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Heißes Erwachen

Juli und die Klimakatastrophe: Die Ausflüchte der Regierungen taugen nichts

Von Michael Jäger

Nach diesem Juli leugnet niemand mehr, dass die Häufung heißer Sommer in den vergangenen 15 Jahren mit dem längst vorausgesagten Klimawandel ursächlich zusammenhängt. Auch dass der Klimawandel eine Folge des Ausstoßes von Schadstoffen ist, wird nicht mehr grundsätzlich bestritten, nur über das Ausmaß dieses menschlichen Mitverschuldens gibt es noch Debatten. Während diejenigen, die lange gewarnt hatten, die Mitschuld auf zwei Drittel beziffern, wird ein Drittel jetzt auch etwa von Armin Bunde, Physiker an der Universität Gießen, eingeräumt, der noch vor zwei Jahren überhaupt keinen Zusammenhang sehen wollte. Seine Entdeckung, dass sich die Temperaturzyklen wiederholen, hatte er da schon gemacht: Auf hundert warme Jahre folgen hundert ähnlich warme Jahre, wahrscheinlich weil die Ozeane die Wärme so lange speichern. Darauf gestützt, hat er nun selbst herausgefunden, dass die Temperaturen seit der Mitte der achtziger Jahre “ein Niveau erreichten, das sich kaum mit einer natürlichen Klimaschwankung erklären lässt”; vielmehr hätte man sie nur einmal in 1.000, ja vielleicht 10.000 Jahren erwartet.

Dem heißen Juli war eine dramatische Prognose vorausgegangen. Ein Entwurf des vierten UN-Klimaberichts, der Anfang 2007 veröffentlicht werden soll, wurde am 31. Mai vorzeitig bekannt: Danach stieg der Anteil der klimawirksamen Gase CO2, Methan und Stickoxid in den vergangenen 100 Jahren stärker und schneller an als in den 20.000 Jahren zuvor. Und die Geschwindigkeit wächst. Zwischen 1999 und 2004 stieg der CO2-Gehalt in der Atmosphäre um jährlich ein halbes Prozent. Dem Kyoto-Protokoll zum Trotz! Dem entspricht, dass sich die Erdoberfläche zwischen 1901 und 2005 bereits um 0,65 Grad Celsius erwärmt hat. Auch diese Erwärmung hat sich beschleunigt, sie betrug am Ende des 20. Jahrhunderts 0,17 Grad pro Jahrzehnt gegenüber 0,14 Grad in der ersten Jahrhunderthälfte. Da das Erdsystem nur träge auf Veränderungen der Atmosphärengase reagiert, würde die Temperatur in den nächsten Jahrzehnten selbst dann weiter steigen, wenn es gelänge, den CO2-Ausstoß auf dem heutigen Niveau zu halten. Daher wird die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf jeden Fall um mindestens anderthalb, schlimmstenfalls - bei den heutigen ökologischen Anstrengungen - um 5,8 Grad Celsius zunehmen. Was sind die Folgen? Die April-Schneedecke der nördlichen Erdhalbkugel hat schon in den letzten 40 Jahren um fünf Prozent abgenommen. Angenommen nun, das Klima erwärmte sich bis 2300 um minimale 3 Grad Celsius, dann würde der Meeresspiegel um 2,5 bis 3,1 Meter ansteigen. Aber bereits ein Anstieg um mehr als einen Meter lässt sich nicht mehr durch Küstenschutzmaßnahmen bewältigen. Es wird auch zu einer Versauerung der Meere kommen, die für viele kleine Lebewesen tödlich ist, etwa Muscheln, Schnecken, Korallen, die am Anfang der Nahrungskette der meisten Meeresbewohner stehen.

Dass der inzwischen erlebte Juli mit diesen Visionen etwas zu tun hat, liegt auf der Hand. Doch wie reagieren die Politik, die Gesellschaft? Einen ganz rätselhaften “Jahrhundertjuli” können sie sich nicht mehr vorlügen. Aber sie verhalten sich doch so, als täten sie es. Man beklagt nächstliegende wirtschaftliche Engpässe, fordert gegebenenfalls vom Staat Ersatz. Nach Angaben des Bauernverbands haben manche Getreidearten 20 Prozent Hitzeausfall zu verzeichnen. Die Futterversorgung des Viehs sei gefährdet. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat über öffentliche Dürre-Hilfen noch nicht entschieden. Manche rechnen den Gewinnzuwachs anderer Branchen dagegen: 20 Prozent in der Getränkeindustrie zum Beispiel. Klimaanlagen verkaufen sich besser, ebenso Autoersatzteile, da der Straßenasphalt weich wird und mehr Schlaglöcher auftauchen lässt.

