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Gemeinsam gewaltfrei

Aktivitäten palästinensischer, israelischer und internationaler FriedensaktivistInnen im Westjordanland

Von Sebastian U. Kalicha Der Autor war mehrere Monate in der Region aktiv und ist Mitherausgeber der Broschüre “Texte und Interviews zu Anarchismus, KDV und gewaltfreiem Widerstand in Israel/Palästina”, Gruppe CoRa Wien, gruppecora@gmx.net .

In der täglichen Tragödie, die sich im besetzten Westjordanland abspielt, sind gewaltfreie Widerstandsformen zu einer fixen Größe im täglichen Überlebenskampf unter der Besatzung geworden.

Dieser gewaltfreie Widerstand ist jedoch ohne israelische und internationale Unterstützung kaum durchführbar. Die Präsenz von israelischen und internationalen AktivistInnen bewirkt, dass die israelische Armee und Border Police ihr großes Repertoire an “non-lethal-weapons”, also nicht tödlichen Waffen, zum Einsatz bringen und nicht, wie dies in der Vergangenheit bereits geschehen ist, mit scharfer Munition in die Menge schießen und so Demonstrationen auflösen. Elf Menschen sind bis dato bei Demonstrationen gegen die Mauer/den Zaun ums Leben gekommen, Hunderte wurden verletzt.

Gewaltfreie Demonstrationen …

Die gewaltfreie Protestbewegung ist meistens dort am aktivsten, wo die Bauarbeiten zu der Barriere vonstatten gehen. Zurzeit ist das im Süden der Westbank, zwischen Bethlehem und Hebron, der Fall. Aber auch im Norden sind manche Dörfer noch aktiv gegen die schon fertig gestellten Barriereabschnitte.

Das Dorf Budrus, lange Zeit das Symbol für gewaltfreien Widerstand in der Westbank, hat den aktiven Widerstand eingestellt, da die BewohnerInnen gemeinsam mit israelischen und internationalen AktivistInnen mit unermüdlichem Engagement die Barriere bis auf die Grüne Linie zurückdrängen konnten. Ein bemerkenswerter Erfolg gewaltfreier Widerstandsmethoden.

Bei Bil’in verhält sich das nicht so. Ungefähr 60 % der landwirtschaftlichen Fläche dieses Dorfes sind auf der anderen Seite des Zaunes, und dort, auf der “anderen Seite”, wächst die jüdische Siedlung, werden immer neue Häuser förmlich aus dem Boden gestampft, um “Facts on the Ground” zu schaffen, wie es viele FriedensaktivistInnen nennen. Hier wird die primäre Intention dieses Sperrwalls augenscheinlich.

Jeden Freitag findet eine Demonstration durch das Dorf zu der Barriere statt, jeden Freitag finden sich Dutzende AktivistInnen aus aller Welt und aus Israel ein, um das Dorf zu unterstützen. Koordiniert wird der gewaltfreie Protest von dem “Popular Committee of Bil’in”, einem überparteilichen Zusammenschluss von verschiedenen DorfbewohnerInnen. Es finden auch regelmäßige Treffen zwischen den DorfbewohnerInnen und den Anarchists Against the Wall statt, die, wie in so vielen Regionen der Westbank, scheinbar unermüdlich sind in ihrem Widerstand gegen den Mauerbau. Neben den israelischen AnarchistInnen beteiligen sich z.B. auch Gush Shalom, Rabbis for Human Rights oder AktivistInnen von Ta’ayush und New Profile an den Protesten, was eine interessante, heterogene Mischung aus AnarchistInnen, HausbesetzerInnen, linken StudentInnen und FriedensaktivistInnen älteren Semesters ergibt. Es wurde inzwischen auch “The Coalition Against the Fence” gegründet. Gruppen, die sich beteiligen, sind: The Popular Committees against the Wall and Settlements-Palestine, Gush-Shalom, Ta’ayush, Women’s Coalition for Peace, Yesh Gvul, ICAHD, Hadash, Maki, Banki, Rabbis for Human Rights, Balad, Anarchists Against Walls.

Bil’in ist auffallend kreativ darin, seinen Widerstand zu artikulieren. So wurde einmal die Demonstration mit Postern ausgestattet, welche die Abbilder von Mahatma Gandhi, Martin Luther King und Nelson Mandela zeigten, in deren Tradition sich das Dorf mit seinem Widerstand sieht. Während des Libanonkrieges wurden Särge gebaut, die sich dann später als Steighilfen über den Stacheldrahtzaun entpuppten, der vor dem drei Meter hohen Zaun, ausgestattet mit diverser Überwachungstechnik wie Bewegungsmeldern und Videokameras, noch zusätzlich ausgerollt ist. Schweigemärsche mit schwarzen Fahnen als Zeichen der Trauer über die Opfer des Krieges fanden statt, Parolen wie “No War!” und “Soldiers go home!” wurden skandiert.

