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UN-Sanktionen gegen Nordkorea: Einfach hysterisch

Gescheiterte Atomverhandlungen mit dem Iran

Von Jürgen Rose

Die Zerstörungskraft nuklearer Waffen kann weder in Raum noch Zeit eingegrenzt werden. Sie besitzen das Potenzial, jede Zivilisation und das gesamte Ökosystem des Planeten zu vernichten”, lautete die zentrale Konklusion des Internationalen Haager Gerichtshofes (IGH) in seinem Rechtsgutachten vom 8. Juli 1996. Folgerichtig hatten die Richter im weiteren festgestellt, es sei grundsätzlich illegal, mit dem Gebrauch von Atomwaffen zu drohen oder dieselben gar einzusetzen. Einstimmig wurde hieraus die völkerrechtlich verbindliche Pflicht abgeleitet, weltweit sämtliche atomaren Waffenbestände unter internationaler Kontrolle vollständig abzurüsten. Doch blieb dieser epochale Richterspruch des IGH bis heute weithin unbeachtet. Nach wie vor wird ein enormes Arsenal von Kernwaffen in Raketensilos, Bombengrüften sowie auf strategischen U-Booten gelagert und deren Potenzial zum Massenmord nicht nur aufrechterhalten, sondern fortwährend gesteigert.

Besonders tun sich hierbei die USA hervor, wo intensiv an euphemistisch als “Mini-Nukes” bezeichneten Waffen zur Bekämpfung unterirdischer Ziele gearbeitet und damit die Schwelle zum Kernwaffeneinsatz stetig gesenkt wird. Aber auch die anderen vier im Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treaty/NPT) offiziell anerkannten Nuklearmächte Russland, China, Frankreich und Großbritannien ignorieren ungerührt die völkerrechtlich verbindlich eingegangene Pflicht zur Abrüstung - ganz zu schweigen von Israel, Indien und Pakistan, die dem NPT nie beigetreten sind und somit außerhalb jeglicher Kontrolle ihre Nuklearprogramme betreiben. Angesichts des Ausmaßes dieses habituellen Völkerrechtsbruchs müssen die teilweise hysterischen Ausbrüche und Reaktionen schon erstaunen, die der Umstand auslöst, dass sich zu den acht etablierten Atomstaaten mit Stichtag 9. Oktober nun ein neuer gesellt hat.

John Bolton, die Inkarnation des derzeitigen Umgangs der Vereinigten Staaten mit den Vereinten Nationen, verlangte umgehend eine Ermächtigung des Sicherheitsrates zu militärischen Strafaktionen gegen die “atomaren Amokläufer” in Pjöngjang. Ungeniert erklärte der Gesandte des Staates, der 2003 ein glasklares Völkerrechtsverbrechen gegen den Irak verübt hat, das bis zum heutigen Tage andauert, der Nukleartest Nordkoreas “stelle eine der schwerwiegendsten Bedrohungen des internationalen Friedens und der Sicherheit dar, mit dem der Sicherheitsrat jemals konfrontiert war.”

Zwar war solch bellizistischer Chuzpe des UN-Mitglieds, das mittlerweile aufgrund seriellen Völkerrechtsbruchs selbst die schwerwiegendste Gefahr für den Weltfrieden darstellt, kein Erfolg vergönnt. Nichtsdestotrotz hat der Sicherheitsrat mit seiner Resolution 1718 den mutmaßlichen Test verurteilt und zugleich ein drakonisches Sanktionsregime gegen die nordkoreanische Diktatur verhängt. Nicht zu Unrecht moniert Nordkoreas UN-Botschafter Pak Gil Yon, der Sicherheitsrat bediene gegenüber seinem Land wieder einmal die Praxis der “doppelten Standards”, indem die Drohpolitik der USA, die immerhin die Androhung präemptiver Nuklearwaffenangriffe einschließe, völlig ignoriert werde.

Darüber hinaus läuft der Sicherheitsrat Gefahr, der US-Regierung eine wohlfeile Legitimation für politische Abenteuer in ganz anderen Weltgegenden zu liefern. Die ans Paranoide grenzende Feindseligkeit, die das Oval Office gegen den als “stalinistisches Schurkenregime” apostrophierten Feind auf der koreanischen Halbinsel entfaltet, gilt - wie John Bolton unverblümt zu verstehen gab - auch anderen Möchtegern-Atommächten. Wer gemeint ist, liegt auf der Hand. Mögen in der wirklichen Welt Nordkorea und die Islamische Republik Iran auch geographisch fernab von einander liegen, so sind doch beide auf der politischen Landkarte, aus der George Bush seine Weltanschauung bezieht, direkte Nachbarn - auf der “Achse des Bösen” nämlich. Und so dürfte es keineswegs zufällig sein, dass eingenebelt durch die Propagandaschwaden über dem East River in New York klammheimlich ein Flottenverband der U.S. Navy, angeführt vom Flugzeugträger Eisenhower, in See gestochen ist. Noch vor den für den 7. November anberaumten Kongresswahlen in den USA soll er den Persischen Golf erreichen, um dort zu einem bereits in die Region entsandten Flottenverband um den Flugzeugträger Enterprise zu stoßen.

Besonders auffällig ist der Umstand, dass die USS Eisenhower von mehreren Kriegsschiffen begleitet wird, die über die Kapazität zum Minenlegen verfügen. Man muss nicht, aber man kann sehr wohl daraus schließen, dass eine mögliche Intervention gegen Teheran mit der Verminung iranischer Häfen beginnt. Sollte die Regierung des Präsidenten Ahmadinedschad auf einen solchen, gegen den ökonomischen Lebensnerv des Landes gerichteten Aggressionsakt eine militärische Antwort riskieren, könnte das der Auslöser für einen umfassenden Luft- und Seekrieg sein. Und da die nuklearen Ambitionen des Iran nach amerikanischer Deutung zweifelsohne weitaus gefährlicher sind als diejenigen Nordkoreas - und die hat der UN-Sicherheitsrat mit Sanktionen geahndet -, ließe sich der Weltöffentlichkeit auch ein nachvollziehbarer Grund für einen weiteren Golfkrieg präsentieren. Das von der Europäischen Union in dieser Woche ostentativ verkündete Scheitern der Atomverhandlungen mit Teheran sowie die Stationierung starker europäischer Flottenverbände vor der libanesischen Küste könnten ein Indiz dafür sein, dass diesmal auch das “alte” Europa mit von der Partie ist.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 42 vom 20.10.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Rose.

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Veröffentlicht am

20. Oktober 2006

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