gilt den Irakern.

Über all diesen Irrwitz grübelte ich in meinem Flieger - 37.000 Fuß über Colorado und bei starken Turbulenzen - nach. Dann kam mir die Idee, wie diese seltsame Runde im Irakkrieg zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und den Kräften des Bösen ausgehen wird: unentschieden.

Das so eben erschienene Buch von Jimmy Carter ist im Original erhältlich: ‘Palestine: Peace Not Apartheid’, aber leider noch nicht in deutscher Übersetzung (d. Übers.)

Quelle: ZNet Deutschland   vom 02.01.2007. Übersetzt von: Andrea Noll. Originalartikel: Banality and barefaced lies .

Fußnoten

Veröffentlicht am

03. Januar 2007

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