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Frontstaat par excellence

Henry Kissingers Bonmot: Im Nahen Osten gibt es ohne Ägypten keinen Krieg - ohne Syrien keinen Frieden

Von Margret Johannsen

Eingeklemmt zwischen Syrien und Israel scheint es das Schicksal des Libanon zu sein, immer wieder zum Schauplatz von Konflikten zu werden, die seine Nachbarn nicht auf dem Verhandlungswege lösen können oder wollen. Viele Jahre lang benutzte Syrien die libanesische Hisbollah-Miliz, um Israel an dessen Nordgrenze ohne eigenes militärisches Risiko unter Druck zu setzen. Dabei verband eine solche Allianz keinesfalls Brüder im Geiste, sondern beruhte auf einer durchaus rationalen Interessenabwägung. Die militärischen Nadelstiche der Hisbollah waren in den vergangenen Jahren aus syrischer Sicht dazu angetan, den Preis, den Israel für die Besetzung der Golanhöhen zu entrichten hat, in die Höhe zu treiben. Um so mehr kann es jetzt ein Weg sein, die Interessen Syriens anzuerkennen und so die Instrumentalisierung der islamistischen Schiiten-Miliz durch das säkulare Regime in Damaskus zu beenden.

Eine vollständige Entwaffnung der Hisbollah mit militärischen Mitteln scheint nicht möglich. Wenn der Krieg vorbei ist, wird der Libanon darum den “nationalen Dialog” über die Zukunft der Hisbollah, die Entwaffnung ihrer Miliz beziehungsweise deren Unterordnung unter das Gewaltmonopol des Staates - etwa durch eine Integration in die libanesischen Streitkräfte - wieder aufnehmen müssen, damit nicht erneut ein Staat im Staate entsteht. Hierbei wird Syrien auf jeden Fall eine Rolle spielen.

Seit die syrischen Truppen 2005 das Nachbarland verlassen haben, ist der Einfluss, den Damaskus gegenüber der Hisbollah geltend machen kann, zwar gesunken - da jedoch die Hisbollah über keine eigenen Waffenschmieden verfügt, ist Syrien als Transitland für den Nachschub und damit als möglicher Störfaktor für eine konsensuale Lösung in Beirut nach wie vor von Bedeutung. Wer dafür sorgen möchte, dass die syrische Führung einen innerlibanesischen Dialog nicht unterminiert, sondern konstruktiv begleitet, sollte daher Anreize schaffen. Das gebietet nicht nur die politische Klugheit - das verlangt auch die Moral.

Eine Wiederaufnahme der vor sechs Jahren abgebrochenen Verhandlungen über die Golanhöhen (s. Übersicht) böte Präsident Bashar al-Assad die Aussicht, ohne Ausnutzung fremder Gewalt das von Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte und später annektierte Gebiet zurückzuerhalten. Die 17.000 israelischen Golan-Siedler sind in Israel zwar populär, aber keine jüdischen Fundamentalisten, für deren Evakuierung eine Armee von 45.000 Soldaten aufgeboten werden müsste wie vor einem Jahr im Gaza-Streifen.

In den bisherigen Verhandlungsrunden hatte sich Syrien bereits mit einer beschränkten Truppenpräsenz auf dem Höhenzug, Frühwarneinrichtungen sowie amerikanischen, französischen und sogar israelischen Militärbeobachtern sowie mit dem Gebrauch von US-Satellitenaufnahmen einverstanden erklärt. Mit deren Hilfe sollte es möglich sein, auf beiden Seiten aggressive Handlungen schon im Frühstadium zu erkennen. In der vermutlich schwierigeren Frage der Grenzziehung zwischen beiden Staaten und der damit verbundenen Kontrolle über die Wasserressourcen sind gleichfalls pragmatische Lösungen vorstellbar, wird den elementaren Interessen hier wie da Rechnung getragen: Auf syrischer Seite gilt das zuvörderst für eine vollständige Rückgabe der Territorien, die vor fast 40 Jahren verloren gingen - auf israelischer für die Sicherheit seiner Nordgrenze und eine garantierte Wasserversorgung aus dem See Genezareth. Allerdings setzt das den Verzicht auf das in Nahost verbreitete Nullsummendenken voraus, wonach der Vorteil des Einen der Nachteil der Anderen ist.

Besonders die EU kann Damaskus Anreize bieten, indem sie das Assoziierungsabkommen mit Syrien in Kraft setzt. Nach sieben Jahren zähen Verhandelns hatten die Europäer der syrischen Regierung sogar Konzessionen bei der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen abgerungen, die angesichts des regionalem Kernwaffenmonopols der Israelis äußerst bemerkenswert und im Nahen Osten ohne Beispiel sind. Doch das im Oktober 2004 unterzeichnete Abkommen liegt auf Eis, seit im Februar 2005 der frühere libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri bei einem Attentat ums Leben kam. Die Umstände des Anschlags, einschließlich einer möglichen Verwicklung Syriens, werden durch ein vom UN-Sicherheitsrat eingesetztes Ermittlerteam untersucht, das bisher vier Reports vorgelegt hat. Der vorerst letzte, im Juni veröffentlichte Bericht bescheinigt Damaskus eine generell zufriedenstellende Kooperation im “Fall Hariri”. Warum kann dieses Zeugnis nicht dazu dienen, letzte Hindernisse bei der Ratifizierung des Assoziationsabkommens aus dem Weg zu räumen?

