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Die Falle

Von Uri Avnery, 29.04.2006

WENN MAN jemanden auf eine Falle zugehen sieht, schreit man: "Pass auf!" Aber was soll man machen, wenn jemand wissentlich mit offenen Augen in die Falle gehen sieht?

AMIR PERETZ ist im Begriff, Verteidigungsminister zu werden - und er weiß, dass dies eine Falle ist. Warum tut er es trotzdem?

Seine Motive sind klar und verständlich. Um einen fundamentalen Wechsel in der politischen und sozialen Politik zu bewirken, muss er Ministerpräsident werden. Das entspricht auch seinen persönlichen Ambitionen. Aber in Israel braucht eine Person, die Ministerpräsident werden will, eine militärische Visitenkarte.

Die letzten Wahlen haben dies wieder gezeigt. Peretz wollte als "sozialer" Kandidat gewinnen.

Alle Umfragen bewiesen, dass er tatsächlich von der Mehrheit der Wähler als der glaubwürdigste Kandidat für soziale Angelegenheiten wahrgenommen wurde. Die Schlacht wurde aber von dem Kandidaten gewonnen, der sich als fähig erwies, den Ort des Schlachtfeldes zu bestimmen. Peretz schaffte es nicht, die sozialen Probleme ins Zentrum der Bühne zu hieven. Olmert hingegen gelang es, die Sicherheitsbelange dorthin zu setzen.

Der Hamas-Sieg bei den palästinensische Wahlen, der sich fortsetzende Beschuss von Qassam-Raketen vom Gazastreifen aus auf Israel, der israelische Armeeangriff auf das Gefängnis in Jericho, die sich verschlimmernde atomare Bedrohung durch den Iran - all dies schob die sozialen Probleme beiseite. Die israelische Öffentlichkeit war nicht bereit, eine Person zu wählen, die "keine Erfahrung in Sicherheitsfragen" hat.

In den letzten 30 Jahren hatte Israel sieben Ministerpräsidenten gehabt. Drei von ihnen (Yitzhak Rabin, Ehud Barak und Ariel Sharon) waren Generäle. Zwei (Menachem Begin und Yitzhak Shamir) hatten einen hervorragenden Ruf als Kommandanten von militärischen Untergrundgruppen und Shamir hatte außerdem als hochrangiger Mossad-Offizier gedient.

Einer (Shimon Peres) war zuvor Verteidigungsminister und ist der Vater der israelischen Atombombe. Binyamin Netanyahu war nur Hauptmann in einer Kommandoeinheit, aber er badete sich gern im Ruhm seines heldenhaften Bruders Jonathan, der in Entebbe gefallen war.

Peretz benötigt ein Zertifikat in Sicherheitsfragen, um sich für die nächste Runde im Kampf für den Posten des Ministerpräsidenten vorzubereiten. Deshalb nahm er den Job des Verteidigungsministers an, wohl wissend, dass dies zu einer Horrorschau werden könnte.

SOBALD PERETZ das Amt des Verteidigungsministers übernimmt, wird er sich entscheiden müssen, sich den Kannibalen anzuschließen oder von ihnen aufgefressen zu werden.

Im Korridor, der zu seinem neuen Büro führt, hängen die Photos all seiner Vorgänger. Er wäre gut beraten, einen Moment vor dem zweiten, dem von Pinhas Lavon, eine kleine Pause einzulegen und nachzudenken.

Wie Peretz war Lavon ein Labor-Politiker, dem jede "Sicherheitserfahrung" fehlte. 1953 überraschte Ben-Gurion alle, indem er ihn zu seinem Nachfolger im Verteidigungsministerium ernannte. Auch damals hatten einige den Verdacht, dass dies eine Falle sei. Ben-Gurion, der sich damals vorübergehend in den Negev zurückzog, vermachte diesen Job der ungeeignetsten Person, um für den Fall seiner Rückkehr keinen ernsthaften Rivalen zu haben.

Lavon, der bis dahin die sanfteste Taube war, wurde übernacht zum kreischenden Falken. Als z.B. Soldaten bei einer Hausdurchsuchung die Möbel einer arabischen Familie zerstört hatten, bemerkte er zynisch: "Sie werden doch nicht aus Mahagoni gewesen sein, oder?" (Wir vom Haolam Hazeh Magazin nannten ihn danach nur noch "Pinchas Mahagoni") Er autorisierte brutale "Vergeltungsaktionen" und billigte die Entscheidung des Militärs, das Regime des neunen ägyptischen Führers Gamal Abd-al-Nassars zu sabotieren.

Das Ende war traurig. Die Armee führte eine getarnte Sabotagekampagne gegen US-amerikanische und britische Ziele in Ägypten durch, die dafür bestimmt war, Zwietracht zwischen Ägypten und dem Westen zu säen. Die Aktion misslang, die Agenten wurden gefangen genommen, und die Armeechefs beschuldigten Lavon, der sich beschämt zurückzog. (Diese Affäre hatte weitreichende politische Folgen und führte schließlich zum Sturz von Ben Gurion selbst.)

Bis jetzt sind fast alle Verteidigungsminister Generäle gewesen. Die wenigen Ausnahmen - Levy Eshkol, Shimon Peres und Moshe Arens - nahmen den einfachsten Ausweg. Sie gaben den Generälen alles, was sie wollten und übernahmen ihre Perspektive. Aus diesem Grund wurden sie als "gute Verteidigungsminister" angesehen.

WENN PERETZ diesen Weg geht, wird er all die enttäuschen, die ihre Hoffnung auf ihn gesetzt hatten.

