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Kriegsdienstverweigerung heute: Freikaufen und bestechen

Eine neue Studie zeigt, warum in reichen Staaten mit Interventionsarmeen die Friedenssteuer eingeführt werden müsste

Von Michael Jäger

Wer nicht informiert ist, könnte leicht meinen, Kriegsdienstverweigerung sei ein alter Hut oder mindestens eine Sache von nachlassender Bedeutung. Erleben wir nicht gerade, dass der Dienst immer mehr eingeschränkt wird, ja eine Tendenz zur völligen Abschaffung wirksam ist? Da lohnt es sich, eine Studie zu kennen, die der internationalen Friedenssteuer-Konferenz in Erkner bei Berlin am vergangenen Wochenende vorlag.

Wie die Studie zeigt, ist die genannte Tendenz sogar weltweit wirksam. Ob Australien oder Argentinien, Frankreich oder Kuwait, überall ist der Dienst schon definitiv abgeschafft. Auffällig ist, dass fast alle Fälle von Abschaffung sich auf die Jahre um 2000 konzentrieren: Es ist eine Bewegung, die mit dem Jahr 1990 sachte beginnt und sich dann beschleunigt. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die allermeisten Staaten geglaubt, das Potenzial zum militärischen Handeln zurückschrauben zu können. Dies bestätigt sich auch in solchen Staaten, die den Dienst noch aufrechterhalten, denn dort wird häufig seine Dauer verkürzt, immer weniger Dienstpflichtige werden tatsächlich einberufen.

Aber es ist gleichzeitig eine andere Tendenz bekannt, nämlich die, dass die Kriegsführung “professionalisiert” wird, was gerade Militärs dazu gebracht hat, die Politik zur Einberufung nur noch von Freiwilligen aufzufordern. Dies war sogar schon vor dem 11. September 2001, als der “Krieg gegen den Terror” ausgerufen wurde, der Fall. Die Tendenz zur Abschaffung der Wehrpflicht ist daher alles andere als ein Schritt zum Weltfrieden - weshalb sich unsere Fragestellung verändern muss. Ist es mit der Verweigerung des traditionellen direkten Kriegsdienstes getan? Nein, denn es gibt auch Formen des indirekten Dienstes. Der wird vor allem geleistet, indem man Steuern zahlt und nicht verhindern kann, dass sie zur Aufrüstung freiwilliger Soldaten ausgegeben werden.

Weil diese Feststellung weit hergeholt scheinen mag, muss man sich zunächst klarmachen, wie schon die traditionelle Wehrpflicht mit Formen indirekter Kriegsbegünstigung immer verquickt war und heute noch ist. Vom Kriegsdienst befreit zu werden, ist an sich ja schon lange möglich. Wenn dies jedoch aus Gewissensgründen geschehen soll und man dann diejenigen, die nichts mit Waffen zu tun haben wollen, als Militärsanitäter oder im Militärpostamt einsetzt, wie letzteres in Serbien üblich war, werden sie kaum das Gefühl haben, der Verstrickung entkommen zu sein. Sie sind indirekt eben auch Soldaten. Die Verhältnisse in Usbekistan sind fast schon komisch zu nennen: Dort gibt es einen angeblichen Militärersatzdienst, der bis vor kurzem mit zwei Monaten militärischer Basisausbildung begann; daraus ist heute die immer noch militärische “Ausbildung ohne Waffengebrauch” geworden.

Derartigen Tendenzen begegnen wir überall dort, wo Staaten sich zur Gewährung der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, die auch eigentlich erst seit 1993 völkerrechtlicher Standard ist, nur widerwillig bequemt haben. Ja, wenn es darum geht, Verweigerer um ihre Rechte zu betrügen, wird die Staatsphantasie geradezu unerschöpflich: Man verspricht solche Rechte in der Verfassung, zögert dann aber die entsprechende Gesetzgebung hinaus; man hat endlich die Gesetze, die Verhältnisse sind aber so, dass es kaum möglich ist, von ihrer Existenz zu wissen; oder die Gesetze sagen nicht, an welche Instanz sich Gewissensverweigerer wenden könnten - als ob Kafka Pate gestanden hätte. Vergessen wir auch nicht, dass sieben Staaten bis heute überhaupt kein Recht auf Gewissensverweigerung anerkennen. Dazu gehört Israel. Hier schreibt das National Defence Service Law lediglich vor, dass die Streitkräfte die Befreiung vom Dienst aus Gründen gewähren können, “die mit Erfordernissen der Erziehung, der Sicherheitsvorsorge oder der nationalen Ökonomie zusammenhängen, ferner aus familiären Gründen oder aus anderen Gründen”.

Dieser Vorschrift folgend richteten die Streitkräfte zwar 1995 ein Komitee zur Freistellung aus Gewissensgründen ein, doch dessen Prozeduren wurden nie publiziert, die Entscheidung, jemanden hierher zu zitieren, liegt in der Hand der Streitkräfte selber, und nur selten hat jemand es über all die Jahre geschafft, dann wenigstens als “untauglich” (und nicht etwa als Gewissensverweigerer) eingestuft zu werden. Der Fall Israels ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens sieht man, was geschieht, wenn ein Staat häufig Kriege führt, die traditionellen Kriegen insofern noch gleichen, als sie an der eigenen Staatsgrenze beginnen. Zweitens ahnt man den Staatszwang, dem der gewöhnliche israelische Soldat unterliegt, über dessen Aktion wir manchmal nur blind erschrecken können.

Schon der direkte Kriegsdienst also umgibt sich mit einem Hof indirekter Zulieferungsleistungen. Dazu gehört in manchen Staaten die Pflicht von Dienstverweigerern, ersatzweise Geld zu zahlen, so in Ekuador, Iran und in der Türkei. In der Schweiz nimmt dieses Verlangen die Form einer Steuerpflicht an. Jährlich zwei Prozent des Einkommens haben alle, die nicht dienen, bis zum 50. Lebensjahr herzugeben. Hier nun angelangt, muss unsere Perspektive eine andere werden: Man sieht die Möglichkeit einer Militärverfassung, nach der Reiche sich freikaufen und Arme zum freiwilligen Dienst bestochen werden können. Wenn eine ganze Gesellschaft reich ist, kann sie sich insgesamt freikaufen, das heißt den Dienst abschaffen, Arme aber immer noch bestechen - wie es heute schon in den USA geschieht. Und alle finanzieren ein solches System durch Steuern.

Was ist dann das Recht auf Verweigerung aus Gewissensgründen? Es muss künftig in reichen Ländern, die Interventionsarmeen unterhalten, die Form annehmen, dass jeder Bürger die Option der Friedenssteuer hat - einer Steuer, die der Staat nicht für Waffen und Waffendienst ausgeben darf.

Siehe auch  www.cpti.ws/cpti_docs/brett/intro.html .

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   44 vom 03.11.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und des Verlags.

Veröffentlicht am

03. November 2006

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