Gewaltfreie Aktionen, Blockaden …

Der Protest geht aber über eine rein symbolische Ebene hinaus. Gewaltfreie Aktionen richten sich primär gegen Übergangstore der Mauer/des Zauns, gegen den Zaun selbst und gegen Roadblocks. Roadblocks sind in der Regel große, von Bulldozern aufgeschüttete Erd- und Geröllhaufen oder massive Betonquader, u.a. an den Zufahrtsstraßen von palästinensischen Dörfern, was zur Folge hat, dass ein Passieren nur zu Fuß möglich ist. Meistens wird von den jeweiligen Dörfern eine Demonstration zu einem bestimmten Roadblock organisiert, mit dem anschließenden Ziel, diesen mit Schaufeln, Spaten, Seilen oder mit bloßen Händen wegzuräumen, bis wieder Traktoren, Lieferwagen und Autos durchfahren können. Manchmal sprechen sich Dörfer auch untereinander ab, sodass beispielsweise fünf Roadblocks zeitgleich weggeräumt werden. Manchmal duldet die Armee solche Aktionen, in der Regel kommt jedoch zumeist, wenn die Aktion nicht schon zuvor verhindert wurde, noch am selben Abend ein Bulldozer und schüttet den Roadblock wieder auf.

Wenn aus Zaun bestehende Abschnitte der Barriere oder Stacheldrahtrollen zerschnitten werden, läuft dies nach einem ähnlichen Muster ab. Eine vorher bestimmte, mit Zangen ausgestattete Gruppe von AktivistInnen schneidet entweder im Zuge oder am Rande einer Demonstration die Zäune durch. In Gebieten, wo die Barriere noch nicht fertig gestellt ist, ketten sich AktivistInnen immer wieder an den einbetonierten Metallpfeilern oder an von der Abrodung bedrohten Olivenbäumen an. Bagger und Bulldozer, die mit der Errichtung der Barriere beschäftigt sind, werden blockiert.

In Bil’in wurde eine Straße mit einem großen Rohr blockiert, in dem sich einige israelische AktivistInnen angekettet hatten und kurze Zeit später brutal geräumt wurden.

Am Morgen des 6. Juli 2006 besetzten drei Familien aus Bil’in gemeinsam mit AktivistInnen der Anarchists Against the Wall einen noch leer stehenden Wohnblock der angrenzenden jüdischen Siedlung Matityahu East für einige Stunden. Sie argumentierten, dass sie ein Recht hätten, in Häusern zu wohnen, welche illegal auf enteignetem Boden des Dorfes erbaut wurden. Zurzeit ist Matityahu East ein Fall für die israelischen Gerichte. Solange der Oberste Gerichtshof Israels damit beschäftigt ist, gilt ein Baustopp für den gesamten Siedlungsbereich.

Blockaden finden aber auch in Israel statt. Am 8. August 2006 zum Beispiel blockierten zahlreiche israelische AktivistInnen anlässlich des Libanonkrieges die “Ramat David Israeli Airforces Base” nahe Haifa. Auf Transparenten waren Forderungen wie “stop killing of civilians” und “stop the war crimes” zu lesen. In einer Presseerklärung der Gruppe heißt es: “The international law requires of every human being the duty of resistance to war crimes using every possible means. At this moment, when the rockets are falling, the war crimes are committed, the victims buried, it is time to fight to stop the war (…) We repeat and we say what is known for everyone; there is no military solution. We are calling on the Israeli government and its people to wake up and behave in a moral way (…) We must stop the war machine and the destruction.” www.palsolidarity.org/main/2006/08/08/israelis-arrested-blocking-road/ .

Im Zuge der Räumung wurden zwölf AktivistInnen verhaftet.

Auch das spektakuläre und, wie sich leider gezeigt hat, äußerst gefährliche Durchbrechen von Übergangstoren der Barriere, das vor allem von den Anarchists Against the Wall des Öfteren praktiziert wird, und im Zuge dessen ein Anarchist in Mas’ha beinahe von einem Scharfschützen der IDF getötet wurde, ist Teil einer ganzen Reihe von gewaltfreien Aktionen im besetzten Westjordanland, die hier teilweise angeführt und kurz skizziert wurden.

… und die Konsequenzen

Wie verhalten sich Armee und Border Police nun in Bezug auf gewaltfreie Demonstrationen, gewaltfreie Aktionen und Blockaden in der Westbank? Die IDF hat eine Reihe von nicht-tödlichen Waffen, die sie regelmäßig gegen AktivistInnen einsetzt.