Europaweit ist neben der Landwirtschaft vor allem die Stromversorgung gefährdet. Besonders die französische, weil sie sich zu 85 Prozent auf Atomenergie stützt. Gegen den Protest der Umweltschützer hat der staatliche Kraftwerksbetreiber EdF die Genehmigung erhalten, das Kühlwasser seiner Nuklearreaktoren mit höheren Temperaturen als gewöhnlich in die Flüsse zu leiten. Gleichwohl musste sich das Unternehmen in einer einzigen Juliwoche 2000 Megawatt Strom aus dem Ausland dazukaufen - vorwiegend aus Italien. Doch dort gibt es auch Probleme. Der Po führt so wenig Wasser, dass der Flusspegel in manchen Strecken sieben Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Infolgedessen dringt bei Flut Meerwasser 20 Kilometer landeinwärts. Nahe der Po-Mündung liegt eines der größten Kraftwerke Norditaliens; es ist auf Süßwasser angewiesen und muss jetzt mit Tanklastzügen versorgt werden. Hier und in anderen Kraftwerken wird mit verringerter Leistung produziert. Worüber man sich wenigstens freuen kann: Solche Nachrichten sind nicht gerade Wasser auf die Mühlen der Befürworter der Atomenergie, denn zu deren Erzeugung wird besonders viel Kühlwasser gebraucht. AKWs mit immer weniger Kühlwasser wären selbst dann ein Unding, wenn es keine Störfälle gäbe.

Außerdem gibt es Störfälle, wie jetzt wieder in Schweden. In der letzten Juliwoche war bei Wartungsarbeiten im Kernkraftwerk Forsmark eine Panne passiert; das Sicherheitssystem stoppte die Elektrizitätsproduktion. Die Ersatzversorgung der Sicherheitsanlagen durch vier Generatoren funktionierte nicht. Zwei von vier Notstromaggregaten sprangen nicht an. Ein anhaltender Ausfall aller vier Aggregate hätte zur Kernschmelze geführt. Dadurch aufgeschreckt, schaltete die Betreiberfirma auch zwei weitere Kernkraftwerke ab. Sie war nach einem Test zu dem Schluss gekommen, dass die Werke eine Panne wie in Forsmark nicht überstanden hätten. Vergleichbares ist auch in Deutschland vorgekommen. Wie Forsmark durch einen Kurzschluss außerhalb der Anlage in Bedrängnis kam, so das deutsche Werk Gundremmingen am 13. Januar 1977. Nach vielen ähnlichen Vorfällen zwang erst am 23. August 2004 ein eigener Kurzschluss das AKW Brunsbüttel zur Reaktorabschaltung.

Irgendeine neue Aufgeschrecktheit der Politik ist nicht zu verzeichnen. Als die Klimakatastrophe seit Ende der 1970er Jahre vorausgesagt wurde, wiegelte sie erst ab und bestritt die Dramatik. Später hieß es, die Frage sei nur, wie man den Klimawandel gestalten könne. Doch jetzt zeigt sich, dass die geplanten Sicherungsmaßnahmen und überhaupt alle ökologischen Ausflüchte der Regierungen nichts taugen. Kein AKW ohne Kühlwasserbedarf, kein hinreichender Küstenschutz. Was nun? Leider ist es nicht nur ein Problem der Regierungen, sondern auch der Parteien. Selbst diejenigen, die am oppositionellsten sein wollen, müssen sich mangelnde Radikalität vorwerfen lassen. Was notwendig wäre, ist doch ziemlich klar: Gegenmaßnahmen, die sich nicht im “Zertifikathandel” erschöpfen und überhaupt nicht allein marktwirtschaftlich durchführbar sind. Die Kapitalmacht müsste gebrochen werden. In welcher Höhe CO2-Ausstoß international verboten sein müsste, auch welche Länder davon am meisten betroffen wären, ist genau bekannt. Es müsste hierfür eine Art Wirtschaftsplanung existieren, außerdem ginge es um faire internationale Absprachen über die Schadstoffverteilung. Kulturelle Folgen, besonders eine andere Vorstellung von “Reichtum” - vielleicht weniger Autos, dafür mehr Proustlektüre und die Erneuerung einer autonomen Arbeiterkultur jenseits des Fernsehens -, wären gleich mitzubenennen. Früher hätte man gesagt, zu einem solchen Programm gehöre eine “kommunistische” Partei.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 32 vom 11.08.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und Verlag.

Veröffentlicht am

14. August 2006

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