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Wenn sich der Iran gesprächsbereit zeigt, müssen die USA ohne Vorbedingungen darauf eingehen

Es ist absurd, von Teheran Konzessionen zu erwarten, noch bevor man sich mit Amerika an einen Tisch gesetzt hat.

Von Jonathan Steele - The Guardian / ZNet 04.06.2006

Vor 50 Jahren kam es zur größten Falschzitierung in der Geschichte des Kalten Krieges. Es war 1956 auf einem Kreml-Empfang für westliche Botschafter, als der sowjetische Führer Nikita Chrustschow sagte: "Wir werden euch begraben". Sofort stürzten sich die US-Falken auf die vier Worte - als Beleg für die aggressiven Intentionen der Sowjets.

Einige Tauben verwiesen auf den Kontext, das volle Zitat schwäche die bedrohliche Botschaft ab. Aber die Stimmen der Tauben wurden ausgeblendet. Das vollständige Chrustschow-Zitat lautet: "Ob es euch gefällt oder nicht, die Geschichte ist auf unserer Seite. Wir werden euch begraben". Im Grunde eine harmlose Aufschneiderei, mit der Chrustschow nur zum Ausdruck bringen wollte, dass der Sozialismus im ideologischen Wettstreit mit dem Kapitalismus schließlich obsiegen werde. Von Krieg war nicht die Rede.

Derzeit sehen wir uns einer vergleichbaren propagandistischen Zitatsverzerrung gegenüber. Sie betrifft den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad. Fragt man irgendeine(n) auf den Straßen von Washington, London oder Tel Aviv, ob er oder sie einen Satz von Mahmoud Ahmadinedschad zitieren könne, kommt mit einiger Sicherheit der Satz: Er sagte, er will, dass Israel "von der Karte gelöscht wird" (wiped off the map).

Nur vier kurze Worte - wie im Falle Chrustschow. Aber im Falle des Ahmadinedschad-Zitats ist die Verzerrung noch gröber. Das Zitat wurde nicht etwa nur aus dem Kontext gerissen, es ist schlicht falsch. Ahmadinedschad hat diese Worte nie gesagt. Leute, die sich mit Farsi auskennen, weisen darauf hin: Die Übersetzung ist falsch. Der iranische Präsident hatte vielmehr ein altes Zitat Ajatollah Khomeinis, des ersten islamischen Führers im Iran, angeführt. Der inzwischen verstorbene Khomeini hatte gesagt: "… dieses Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss von der Seite der Zeit verschwinden"Anmerkung d. Übersetzerin: "this regime occupying Jerusalem must vanish from the page of time" - so, wie das Schah-Regime im Iran.

Keine Drohung mit militärischer Gewalt. Vielmehr forderte Khomeini ein Ende der Besetzung Jerusalems irgendwann in der Zukunft. "Seite der Zeit" (page of time) - diese Formulierung legt nahe, dass das nicht kurzfristig gemeint war. Nichts deutet darauf hin, dass einer von beiden - weder Khomeini, der die Aussage machte, noch Ahmadinedschad, der Khomeini zitiert hat -, dieses Ende unmittelbar bevorstehen sah oder dass der Iran dabei eine Rolle spielen sollte.

Aber der Propagandaschaden war da, und westliche Falken begannen, den iranischen Präsidenten mit Hitler zu vergleichen - geradeso, als wolle Ahmadinedschad Juden auslöschen. Auf dem diesjährigen Jahrestreffen des AIPAC (American Israel Public Affairs Committee), einer mächtigen Lobbygruppe in den USA zeigten große Bildschirme abwechselnd den polternden Hitler und Präsident Ahmadinedschad - Letzterer, wie er sein misszitiertes "Wiping-off-the-map"-Statement von sich gab.

Noch aus einem anderen Grund wiegt die falsche Wiedergabe in Ahmadinedschads Fall schwerer, als das aus dem Kontext gerissene Chrustschow-Statement. Obwohl die Sowjetunion damals eine kollektive Führung hatte, war der gedrungene Russe Chrustschow zweifellos die Nummer Eins im Staat, vor allem, was die Außenpolitik betraf. Der Präsident des Iran hingegen ist nicht die Nummer Eins.

Sein Vorgänger, Mohammad Chatami, hatte im Westen als moderater Reformer gegolten. Chatami war insgesamt acht Jahre im Amt. In dieser Zeit wurde von westlichen Offiziellen immer wieder die Tatsache beklagt, dass er bei Entscheidungen nicht der wichtigste Mann sei. Die Macht lag letztendlich bei Ajatollah Chamenei, dem konservativen obersten Führer des Iran, der nicht gewählt wird. Jetzt ist Ahmadinedschad Präsident, und die westlichen Falken tun plötzlich so, als wäre der Präsident der verantwortliche Chef im Iran. In Wirklichkeit hat sich nichts geändert. Ahmadinedschad ist nicht die einzig wichtige Stimme in Teheran. Entsprechend schnell handelte Chamenei, um die fehlinterpretierten Ahmadinedschad-Kommentare richtigzustellen. Schon wenige Tage, nachdem die Worte des Präsidenten gefallen waren, sagte Chamenei, der Iran "wird keine Aggression gegen irgendein Land ausüben".

