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Die US-Panzer werden aus dem Irak rollen - auf einem mit Ausreden gepflasterten Weg

Von Robert Fisk - Seattle Post / ZNet 16.11.2006

“Großartige Neuigkeiten aus Amerika!” rief mir die Kassiererin meines Buchladens in Beirut neulich morgens entgegen und hob beide Daumen. “Nach diesen Wahlen wird alles besser, oder?” “Nun”, sagte ich, “nun, nein”. Es wird noch schlimmer kommen im Mittleren Osten - selbst, wenn die USA in zwei Jahren mit einem Demokratischen (demokratischen) Präsidenten gesegnet sein sollten.

Die katastrophalen Philosophen, die hinter dem irakischen Blutbad stecken, waschen ihre Hände in Unschuld und wollen mit dem Schlamassel nichts zu tun haben. “Nicht wir!” rufen sie und sind dabei so enthusiastisch wie die libanesische Lady in meinem Buchladen. Derweil bereiten die “Experten” des amerikanischen Ostküsten-Presse-Mainstreams den Boden für den Rückzug aus dem Irak: einfach alles den gierigen, blutrünstigen, anarchischen, verderbten, kompromisslosen Irakern in die Schuhe schieben.

Bei Richard Perles Version des ‘Mea Culpa’ verschlägt es mir regelrecht den Atem. Als damaliger Vorsitzender des Pentagon Defense Policy Board Advisory Committee hatte er noch gesagt: “Der Irak ist ein sehr guter Kandidat für demokratische Reformen”. Heute gesteht Perle, “die Verderbtheit im Irak unterschätzt” zu haben. Natürlich sieht er die Verantwortung beim amerikanischen Präsidenten. Gleichzeitig schränkt er ein (liebe Leser, tief durchatmen): “Ich denke, wenn ich (das Orakel von) Delphi wäre und vorausgesehen hätte, wo wir heute sind und die Leute mich gefragt hätten, “sollen wir in den Irak rein?” hätte ich, so denke ich heute, gesagt, “nein, lasst uns andere Strategien in Betracht ziehen”“.

Vielleicht geht mir Perles widerlich selbstgerechtes ‘Mea Culpa’ deshalb so gegen den Strich, weil Perle der Fiesling war, der mich vor ein paar Jahren in einer Radiosendung in Bagdad übel beschimpft hat. Er hat mich verurteilt, weil ich darauf beharrte, die USA würden ihren Krieg im Irak verlieren. Perle behauptete damals, ich sei “ein Unterstützer der Aufrechterhaltung des Baathistischen Regimes” - eine besonders niederträchtige Lüge, zumal ich über Saddams Massenvergewaltigungen und Massenhinrichtungen in Abu Ghraib schon berichtet hatte, als Perle und seinesgleichen noch zu Saddam Husseins Untaten schwiegen und Perles Kumpel Donald Rumsfeld dem ‘Monster von Bagdad’ fröhlich die Hand schüttelte, um die Wiedereröffnung der Amerikanischen Botschaft in Bagdad zu erreichen. Das nur nebenbei gesagt.

Perle ist in guter Gesellschaft. Da ist zum Beispiel Kenneth Adelman - Kriegstrommler der Pentagon-Neokonservativen. Adelman sagte kürzlich in Vanity Fair: “Die Idee, unsere Macht zum Zwecke des moralisch Guten in der Welt einzusetzen” sei tot. Und sein Kumpel David Frumm kommt zu dem Schluss, der Präsident habe seine “Ideen wohl nicht ganz absorbiert” - die Ideen hinter Frumms Reden nämlich, die dieser für den Präsidenten schrieb. Ich fürchte, es wird noch schlimmer kommen. Diejenigen, die uns zum Einmarsch in den Irak ermutigten, die uns ermutigt haben, einen Krieg anzufangen, der bis heute 600.000 Zivilisten das Leben gekostet hat, sie werden noch Übleres von sich geben.

Ein neues Phänomen kriecht in die Seiten der New York Times und anderer großer Staatsorgane der USA. Den Journalisten, die einst den Krieg unterstützten, reicht es nicht etwa, Bush zu bashen. Nein, sie geben eine neue Parole aus: Die Irakis haben uns nicht verdient. Wie David Brooks, der uns einst weismachte, dass Neokonservative wie Perle rein gar nichts mit der Entscheidung des US-Präsidenten, in den Irak einzumarschieren, zu tun hatten. Brooks hat in einem Essay von Elie Kedourie aus dem Jahr 1970 gekramt - über die britische Besatzung in Mesopotamien während der 20er Jahre - und daraus gelernt: “Die Briten haben damals versucht, eine verantwortungsvolle Führung anzuregen und es nicht geschafft”. Brooks zitiert einen britischen Offizier, der damals sagte, die irakischen Schiiten “haben keinerlei Motiv, die Interessen des Irak nicht für das zu opfern, was sie für ihre eigenen Interessen halten”.

