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Nagelneues Auslaufmodell

Münteferings Zauberstab: Das "Simsalabim" der schwarz-roten Kombilohn-Pläne

Von Robert Kurz

Die Hälfte aller Betriebe in Deutschland beschäftigt niemanden mehr, der älter ist als 50 - und mehr als die Hälfte der über 55-Jährigen ist nicht mehr berufstätig. "Es gibt kein Simsalabim", so der hoffnungslose Pragmatiker Müntefering zu dieser Lage. Trotzdem zückt er den Zauberstab und offeriert die Initiative 50 plus, um die Ansätze des Kombilohns selektiv für die über 50-Jährigen auszubauen. ALG-I-Empfänger mit einem Restanspruch von mindestens 120 Tagen, die eine "deutlich geringer bezahlte Beschäftigung" aufnehmen, sollen im ersten Jahr aus der Staatskasse einen Ausgleich der Differenz von 50, im zweiten von 30 Prozent zum Nettolohn erhalten. Bei älteren langzeitarbeitslosen ALG-II-Beziehern will Müntefering den Lohnkostenzuschuss an einstellungswillige Betriebe auf 24 statt bisher 12 Monate ausweiten.

Die Aussicht auf eine zweitklassige Altersbeschäftigung bis zum Umfallen gilt im Müntefering-Speak als "Aufwertung" der arbeitsdurstigen Senioren, die noch "kein altes Eisen" seien. Doch die Unternehmen dürften ihre auf Hochleistungsfähigkeit ausgelegte Personalpolitik kaum ändern. Möglich sind höchstens Mitnahmeeffekte, wenn zugunsten subventionierter Neueinstellungen im Gegenzug bislang Beschäftigte entlassen werden. Müntefering selbst rechnet für 2008/09 nur mit 50.000 mehr "in Arbeit" gebrachten Älteren, während derzeit über eine Million Menschen dieser Altersgruppe zu den ALG-I- und ALG-II-Empfängern gehören. Auch die Finanzierung ist unklar. Während die Initiative 50 plus zusätzlich mindestens 500 Millionen Euro kosten soll, hat die Koalition gerade erst eine Haushaltssperre für 1,1 Milliarden Euro bei den bisherigen Eingliederungszuschüssen verhängt. Die Union wiederum will den Kombilohn auch auf andere Altersgruppen ausdehnen, verbunden mit noch härteren Sanktionen gegen "Jobverweigerer". Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren - seit dem Desaster von Hartz IV sind alle neuen Reformbasteleien für den Arbeitsmarkt schon im Ansatz Auslaufmodelle.

Das Kombilohn-Modell ist eine Falle, es dient letztlich der Enteignung von Ansprüchen und dem Übergang in eine allgemeine Prekarisierung. Das zeigt sich etwa in den USA, wo die staatlichen Lohnzuschüsse mit Mindestlöhnen unterhalb des Existenzminimums verbunden sind, während zugleich die soziale Grundsicherung bis auf geringe Reste brutal eliminiert wurde. Ein Resultat ist die berüchtigte "beschäftigte Obdachlosigkeit". In die gleiche Richtung gehen hierzulande die Überlegungen, Kombilohn-Reformen mit einer nochmaligen Reduzierung des jetzt schon erbärmlichen ALG-II-Monatsbetrags von 345 Euro zu koppeln. Überdies stehen die Lohnzuschüsse, die ohnehin befristet sein sollen, stets unter dem Vorbehalt weiterer Haushaltssperren, wie sich schon bei den bisherigen Maßnahmen erwiesen hat.

Gegen diese Grundtendenz bietet sich nur die Perspektive an, für die Erhöhung statt Verminderung von ALG-II und zugleich für einen allgemeinen Mindestlohn zu kämpfen, der aber - im Unterschied zu den angelsächsischen Ländern - hoch genug sein muss, um ein erträgliches Lebensniveau zu garantieren. Damit wäre keine dauerhafte soziale Stabilisierung zu erreichen, aber ein Abbremsen der rasenden Geschwindigkeit von Prekarisierung und Massenverarmung, um überhaupt Atem schöpfen zu können. Die globale Krise der Arbeitsmärkte ist sowieso nicht mehr zu lösen; sie verweist darauf, wie obsolet die kapitalistische Lebensweise und ihre Kriterien geworden sind. Dafür gibt es nun wirklich kein "Simsalabim" - und außer dem Vizekanzler dürfte auch sonst niemand daran denken, der sich noch ein kleines kapitalismusverträgliches Konzept abpressen möchte.

Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 30 vom 28.07.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Robert Kurz und des Verlags.

Veröffentlicht am

31. Juli 2006

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