Die Armee wird verlangen, dass er die "gezielten Tötungen", die Erweiterung der Siedlungsblöcke (selbst wenn ein paar isolierte Siedlungen aufgelöst werden sollten), die Errichtung weiterer Straßensperren und allgemein das Leben der Palästinenser unerträglich zu machen, genehmigt. Nach einem Jahr wird man keinen Unterschied mehr zwischen ihm und seinem Vorgänger feststellen können.

Wenn er mit den Generälen im Frieden leben will, kann Peretz keine nennenswerten Kürzungen des aufgeblasenen Militärbudgets vornehmen - das wie ein Hai alles frisst, was ihm in den Weg kommt. Ohne große Kürzung gibt es aber keine Chancen für den versprochenen sozialen Wandel. Doch solch eine Budgetkürzung würde zur Entlassung Tausender von Offizieren und Zivilangestellten führen, einschließlich der gut organisierten Angestellten der Rüstungsindustrie. Dann wird es einen Aufschrei geben: Peretz gefährdet die Sicherheit des Staates, er setzt uns der iranischen Atombombe aus, er ist schuld am Tod der Terroropfer.

Um als "guter Verteidigungsminister" angesehen zu werden, muss Peretz sich mit kosmetischen Budgetkürzungen zufrieden geben und die Leute, die ihn wählten, enttäuschen.

WENN ER SICH für das Gegenteil entscheidet und den Generälen die Stirne bietet, indem er das Militärbudget stark beschneidet und dem Militär eine andere politische Einstellung auferlegt, wird er sich als sehr kleiner David gegen einen sehr bedrohlichen Goliath wiederfinden.

Das israelische "Sicherheitsestablishment" ist ein Machtzentrum, das in keinem anderen demokratischen Staat eine Parallele hat. Es schließt nicht nur die riesige Armee und alle ihre Abteilungen, die große Rüstungsindustrie, den Mossad und den Shin Beth ein, (die gar nicht unter seiner Kontrolle sind, sondern direkt dem Ministerpräsidenten unterstehen), es schließt auch viele Hunderte Generäle im Ruhestand mit ein, die Schlüsselpositionen in allen staatlichen, politischen und wirtschaftlichen Bereichen haben und die sich gegenseitig und die Generalstabspositionen unterstützen.

Die israelische Armee ist nicht nur eine professionelle Körperschaft. Sie ist auch ein ideologisches Treibhaus. Von seiner Einführung als junger Rekrut bis zum Erwerb der Generalsinsignien auf seiner Schulter unterzieht sich der Offizier einer unbewussten täglichen Indoktrinierung, die eine so gut wie unveränderliche Weltanschauung in seinen Kopf einpflanzt. Diese nimmt er mit sich, wenn er beruflich aufsteigt, Kabinettminister wird (ob Likud oder Labor ist fast belanglos), Boss eines Industrieunternehmens oder Generaldirektor eines bedeutsamen öffentlichen Dienstbetriebes.

Dies ist wie eine politisch-ideologische Zwangsmaschine, gegen die die Regierung nichts ausrichten kann. Ariel Sharon, selbst ein siegreicher General, konnte hier und dort seine Autorität gegenüber dem Militär durchsetzen. Das trifft aber nicht auf eine Regierung zu, die von drei Zivilisten geführt wird: Ehud Olmert (der kaum Soldat gewesen ist), Amir Peretz ( nur als jüngerer Etappen-Offizier) und Tsipi Livni (ohne nennenswerte militärische Leistungen). Sie müssen befürchten, vom Generalstabschef angeklagt zu werden, sie hätten keine Ahnung von Militärangelegenheiten und würden das Leben der Soldaten und Zivilisten gefährden. Dies um so mehr, als die Armee eine Position hält, die wichtiger ist als jede andere (vielleicht einschließlich des Ministerpräsidenten): der Armee-Nachrichtendienstchef ist es, der die alleinige Verantwortung für die "nationale Beurteilung" trägt.

Das Weltbild, das vom militärischen Nachrichtendienst dem Kabinett vorgelegt wird, diktiert alle politischen und sicherheitsrelevanten Entscheidungen. Kein Minister wird jemals aufstehen und sagen: "Liebe Kameraden, das ist doch Blödsinn!" Nicht einmal, nachdem vor kurzem bekannt wurde, wie einer der letzten Militärnachrichtendienstchefs systematisch professionelle Erkenntnisse seiner untergeordneten Mitarbeiter gefälscht hat und dem Kabinett ein bewusst falsches Bild der palästinensischen Absichten gegeben hat.

Das obere Offizierskorps schaut seiner Natur entsprechend Israels Probleme nur durch das Zielfernrohr der Waffen - also nur mit einem offenen Auge an.

VIELLEICHT will Peretz die Situation ändern. Vielleicht will er zeigen, was für ein furchtloser Kämpfer er ist, indem er den oberen Offizieren eine ihnen fremde Weltsicht auferlegt, das fette Militärbudget kürzt und auf moralischem Standard besteht. Hoffentlich.

Einige Militärexperten sagen, wenn Peretz versuche, seine Vorstellungen zu verwirklichen, dann würden der Generalstabschef und seine Generäle ihn zum Frühstück verspeisen. Peretz Bewunderer glauben, dass er es sein wird, der dieses kannibalische Mahl mit vollem Magen verlassen wird.

Man sagt, dass ein kluger Mann weiß, wie er sich aus so einer Falle befreit, in die ein Weiser gar nicht erst getappt wäre. Aber wenn jemand mit offenen Augen in eine Falle tritt, dann kann man nur hoffen, dass er auch weiß, wie er wieder herauskommt - wollen wir ihm die Daumen dafür drücken!

Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert

Veröffentlicht am

02. Mai 2006

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