Einiges spricht dafür, dass in Teheran die Debatte über die richtige Politik gegenüber dem Westen weitergeht und diese Debatte nicht weniger heftig geführt wird, als dies in Washington der Fall ist. Seit 2003 haben die Iraner der Bush-Administration wiederholt Avancen gemacht - einmal offener, einmal in mehr verdeckter Form. Der jüngste Brief Ahmadinedschads an Präsident Bush war ein solches verdecktes Dialogsangebot. Auch über die richtige Politik gegenüber Israel wird im Iran heftig gestritten. Trita Parsi, eine Analystin der John-Hopkins-Universität, ist der Meinung, dass einflussreiche Rivalen Ahmadinedschads für das so genannte "malaysische" Modell eintreten. Das islamische Malaysia verweigert die Anerkennung des Staates Israel zwar, enthält sich aber der Unterstützung für bestimmte Palästinensergruppen, wie Hamas. Man würde vergleichbar verfahren wollen, sollte sich das Verhältnis zu Amerika verbessern, so Parsi.

Am Normalsten wäre es daher, die Debatte in einen Dialog zwischen beiden Staaten zu überführen - indem beide anfangen, miteinander zu reden. Im Winter zeigten sich die Amerikaner gesprächsbereit, vorausgesetzt, die Gespräche würden sich auf das Thema Irak beschränken. Daraufhin legten die Falken um Bush ihr Veto ein - selbst gegen diese eingeschränkte Agenda. Dieser Sieg der Falken führte den Druck der USA auf andere Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, ‘tough action’ gegen Iran zu ergreifen, letztendlich ad absurdum. Es ist offensichtlich verfrüht, über Iransanktionen zu reden - nicht, bevor es zwischen Washington und Teheran zu Verhandlungsanstrengungen gekommen ist. Kurz bevor die amerikanische Außenministerin Condoleeza Rice gestern in Wien mit den Außenministern Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Chinas und Russlands zusammenkam, hatten die verschiedenen Fraktionen in Washington letzte Woche noch folgenden Kompromiss zusammengezimmert: Die USA sind bereit, neben der EU3 (Großbritannien, Frankreich, Deutschland), mit Teheran zu reden, allerdings nur, falls Teheran sein Programm zur Urananreicherung aufgibt.

Bis letzte Woche hatte Washington die Haltung vertreten, der Dialog der EU3 mit Teheran sei ausreichend - das überraschendste Beispiel für Multilateralismus in der gesamten Amtszeit von Präsident Bush. Eine Regierung wie diese, die regelmäßig die Verbündeten ignoriert und sich weigert, die Jurisdiktion von Einrichtungen wie dem Internationalen Strafgerichtshof anzuerkennen, zeigte sich plötzlich bereit, die Gespräche über eines der heißesten aktuellen Themen Dritten zu überlassen. Diese Weigerung der USA, den Dialog (mit Teheran) zu eröffnen, machte einfach keinen Sinn - es sei denn, Bush war auf Kriegskurs.

Ohne eine entsprechende Rolle der USA machte auch das Zuckerbrot-Angebot der EU3 keinen Sinn, denn Europa kann dem Iran keine Sicherheitsgarantien geben. Teheran ist nicht an Nichtangriffspakten mit Europa interessiert, sondern an entsprechenden Pakten mit dem einzigen Staat, der Iran bedroht - militärisch und durch jene Programme für einen Regimewechsel im Iran, die vom Ausland finanziert werden.

Der jetzige Gesprächskompromiss der Amerikaner ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn Rices hastige Erklärung ziemlich stümperhaft daherkam. So bezeichnete sie Teheran mal als "Regierung", mal als "Regime" und das immer wieder. Andererseits ist es absurd, vom Iran Konzessionen zu verlangen, noch bevor man sich überhaupt an einen Tisch mit den Amerikanern gesetzt hat. Ein Dialog wäre im Interesse sämtlicher Parteien. Die Regierungen Europas und die Führung Russlands und Chinas sollten dies gegenüber den Amerikanern auch deutlich machen.

Wie immer man über mögliche Nuklearambitionen des Iran denken mag, selbst Amerikas Falken geben zu, dass der Iran noch Jahre von einer Atombombe entfernt ist - von den entsprechenden Waffensystemen ganz zu schweigen. Bleibt viel Zeit für Verhandlungen beziehungsweise für den "großen Verhandlungswurf" zwischen Iran und Amerika über das Thema Sicherheit im Mittleren Osten. Flankiert von Staaten mit US-Basen zeigt sich der Iran zurecht besorgt über die möglichen Intentionen Washingtons.

Aber abgesehen vom Faktor USA - alle im Iran sind besorgt über die instabile Lage am Golf, und das gilt für alle Menschen im Iran, ob sie die Herrschaft der Geistlichen nun mögen oder nicht. Falls der Bürgerkrieg im Irak voll zum Ausbruch kommt, könnte dies zur Einmischung der Türkei und der arabischen Nachbarn des Irak führen - ein Desaster für Iran. Und sollten die USA an einen geregelten Rückzug (in irgendeiner Form) aus dem Irak denken, wären auch hierfür Gespräche mit Teheran nötig. Hoffen wir, dass Blair letzte Woche in diesem Sinne mit Bush geredet hat. Allerdings sollte Blair das Ganze konsequent zu Ende bringen und die Amerikaner drängen, Gespräche ohne Vorbedingungen zu führen.

j.steele@guardian.co.uk

Quelle: ZNet Deutschland vom 05.06.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: If Iran Is Ready To Talk, The Us Must Do So Unconditionally

Fußnoten

Veröffentlicht am

06. Juni 2006

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