Nicht weniger erschreckend ein weiterer Brooks-Artikel in der New York Times: Der Irak, so informiert er uns, erleide die “komplette soziale (Des-?)Integration”. Die “Schlappe Amerikas” werde verschlimmert durch “dieselben alten irakischen Dämonen: Gier, Blutrünstigkeit und ein verbohrter Unwille zum Kompromiss, selbst im Angesicht der Selbstzerstörung”. Sein Fazit: “Der Irak zittert am Rande der Hoffnungslosigkeit entlang”. Falls die US-Truppen die Ordnung nicht wiederherstellen könnten, so Brooks, sei “es an der Zeit, dem Irak effektiv ein Ende zu setzen”. Die Autorität solle in dem Fall an “den Clan, den Stamm, die Sekte” nach unten weitergeleitet und verteilt werden, denn (jetzt kommt’s!), das seien “die einzig lebensfähigen Gemeinschaften”.

Glauben Sie ja nicht, David Brooks Artikel sei ein Einzelfall.

Nehmen wir zum Beispiel Ralph Peters - ein pensionierter Offizier der U.S. Army, der für USA Today schreibt. Er hat damals den Irakeinmarsch unterstützt - aus der Überzeugung heraus: “Die politische, soziale, moralische und intellektuelle Stagnation im Mittleren Osten ist so groß, dass wir (!) den Einmarsch riskieren müssen oder wir werden uns Generationen lang Terror und Tumulten gegenübersehen”. Wie groß Washingtons Irrtümer auch gewesen sein mögen, so Peters aufschneiderisch, “wir gaben den Irakern die einmalige Chance, sich eine Demokratie aufzubauen, in der das Recht regiert”.

Aber die Irakis, dieses lästige Pack, ziehen es anscheinend vor, “sich dem alten Hass, religiöser Gewalt, ethnischer Bigotterie und einer Kultur der Korruption hinzugeben”, so Peters. Und welchen Schluss zieht er daraus? “Die arabischen Gesellschaften sind nicht in der Lage, Demokratie, wie wir sie kennen, zu unterstützen”. Aber das sei “deren Tragödie, nicht unsere. Der Irak war die letzte Chance für die arabische Welt, in den Zug Richtung Modernität zu steigen und der Region eine Zukunft zu geben…” Unglaublich. Zum Schluss vertritt er die Meinung, “falls sich die arabische Welt und der Iran auf eine Blutorgie einlassen, werden wir die Gewinner sein, so hart das klingen mag”. Die “Terroristen” würden sich im Irak “verschleißen”, und die USA blieben “weiterhin die größte Macht auf Erden”.

Es ist nicht die Schamlosigkeit all dieser Aussagen (besitzt einer dieser Leute überhaupt so etwas wie Schamgefühl?), es ist die rassistische Annahme, die Katastrophe im Irak sei ganz allein die Schuld der Iraker. Weil sie von Natur aus rückständig, bösartig und unfähig seien, die Früchte unserer Zivilisation zu genießen, seien sie es nicht wert, dass wir uns künftig um sie kümmern. An keinem Punkt wird die Frage gestellt, ob nicht die Tatsache, dass die USA “die größte Macht auf Erden” sind, Teil des Problems ist. Mit die schlimmsten Jahre der Diktatur erlebten die Iraker, als Saddam von den USA unterstützt wurde, die UN-Sanktionen kosteten einer halben Million irakischer Kinder das Leben, und anschließend kam es zu einer brutalen Invasion durch unsere Armeen. Könnte das nicht vielleicht auch ein Grund sein, warum sie nicht allzu scharf auf die ‘guten Dinge’ sind, die wir ihnen anboten?

Ich habe wiederholt geschrieben: Viele Araber würden gerne manches von unserer Demokratie übernehmen, aber sie wollen eben auch eine andere Art Freiheit - sie wollen Freiheit von uns. Es bleibt festzuhalten: Die Ausreden für den Rückzug sind in Vorbereitung und lauten: Die Iraker haben uns nicht verdient, screw them. Das ist der Schotter, den wir ausstreuen, damit unsere Panzer besser über den glatten Wüstensand heimwärts gleiten - raus aus dem Irak.

Copyright 1998-2006 Seattle Post-Intelligencer

Quelle: ZNet Deutschland vom 12.11.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Originalartikel: U.S. Tanks Will Roll out of Iraq on a Road Paved with Excuses .

Veröffentlicht am

23. November 2006

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