Die am häufigsten zur Anwendung kommende Waffe ist die so genannte “Sound-Grenade”.

Dabei handelt es sich um einen orangefarbigen Plastikkanister, welcher mit einem lauten Knall explodiert und dabei eine Druckwelle erzeugt. “Sound Grenades” können, wenn sie nahe am Körper explodieren, schwere Brandverletzungen verursachen und zu Schäden im Gehörbereich führen. Diese Waffe hat primär den Zweck, dass sie, direkt in eine Demonstration geworfen, einen kompakten Block von Menschen auflöst und die AktivistInnen in der Regel zurückdrängt und zerstreut. Wenn dies gelungen ist, kommen meistens Waffen wie Tränengas und Hartgummigeschosse zum Einsatz.

Beim Tränengas gibt es unterschiedlichste Formen, die Aggressivität des Gases betreffend, aber auch in Aussehen und Reichweite.

Manche Tränengaskanister werden aus Vorrichtungen an den Gewehren der SoldatInnen weggeschossen, manche werden, wie die “Sound-Grenades”, mit der Hand geworfen. Oft kommt es vor, dass die Tränengaskanister nicht in einem hohen Bogen auf die Demonstration gefeuert, sondern direkt in Kopfhöhe abgeschossen werden, was den Einsatz von Tränengas doppelt gefährlich macht.

“Hartgummigeschoss” ist eigentlich ein nicht zutreffender Begriff, wenn von den Kugeln die Rede ist, welche die IDF in den besetzten Gebieten einsetzt. Diese als Hartgummigeschosse bezeichneten Kugeln sind größtenteils murmelgroße Metallkugeln, umhüllt von einem ca. 1 mm dicken Hartplastikmantel. Diese Kugeln können im Kopfbereich tödlich sein.

Am 11. August 2006 wurde der aus Deutschland stammende israelische Aktivist und Rechtsanwalt Lymor Goldstein bei der wöchentlichen Demonstration in Bil’in von drei Kugeln, abgefeuert von der israelischen Border Police aus einer illegal nahen Distanz, im Kopf- und Nackenbereich getroffen und beinahe getötet. Eine Kugel drang in seinen Schädel, oberhalb des rechten Ohres, ein und musste operativ entfernt werden. Die israelische Armee zeigte wenig Ambitionen, den schwer verletzten Goldstein auf schnellstem Wege in einen Ambulanzwagen und anschließend in ein Krankenhaus zu bringen. Über zwei Stunden vergingen, bis der Aktivist endlich in das Tel Hashomer Hospital in Tel Aviv eingeliefert wurde. Es ist zu befürchten, dass er bleibende Schäden davontragen wird.

Gewaltfreie Aktionen und Demonstrationen werden immer wieder auch mit Wasserwerfern und Schlagstöcken attackiert.

Gezielte Verhaftungen von AktivistInnen, oft mit anschließendem Gerichtsverfahren, egal ob es nun z.B. Mitglieder der Dorfkomitees, israelische oder internationale AktivistInnen sind, dienen der Einschüchterung der Protestbewegung.Videoclips von Demonstrationen in Bil’in sind unter angeführten Links abrufbar. Der erste Link zeigt den schweren Zwischenfall mit Lymor Goldstein. http://mishtara.org/blog/?p=70   + http://mishtara.org/blog/?p=87 .

Fazit

Trotz all der Bemühungen scheint es so, als ob sich die Barriere ihren Weg durch das besetzte Westjordanland bahnen wird, zwar mit Verzögerungen, aber doch. In vielen Regionen sind die Ambitionen zum Protest bereits völliger Resignation gewichen, speziell dort, wo die Barriere schon Realität geworden ist und die Menschen vor Ort spüren, wie katastrophal sich diese, in Kombination mit der andauernden israelischen Besatzung, auf ihr Leben auswirkt. Die Hoffnung, dass Israel das Urteil des IGH (Internationaler Gerichtshof) vom 9. Juli 2004 ernst nimmt und umsetzt, sprich: sofortiger Baustopp, Abriss aller bereits gebauten Abschnitte und Reparation für entstandene Schäden, wird vermutlich ebenfalls enttäuscht werden.

Es bleibt zu hoffen, dass die gewaltfreie Widerstandsbewegung, angesichts der heftigen und permanenten Repression, nicht das Handtuch wirft und Ernüchterung und Resignation stattdessen Einzug halten.

Es bleibt zu hoffen, dass, solange es notwendig ist, Israelis, PalästinenserInnen und internationale AktivistInnen weiterhin gegen Unterdrückung und für Menschenrechte kämpfen … gemeinsam!

Quelle: graswurzelrevolution   314 dezember 2006

Fußnoten

Veröffentlicht am

06. Dezember 2006

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