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Hoffentlich Allianz versichert

Radikaler Einschnitt: Ein Flaggschiff der bejubelten "Dienstleistungsgesellschaft" lässt abmustern

Von Robert Kurz

Während in der Münchner Allianz-Arena der Fußball-Patriotismus tobte, gab es für die Beschäftigten des großen Versicherungs- und Finanzkonzerns nichts zu feiern. Gerade hatte Deutschland-Chef Gerhard Rupprecht einen massiven Umbau verkündet, der das Betriebsergebnis um mehr als eine Milliarde Euro steigern soll. Bis 2008 werden elf Standorte ganz oder teilweise geschlossen, darunter die komplette Kölner Niederlassung mit 1.300 Vollzeitstellen. Insgesamt fallen 7.500 Jobs weg, 5.000 im Versicherungsgeschäft und weitere 2.500 beim Tochterunternehmen Dresdner Bank, deren Belegschaft sich damit seit der Übernahme durch die Allianz vor fünf Jahren halbiert haben wird.

Bisher galt die Versicherungsbranche zuweilen als Nachhut der Rationalisierung. Im Gegensatz zur verarbeitenden Industrie und zu den Banken hatten sich die Strukturen der Nachkriegszeit hier länger halten können. Unter dem Druck der Globalisierung sind die Einschnitte nun um so radikaler, da die Potenziale der mikroelektronischen Revolution abgerufen werden. Die bei der Allianz bislang getrennten Domänen von Lebens-, Kranken- und Sachversicherung sollen sich unter einer gemeinsamen EDV-Plattform vereinigen. In einem "riesigen Technikprojekt" werden zwölf Informatik-Systeme integriert. Dieser Umbau betrifft vorrangig den Innendienst. Dabei fallen nicht nur Tausende von Stellen weg - der Leistungsdruck erhöht sich durch die totale Kontrolle des "gläsernen Mitarbeiters". Jeder Vorgang wird vom Computer aufgezeichnet und durch Symbole den Gruppenleitern signalisiert, etwa wie lange ein Kundengespräch dauert (vier Minuten sind die Norm), und wann es beendet ist, so dass der nächste Anruf weitergeleitet werden kann. Wer zu langsam ist, muss zum Rapport.

Diesem mikroelektronischen Rationalisierungs-Schub entspricht spiegelbildlich die forcierte Orientierung an der Finanzblasen-Ökonomie, denn vorzugsweise diesem prekären Sektor entstammen die derzeit beschworenen "hohen Gewinne". Zum erneuten Umbau der Allianz-Tochter Dresdner Bank gehört denn auch die Abkoppelung des normalen Firmen-Kreditgeschäfts vom Investment-Banking, das nun unter dem Namen Dresdner Kleinwort operiert. Dort sollen von 12.000 Firmenkunden nur noch die 2.000 größten konzentriert bleiben, die für finanzkapitalistische Transaktionen auf dem "Unternehmensmarkt" interessant erscheinen. Dafür werden einige hundert zusätzliche Stellen für hochqualifizierte "Asset-Mathematiker" geschaffen, denen ein Abbau der standardisierten Verwaltungsdienste in zehnfacher Größenordnung gegenübersteht. Wieder einmal zeigt sich die Tendenz zum gesellschaftlich nicht mehr integrationsfähigen Minderheits-Kapitalismus.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Versicherungs- und Finanzbranche als ein Hoffnungs- und Bannerträger der kommenden "Dienstleistungsgesellschaft" hochgejubelt wurde. In dieser Branche - so die Erwartung - würden genügend neue qualifizierte Jobs entstehen, um den Arbeitsschwund in den Fertigungsindustrien zu kompensieren. Jetzt platzt diese Illusion wie viele andere auch - nach den Banken gehen auch die Versicherungen den Weg der "alten Industrien" (Stahlproduktion, Bergbau, Autoindustrie) und schmelzen die reguläre Arbeit ab.

Gerade die Mitarbeiter von Versicherungskonzernen galten oft als ein Reservat der Angestellten-Kultur, wie sie Siegfried Kracauer für die zwanziger und dreißiger Jahre beschrieben hatte. Sie werden nun zusammen mit den ständischen Gruppen (Anwälten, Medizinern) und den bildungsbürgerlichen Restbeständen in Wissenschaft, Medien und Erziehungswesen vom "Absturz der neuen Mittelklassen" in die Mahlwerke der dritten industriellen Revolution erfasst. Wird die soziale Degradierung als solche wahrgenommen, droht gerade bei diesen Schichten der zur Fußball-WM in Mode gekommene Fähnchen-Patriotismus in "deutsche Ideologie" mit nationalistischen Untertönen gegen die "Heuschrecken" umzuschlagen - also in das Gegenteil einer emanzipatorischen Kapitalismuskritik.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 26 vom 30.06.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Robert Kurz und Verlag.

Veröffentlicht am

03. Juli 2006

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