Die EU würde ihre Mittelmeerpartnerschaften komplettieren - Syrien wäre der zwölfte Staat dieses Raumes, dem nicht nur beträchtliche Handelserleichterungen zuteil werden. Der Vertrag sieht darüber hinaus einen regelmäßigen politischen Dialog vor, bei dem die regionale Sicherheit ebenso wie das Thema Menschenrechte von Belang sein können. Kräfte in Syrien, die bei der notwendigen Modernisierung der Ökonomie nicht halt machen wollen, sondern Reformen im Verhältnis von Staat und Bürgern verlangen, würde ein solcher Dialog stärken.

Henry Kissinger wird das Bonmot zugeschrieben, dass es im Nahen Osten ohne Ägypten keinen Krieg, ohne Syrien keinen Frieden geben könne. Sollte Damaskus in diesem Sinne für einen konstruktiven Part gewonnen werden, setzt das voraus, auf einen gewaltsam von außen erzwungenen Regimewechsel zu verzichten. Wenn freilich Condoleezza Rice derzeit im Libanon und im Gaza-Streifen die “Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens” zu spüren glaubt, dann soll offenbar - trotz des Debakels im Irak - genau an dieser Option festgehalten werden.

Um so mehr besäße die EU mit ihrer Mittelmeerpartnerschaft das Potenzial, einen anderen Weg als den des “gerechten Krieges” zum Zwecke der zwangsweisen Demokratisierung ihrer Nachbarregion einzuschlagen. Seine Stellung als “Frontstaat” im israelisch-arabischen Konflikt musste lange dafür herhalten, Syrien von außen als “Schurkenstaat” zu denunzieren und in seinem Inneren als autoritären Sicherheitsstaat par excellence zu rechtfertigen. Eine Beilegung des syrisch-israelischen Territorialkonflikts würde die Chancen für einen friedlichen Regimewandel durch Liberalisierungsschritte in der Wirtschaft und Politik verbessern. Das läge nicht nur im Interesse des Libanon - auch Israels.

Israel - Syrien

Verhandlungen 1992 -1996

Beide Seiten einigen sich auf die Formel “Land für Frieden”, die im konkreten Fall nur heißen kann, dass die Rückgabe der seit 1967 von Israel besetzten Golan-Höhen im Vordergrund steht - doch die Gespräche stagnieren zunächst. Das ändert sich, als US-Außenminister Warren Christopher im Juli 1994 dem syrischen Staatschef Hafez al-Assad die Zusicherung des israelischen Premiers Rabin übermittelt, “im Falle eines umfassenden Friedensvertrages” den Golan vollständig zu räumen. Verhandelt wird dann vorrangig über integrierte Maßnahmen, die einen Abzug der Israelis an eine starke Reduzierung der syrischen Armee über einen zu entmilitarisierenden Golan hinaus binden. Israel besteht zudem auf dem Verbleib einer Frühwarnstation auf dem Berg Hermon.

Nach der Ermordung von Yitzhak Rabin im November 1995 lässt dessen Nachfolger Shimon Peres die Verhandlungen zunächst fortsetzen - sie scheitern jedoch, als der im Mai 1996 gewählte Likud-Premier Benjamin Netanjahu die einstige Rabin-Zusage als nicht bindend bezeichnet.

Verhandlungen 1999 -2000

Als mit der Wahl von Ehud Barak zum Premierminister die Arbeitspartei 1999 wieder regiert, werden die Verhandlungen erneut aufgenommen, nachdem durch Vermittlung von US-Präsident Clinton klargestellt ist, dass die Rabin-Formel weiter gilt. Als Streitpunkt kristallisiert sich bald das mögliche Tempo eines israelischen Rückzugs vom Golan heraus. Zugleich besteht Syrien auf einer Grenzziehung, wie sie vor dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 bestand, und fordert in diesem Zusammenhang einen Zugang zum Tiberia-See, der 1923 durch die willkürliche Grenzziehung zwischen der französischen Mandatsmacht in Syrien und der britischen in Palästina dem späteren syrischen Staat verloren ging - eine Frage, die Israels Wasserinteressen erheblich tangiert.

Als die Verhandlungen in eine Sackgasse geraten, arrangiert Präsident Clinton Anfang 2000 eine direkte Begegnung zwischen Barak und dem syrischen Außenminister Faruk al-Shara im amerikanischen Shepherdstown - sie scheitert an der seit 1994 alles überlagernden Frage: dem Umfang des israelischen Abzugs vom Golan und dem künftigen Grenzverlauf, auch wenn Syrien in der Frage der Hermon-Frühwarnstation für den Fall Kompromissbereitschaft andeutet, dass sie von französischen und amerikanischen Soldaten betrieben wird. Ein letzter Versuch von Clinton und Präsident Assad, bei einem Gespräch in Genf (März 2000) den toten Punkt zu überwinden, bleibt erfolglos. Hafez al-Assad stirbt am 10. Juni 2000 in Damaskus - als sein Sohn Bashar die Nachfolge antritt, bietet er Israel an, Gespräche im Sinne der UN-Resolutionen 242 und 338 aufzunehmen, die einen vollständigen Rückzug Israels aus den 1967 und 1973 besetzten Gebieten vorsehen - Jerusalem winkt ab.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 32 vom 11.08.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

20. August 2006

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